"Scheinheiligkeit"

Flüchtlinge umverteilen: Sobotka attackiert Kern

Österreich
27.03.2017 12:15

Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) hat im Streit mit dem Koalitionspartner SPÖ - insbesondere mit Kanzler Christian Kern - bezüglich der Umverteilung von Flüchtlingen aus Italien und Griechenland nach Österreich nachgelegt. "Auf der einen Seite fordert mich Kern auf, den Prozess zu starten, auf der anderen Seite möchte er Ausnahmen erwirken. Das wird nicht möglich sein", kritisierte Sobotka. Ihm sei nicht bekannt, dass Kern beim Thema Umverteilung einen neuen Vorschlag eingebracht hätte. "Ich habe mich an die Vorgaben des Europäischen Rates zu halten, das sollte Kern wissen." Insgesamt ortet Sobotka eine "ungeheure Scheinheiligkeit" der SPÖ - und will nun mit der Umverteilung starten. Das Kanzleramt wies alle Vorwürfe zurück.

Grund des Streits ist eine Einigung zwischen Sobotka und seinem italienischen Amtskollegen, wonach Österreich Asylwerber aus Italien übernehmen soll. Vorerst soll es sich um 50 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge handeln, deren Chancen auf einen positiven Bescheid sehr gut stünden. SPÖ-Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil kritisierte dies und erklärte: "Solange die illegale, unkontrollierte Zuwanderung weiter existiert und Österreich derart stark belastet ist, nehmen wir sicher keine zusätzlichen Flüchtlinge aus Italien auf." Rückendeckung bekam Doskozil dabei von Kanzler Kern.

"Mediales Trommeln von Meinungsumschwüngen"
Sobotka sagte nun am Montag vor Beginn des EU-Innenministerrats in Brüssel, Kern müsse mit den europäischen Staats- und Regierungschefs eine neue Vorgehensweise abstimmen, sonst seien ihm als Innenminister die Hände gebunden. "Das ausschließliche mediale Trommeln von Meinungsumschwüngen taugt leider nicht zur Lösung von sachpolitischen Fragen", richtete er einen Appell an den Kanzler.

"Ausnahmeregelung ist am 11. März abgelaufen"
Im Herbst 2015 hatte die damalige Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) in Brüssel wegen der hohen Anzahl an Asylwerbern in Österreich eine Ausnahmeregelung und zeitliche Aussetzung der Zuteilung von Flüchtlingen im Rahmen des Umverteilungsprogramms erwirkt. Zum Wunsch Kerns nach einer Verlängerung dieser Ausnahmeregelung sagte Sobotka, diese Regelung sei heuer am 11. März abgelaufen. Die Bedingungen für eine Verlängerung seien nicht gegeben. Damals sei "ausdrücklich festgehalten worden, wenn bis Juni 2016 die Westbalkan-Route geschlossen ist, gibt es keinen Grund zu einem Einspruch. Das hätte man viel früher überlegen müssen. Man muss das Erbe tragen, wie auch immer es ist." Es seien jedenfalls Beschlüsse einzuhalten.

"Dass der Innenminister den Weg der Rechtsstaatlichkeit verlässt, ist für mich undenkbar", fügte Sobotka hinzu. Er bekräftigte mehrmals, dass er zwar die Umverteilung von Flüchtlingen innerhalb der EU für falsch halte, "solange die EU-Außengrenze nicht sicher ist". Aber: "Ein Rechtsstand ist zu erfüllen. Es gibt auch keine Diskussion in anderen EU-Staaten. Wir können nicht mit dem Finger auf jemand anderen zeigen, der das nicht erfüllt, und selber Recht brechen."

"Künstlicher Aufschrei der SPÖ ist durchsichtig"
Der Europäische Rat habe laut Sobotka jedenfalls unter Teilnahme Kerns mehrfach eine rasche Umsetzung des Umverteilungsprozesses gefordert. "Wenn die SPÖ nun gegen die Aufnahme von 50 unbegleiteten Kindern aus Italien ist, muss sie mir erklären, warum wir nicht schon lange die Reduktion der Obergrenze auf 17.000 umsetzen konnten", so Sobotka. Seine Vorgängerin Mikl-Leitner habe ihm zufolge aufgrund der Belastung Österreichs damals sogar eine Umverteilung aus Österreich bzw. einen Aufschub von 100 Prozent gefordert, was die SPÖ dezidiert abgelehnt hätte. Der nunmehrige "künstliche Aufschrei der SPÖ ist durchsichtig und wider besseren Wissens der damaligen Situation", sagte der Innenminister.

"Kanzler muss endlich Engagement zeigen"
Kanzler Kern sei laut Sobotka jetzt gefordert, seinen Einfluss im Europäischen Rat geltend zu machen, damit dieser seinen Standpunkt in der Frage der Umverteilung ändere. "Kern muss medialen Ankündigungen Taten folgen lassen und endlich Engagement zeigen." Selbstverständlich würde er als Innenminister darauf aufbauend Maßnahmen ergreifen und keine weitere Umverteilung vornehmen. "Die Bevölkerung fordert zu recht eine rasche Lösung, da wird es für den Kanzler nicht reichen, die Hände in den Schoß zu legen", so Sobotka.

Kanzleramt weist Sobotkas Vorwürfe zurück
Das Bundeskanzleramt wies gegenüber krone.at mittlerweile Sobotkas Vorwürfe gegen Kern zurück. Aus Sitzungsprotokollen, die krone.at vorliegen, gehe demnach eindeutig hervor, dass die gesamte österreichische Bundesregierung bei Ministerräten 16 Mal für die Umverteilung und gerechte Aufteilung von Flüchtlingen zwischen allen EU-Staaten ohne größere Diskussionen gestimmt habe - acht Mal davon noch unter Ex-Kanzler Werner Faymann (SPÖ), acht Mal unter Kern. Auch Sobotka hätte dies bei fünf außerordentlichen Treffen der EU-Innenminister so mitgetragen.

Kern: "Österreich hat da schon sehr viel gemacht"
Demnach hätte sich die SPÖ auch nie gegen den Aufschub der Umverteilung ausgesprochen. Der Kanzler zeige sich daher optimistisch, dass Österreich von der EU eine Verlängerung der Ausnahme für die Umverteilung zugestanden bekommt. "Österreich hat da wirklich schon sehr, sehr viel gemacht, das wird auch von allen anerkannt. Bei der Umverteilung geht es ja nicht um eine humanitäre Katastrophe, sondern um eine Umverteilung innerhalb Europas. Da geht es um Menschen, die schon in Sicherheit sind. In jedem Fall geht es darum, dass wir hier auch die Solidarität der anderen einfordern. Auf Dauer ist es schwierig, wenn man Solidarität immer nur dann erlebt, wenn es einem selber nützt", hatte Kern erst am Samstag am Rande der EU-60-Jahr-Feier in Rom gesagt.

"Österreich hat sich in der Flüchtlingsfrage als besonders solidarisch erwiesen, weshalb Sobotkas Vorgängerin eine Ausnahme bei der Relocation erzielen konnte. Es wäre die Aufgabe des Innenministers gewesen, eine Verlängerung dieser Ausnahme im Interesse Österreichs zu erwirken", kritisierte am Sonntag SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder den Koalitionspartner.

Sobotka: "Österreich startet Umverteilung"
Ungeachtet der Kritik aus den Reihen der SPÖ will Sobotka nun jedenfalls mit der Umverteilung von Flüchtlingen starten. "Wir beginnen den Prozess", sagte er am Montag. Angesprochen darauf, ob die nun von ihm gegenüber Italien zugesagten 50 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge eine Ausnahme seien oder Österreich bis September seine Quote im Rahmen der Umverteilung erfüllt, meinte Sobotka: "Wir beginnen den Prozess. Wir sind vom Europäischem Rat, dem Kern angehört, dreimal aufgefordert worden, mit dem Prozess zu beginnen."

Der im September 2015 beschlossene zeitweilige Umverteilungsmechanismus sieht vor, dass 66.400 Flüchtlinge aus Griechenland und 39.600 aus Italien von den anderen EU-Staaten übernommen werden. Auf Österreich entfallen 1491 Flüchtlinge aus Griechenland und 462 aus Italien.

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