Massiver Rückgang

Italien: Weniger Flüchtlinge wegen Libyen-Miliz?

Ausland
28.08.2017 13:25

In Italien sind die Zahlen von Migranten, die übers Mittelmeer kommen, zuletzt massiv zurückgegangen, wie am Montag veröffentlichte Daten des italienischen Innenministeriums bestätigen. Die Regierung in Rom sieht das vor allem als Erfolg ihrer Ausbildung der libyschen Küstenwache. Der enorme Rückgang könnte aber auch mit einer Miliz in Libyen zusammenhängen. Die "Brigade 48" genannte Bande wird möglicherweise gar von einem früheren Menschenschmuggler, der die Seiten gewechselt hat, angeführt und soll sich auch aus ehemaligen Militärs und Polizisten rekrutieren.

Schon seit einigen Wochen würden sich die Italiener fragen, warum auf einmal viel weniger Flüchtlinge aus Libyen zu ihnen kommen als in den vergangenen Jahren, schreibt etwa die "Süddeutsche Zeitung" am Montag. Die Route über das Mittelmeer sei ausgerechnet im Sommer, da sie bei gutem Wetter und ruhiger See normalerweise besonders stark befahren ist, fast ganz leer.

Knapp 90 Prozent weniger Flüchtlinge als im August 2016
Laut offiziellen Angaben ist die Zahl der Flüchtlinge, die in Italien über das Mittelmeer angekommen sind, in den Sommermonaten Juli und August tatsächlich deutlich zurückgegangen. Im Vergleich zum Vorjahr erreichten allein in diesem Monat knapp 90 Prozent weniger Flüchtlinge die Küste des südlichen EU-Landes, wie aus Zahlen des italienischen Innenministeriums hervorgeht.

Bis zum 25. August kamen demnach 2932 Migranten in Italien an, im Jahr zuvor waren es 21.294 Flüchtlinge. Die libysche Küstenwache führt den Rückgang vor allem auf intensivere Kontrollen im Mittelmeer zurück. Zudem hätten sich mehrere private Rettungsboote zurückgezogen, wodurch sich weniger Schmuggelboote auf den Weg machen würden, sagte ein Sprecher der libyschen Küstenwache.

"Erstmals Licht am Ende des Tunnels"
Ein Anfang scheint gemacht, wie die aktuellen Zahlen zeigen. Der italienische Innenminister Marco Minniti erklärte dazu unlängst: "Wir sind noch in einem langen Tunnel. Aber zu ersten Mal habe ich begonnen, Licht am Ende des Tunnels zu sehen."

Nue libysche Miliz mischt Menschenschmuggler auf
Experten gehen jedoch davon aus, dass der Rückgang auch mit dem Aufkommen einer neuen bewaffneten Gruppe in Libyen zu tun haben könnte, die die Schmuggler am Ablegen hindert. Die Nachrichtenagentur Reuters hatte erst vor einigen Tagen in einer exklusiven Story über die Miliz berichtet. "Wir können nicht sagen, ob es sich um eine lang anhaltende Entwicklung handelt", sagte indessen eine Sprecherin der Internationalen Organisation für Migration (IOM).

Verortet wird die Miliz, die den Namen "Brigade 48" tragen soll in der Hafenstadt Sabratha im Nordwesten Libyens, rund 70 Kilometer von der Hauptstadt Tripolis entfernt. Italien und Europa sind hier besonders nah. Hunderte bewaffnete Mitglieder sollen dafür sorgen, dass von dort keine Schiffe mit Flüchtlingen mehr nach Italien ablegen. Die Gruppe rekrutiere ehemalige Militärs und Polizisten.

Ehemaliger Mafioso offenbar Chef der "Brigade 48"
"Seit einiger Zeit gibt es eine neue bewaffnete Gruppe in der Stadt, die offenbar dafür sorgt, dass die Schmuggler nicht mehr ablegen", bestätigt auch Mattia Toaldo, Libyenexperte des European Council for Foreign Relations (ECFR), einer europäischen Denkfabrik. Chef der Miliz soll ein ehemaliger Mafioso sein, womöglich ein früherer Menschenschmuggler, doch auch seine Identität liegt derzeit noch im Dunkeln.

Es gebe Hinweise darauf, dass ein in der Region mächtiger Milizen- und Schmuggelchef die Seiten gewechselt habe, so Toaldo. "Vielleicht hofft er, mehr Einfluss zu bekommen, wenn er dafür sorgt, dass die Flüchtlinge nicht mehr ablegen." Ähnliche Entwicklungen gab es im vergangenen Jahr bereits in Sabrathas Nachbarstadt Suwara, als eine Art Bürgermiliz die Kontrolle in der Stadt übernahm und die Stadt soweit es ging von Menschenschmugglern befreite.

Wird Miliz indirekt von Europa fianziert?
Von wem die "Brigade 48" finanziert wird, bleibt vorerst unklar. Doch sollte die Regierung in Tripolis für sie verantwortlich sein, wäre das eine spektakuläre Wende: Dann könnte Geld aus Europa indirekt in die Taschen der Brigade fließen. Fest steht: Die Gruppe patrouilliert in den Straßen und an den Stränden von Sabratha als wäre sie die Polizei. Es sind jene Küstenabschnitte, von wo aus Menschen die letzte Etappe ihrer Flucht über das Mittelmeer nach Europa antreten.

Libyen ist derzeit der wichtigste Abfahrtsort für Flüchtlinge, die versuchen über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen. In dem Land herrscht nach jahrelangem Bürgerkrieg Chaos. Unzählige Milizen kämpfen um die Macht. In diesem Jahr erreichten insgesamt bisher mehr als 98.000 Flüchtlinge Italien.

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