Grausames Geschäft

In den Fängen der Bettler-Mafia

Österreich
31.12.2016 21:45

Immer mehr kriminelle Clans aus Osteuropa betreiben in Österreich ihre grauenhaften Geschäfte. In der "Krone" erzählt eine Bulgarin, die mit zwölf von ihrer Mutter an eine Bande verkauft wurde, über acht Jahre in der Hölle. Seit Jahren ist das Bundeskriminalamt darum bemüht, diese Banden zu sprengen. Das Problem scheint jedoch kaum eindämmbar, wie ein Lokalaugenschein am Rochusmarkt in Wien-Landstraße zeigt (Video oben).

Ein ermordetes Baby. Fahnder ermitteln. Bald eine Spur. Sie führt zu einem rumänischen Bettler-Clan. "Klingelingeling" - so der Titel der Tatort-Folge vom vergangenen Montag. Sie handelt von Menschen, die auf den Straßen von München stehen und Passanten um ein paar Euro anflehen; und von ihren Capos, für die sie bloß Geldbeschaffungsmaschinen sind.

"Die Realität ist oft viel schlimmer"
Alles bloß Fiktion? "Die Realität ist noch viel schlimmer", sagt Norbert Ceipek. Bis Sommer 2015 war er Magistratsbediensteter, Leiter der "Drehscheibe", einem Betreuungszentrum für geschundene Kinder und Jugendliche. Viele von ihnen stammten aus Ostblockstaaten, mussten hier in Österreich - oft über Jahre hindurch - für skrupellose Bandenchefs arbeiten. Genauso wie die Protagonisten des TV-Krimis.

Szenenwechsel: Ceipek sitzt in einem kleinen Büro in Burgas. Nach seiner Pensionierung hat er hier mithilfe der bulgarischen Regierung eine "Auffangstation" für Frauen, die aus den Fängen der Mafia befreit werden konnten, aufgebaut.

"Für mich begann ein Albtraum"
Eine davon ist Tanja (20). Ihre Geschichte? Aufgewachsen in einem Barackendorf. Nie jemand da, der sie liebte. Nie besuchte sie eine Schule. Sie war acht, als ihre Mutter sie zum ersten Mal gegen einen geringen Betrag für Sex vermietete. Sie war zwölf, als sie von ihr für 2500 Euro an einen Mann aus einem Nachbarort verkauft wurde. "Und für mich", schluchzt Tanja, "begann ein Albtraum."

Gemeinsam mit einem Dutzend anderer Kinder und zwei Ehepaaren, die als "Aufpasser" agierten, ging es auf in den "goldenen Westen". Wien, Salzburg und zwei deutsche Städte waren ihre Stationen. Egal ob Sommer, ob Winter. Tanja kniete in Fußgeherzonen, musste betteln. "Nebenbei wurde ich zur Diebin ausgebildet." Und irgendwann auch an Freier vermittelt.

"Meine Aufpasser hatten kein Mitleid"
Die Nächte verbrachte sie in Substandardwohnungen, eingepfercht in winzigen Zimmern, mit ihren Leidensgenossen. "Wenn ich untertags weniger als 300 Euro verdiente, bekam ich nichts zu essen. Und ich wurde verprügelt." Mitleid, nein, Mitleid hätten ihre Peiniger nie mit ihr gehabt: "Warum auch? Ich war für sie nur ein Objekt."

Im Juni 2016 wurde Tanja von der Polizei aufgegriffen. "Die Beamten", erzählt Ceipek, "glaubten zunächst, sie wäre minderjährig." Sowohl geistig, als auch körperlich ist die Frau in ihrer Entwicklung zurückgeblieben: "Wahrscheinlich eine Folge des Missbrauchs und der Misshandlungen an ihr."

Tanjas Zukunft: ungewiss. "Ihre seelischen Wunden halbwegs zu kitten, wird Jahre dauern." Und doch macht sie bereits erste Schritte in ein neues Leben. "Es ist schön, keine Angst zu fühlen", sagt sie.

"Und dann kassieren die Capos ab"
Die Bettler-Mafia: laufend wird sie größer. Ganze Clans, meist aus Bulgarien und Rumänien, überschwemmen halb Europa. Im Schlepptau Frauen, Kinder, Behinderte - die von ihnen in Dörfern eingesammelt wurden, zum einzigen Zweck, den Capos Geld zu bringen. Egal, wie.

Seit Jahren ist das Bundeskriminalamt darum bemüht, diese Banden zu sprengen. "Mit Erfolg", sagt ein Ermittler, "jährlich werden von uns österreichweit mehrere Hundert Personen aufgegriffen." Die Opfer in Sozialeinrichtungen gebracht, die Täter verhaftet. Trotzdem: Das Problem scheint kaum eindämmbar.

Securitys gegen Bettler-Banden
So sind etwa am Rochusmarkt in Wien-Landstraße Geschäftsinhaber genervt von den vielen in Lumpen gekleideten Menschen aus dem ehemaligen Ostblock, die Waren stehlen und Kunden berauben. "In Kleinbussen werden sie nachmittags bei uns ausgesetzt, am Abend kommen dann ihre Chefs, kassieren ab, verfrachten die 'Angestellten' wieder in Wagen - und am nächsten Tag beginnt der Wahnsinn aufs Neue", erzählt Christian Schätzl, Betreiber eines Obst- und Gemüsestands. "Sehr froh" sei er, dass der Besitzer eines Nachbarbetriebs mittlerweile Securitys beschäftigt, um Übergriffe zu verhindern.

Einer dieser "Beschützer": Nikolaus Kellner. Seine Aufgaben? "Ich hindere die Mafia-Bediensteten daran, Lokalgästen ihr Essen von den Tellern zu klauen. Ich greife ein, wenn sie Passanten belästigen, sich in Gruppen um sie scharen und ihre Opfer zur Herausgabe von Geld zwingen oder bestehlen wollen." Arbeit habe er genug, "von früh bis spät geht es hier ziemlich rund".

Ein Ende des Dramas scheint nicht in Sicht. "Es wird", prognostiziert Szene-Kenner Norbert Ceipek, "noch viel schlimmer werden."

Martina Prewein, Kronen Zeitung

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