Bei 190 Objekten

D: Nächste Großrazzia gegen Islamisten-Netzwerk

Ausland
15.11.2016 07:40

Mit einer Großrazzia in zehn deutschen Bundesländern und mehr als 60 Städten ist die Polizei Dienstagmorgen rigoros gegen mutmaßliche Anhänger der Terrormiliz Islamischer Staat vorgegangen worden. Hunderte Polizisten durchsuchten 190 Objekte, die den Organisatoren und Anhängern der radikal-salafistischen Vereinigung "Die wahre Religion" zugeordnet werden. Diese Vereinigung steht hinter den umstrittenen Koran-Verteilaktionen mit dem Slogan "LIES!", die gezielt junge Menschen für den Dschihad anwerben. Festgenommen wurde bei den Großrazzia niemand.

Deutschlands Innenminister Thomas de Maiziere hat nach Angaben seiner Sprecherin die Vereinigung verboten. Die Vorlaufzeit für das Verbot betrug ihr zufolge etwa ein Jahr. De Maiziere werfe der Vereinigung den Verstoß gegen die verfassungsmäßige Ordnung sowie Volksverhetzung in Deutschland vor. Ihre Mitglieder verteilen in Fußgängerzonen und auf Plätzen Ausgaben des Koran. Die "Wahre Religion" erkläre die Ablehnung der Demokratie zur Pflicht für jeden Muslim, sagte der Minister.

Verdacht der Verbreitung von "Hassbotschaften"
Schwerpunkte der Polizeieinsätze, die um 6.30 Uhr zeitgleich in mehreren westdeutschen Bundesländern und Berlin begannen, waren nach Angaben der Nachrichtenagentur dpa und "Spiegel Online" Hessen mit knapp 65 Durchsuchungen sowie Nordrhein-Westfalen und Bayern mit jeweils fast 35. In Niedersachsen durchsuchten die Beamten mehr als 20 Liegenschaften, in Berlin fast 20, in Baden-Württemberg gut 15, in Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz und in Hamburg je etwa fünf und in Bremen eine. In ostdeutschen Bundesländern gab es keine Durchsuchungen. Laut de Maiziere handelte es sich nach dem Verbot des Kalifatstaates 2001 um das zweitgrößte Verbotsverfahren des Bundesinnenministeriums überhaupt.

Innenministerium: "Organisation verbreitet Hassbotschaften"
Es liege der Verdacht nahe, dass die Organisation "Hassbotschaften" verbreite und verfassungsfeindlich agiere, sagte die Ministeriumssprecherin. So habe eine Vielzahl der Menschen, die nach Syrien und in den Irak ausgereist sind, vorher Kontakt mit der Gruppe gehabt. Die Frage nach Erkenntnissen, die auf eine konkrete Vorbereitung von Anschlägen hindeuteten, verneinte die Sprecherin. Mehr als 140 junge Menschen sind nach Angaben de Maizieres nach der Teilnahme an "LIES"-Aktionen nach Syrien oder in den Irak ausgereist, um sich dort dem Kampf extremistischer Gruppierungen wie dem Islamischen Staat anzuschließen. "Eine systematische Beeinträchtigung unserer Grundwerte ist mit angeblicher Religionsfreiheit nicht zu vereinbaren."

Nach dpa-Informationen ging es der Polizei bei der Großrazzia vor allem darum, Vereinsvermögen zu beschlagnahmen und Beweismittel sicherzustellen. Zudem wollten die Behörden ein weiteres Zeichen gegen die Aktionen der radikalen Salafisten setzen. Das Verbot der salafistischen Vereinigung "Die wahre Religion" ziele laut der Sprecherin des Innenministers nicht auf die Verbreitung des islamischen Glaubens oder die Verteilung von Koranen oder deren Übersetzungen - verboten werden solle lediglich der Missbrauch des Islam durch Aktivisten, die extremistische Ideologien propagierten oder Terrororganisationen unterstützten.

Salafistischer Hassprediger als Kopf des gesuchten IS-Netzwerks
Führungsfigur der 2005 gegründeten radikal-salafistischen Vereinigung "Die wahre Religion" ist der islamistische Hassprediger Ibrahim Abou-Nagie (52) aus Köln. In einer Videoansprache mit dem Titel "Die Irreleitung der Demokratie" sagte der gebürtige Palästinenser: "Die Demokratie ist gegen den Islam und das Gegenteil des Islam." Im selben Video empörte sich der Prediger über die "Kuffar", die Ungläubigen: "Die versuchen aus uns Kuffar zu machen. Wenn wir die Scharia leugnen, dann sind wir Kuffar. Wenn wir die Demokratie akzeptieren, dann sind wir auch Kuffar."

Videos: Reden des Hasspredigers Ibrahim Abou-Nagie

Abou-Nagie hat nach Auffassung der Sicherheitsbehörden in den vergangenen Jahren ein Predigernetzwerk etabliert, das mit Seminaren, Spendengalas und Internetansprachen die salafistische Szene aufwiegelt. Laut dem Innenministerium hat "Die wahre Religion" bislang mehr als 2000 Propagandavideos ins Internet eingestellt. Abou-Nagie ist nach Informationen aus Sicherheitskreisen derzeit nicht in Deutschland, Ermittler vermuteten ihn zuletzt in Malaysia.

Hassprediger initiierte auch Koran-Verteilaktionen in Österreich
Die von Abou-Nagie initiierten und in Deutschland nunmehr verbotenen Koran-Verteilaktionen unter dem Motto "Lies!" gab es zuletzt nicht nur in Deutschland, sondern in insgesamt 15 Ländern, darunter auch Österreich. Weitere Staaten sind etwa Frankreich, Großbritannien, Schweden, Bahrain und seit Juni 2016 auch Brasilien. Nach dpa-Informationen soll das von dem 52-Jährigen in Deutschland organisierte Verteilprojekt "Lies!" demnächst auch in Malaysia beginnen.

Vereinigung reagierte via Twitter auf Verbot
Obwohl Abou-Nagie derzeit offenbar nicht in Deutschland weilt, reagierte seine Vereinigung bereits via Twitter auf das Verbot durch den Innenminister mit folgendem Text: "Der Quran wurde verboten in Deutschland, Wir haben jedem Allahs Botschaft erbracht. Allah u Akbar."


9200 radikal-islamistische Salafisten in Deutschland
Schon vor einer Woche war der deutschen Polizei ein wichtiger Schlag gegen das IS- Terrornetzwerk gelungen. In zwei Bundesländern wurden fünf Terrorverdächtige festgenommen, darunter befand sich auch der 32-jährigen Iraker Abu Walaa, der als "Nummer eins des IS in Deutschland" gilt. Das Bundesamt für Verfassungsschutz beziffert die Zahl radikal-islamistischer Salafisten in Deutschland auf rund 9200 - Tendenz weiterhin steigend. Das Potenzial islamistisch-terroristischer Personen wird auf etwa 1200 Männer und Frauen geschätzt. Bis Ende vergangenen Monats waren nach Angaben der Sicherheitsbehörden rund 870 Menschen aus Deutschland in die IS-Kriegsgebiete in Syrien und im Irak ausgereist. Darunter waren etwa 20 Prozent Frauen.

Hessens Innenminister Peter Beuth sprach bezüglich der Großrazzia am Dienstag von einer "eindeutigen Botschaft" an die "radikal-islamistische Szene". Mit dem Verbot der salafistischen Organisation werde bundesweit ein "wesentlicher Radikalisierungsfaktor ausgelöscht". Das Verbot sei auf Anregung des Bundeslands Hessen vorangetrieben worden.

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