"Krone"-Interview

Thees Uhlmann: “Berlin will was, und Wien ist was”

Musik
28.08.2013 10:38
Wortpoet, Textakrobat, Querdenker - der Hamburger Thees Uhlmann gehört zu den textsichersten und intelligentesten Musikern im deutschsprachigen Raum. Sein schlicht "#2" betiteltes, neues Album wird er im November in der Wiener Arena präsentieren. Im "Krone"-Interview sprach der 39-Jährige über einen AC/DC-Lieder singenden Jesus, wie sich die Gesellschaft dank Falco entwickelte und weshalb Versicherungsvertreter cooler sind als Marilyn Manson.
(Bild: kmm)

Der Mann kennt auch die andere Seite der Medaille. Thees Uhlmann ist nicht nur begnadeter Musiker und Textschreiber, sondern auch als Autor und Journalist unterwegs. Seine durchdachten Texte sind niemals belehrend und die offen zur Schau gestellte Working-Class-Hero-Mentalität zeugt von norddeutscher Bodenständigkeit. Nach veritablen Erfolgen mit seinem Soloalbum-Debüt "Thees Uhlmann" und dem achten Platz beim deutschen Song-Contest-Vorentscheid 2011, meldet sich das ehemalige Tomte-Mitglied nun mit "#2" zurück. Anlässlich der Albumveröffentlichung hat sich die "Krone" mit Uhlmann am Frequency-Festival zusammengetan.

"Krone": Thees, du hast dein neues Album "#2" getauft. Den Titel könnte man dir als Faulheit auslegen – warum ist dem nicht so?
Thees Uhlmann: Beim ersten Album sind wir einfach auf keinen guten Titel gekommen. Beim Neuen hatte ich keinen Bock auf die Schwere. Dass eben die Platte "Die Bomben meiner Stadt" oder "Der Fluss und das Meer" heißt oder so ähnlich. Norddeutschland musste auch nicht unbedingt als Titel herhalten. Alles, was ich unter dem Namen Thees Uhlmann veröffentliche, ist für mich mit einer gewissen Leichtigkeit und Jungfräulichkeit verbunden, weil es eben erst mein zweites Album ist. Wir haben gedacht, dass wir gleich einen leichten Titel nehmen. Wir wollten aber nicht mit Billy Talent oder Led Zeppelin in einer Reihe stehen, die ja mit lateinischen Nummern gearbeitet haben. Außerdem sind die Texte oft keine leichte Unterhaltung - somit konnte das zumindest der Albumtitel sein.

"Krone": "Die Bomben meiner Stadt" als erste Single wurde im Internet mit gemischten Gefühlen aufgenommen. War es für dich schwierig, dieses zweite Album zu schreiben?
Uhlmann: Ich reflektiere nicht besonders viel. Beim ersten Mal dachte ich mir einfach: "Gut, machen wir halt eine Soloplatte", aber im Endeffekt ist das Texten immer sauschwer. Die Endreime sollen passen und man will nicht dumm sein, sondern manchmal sogar besonders schlau. Man möchte sich auch nicht wiederholen und andere kopieren. Das ist viel Arbeit, aber gerade das finde ich besonders heiß.

"Krone": In diesem Song gibt es eine Textzeile, in der Jesus AC/DC-Lieder singt. Was steckt da dahinter?
Uhlmann: Wenn du durch Berlin gehst, siehst du Menschen mit schwersten psychosozialen Erkrankungen. Die gehen im Winter total verdreckt und barfuß durch die Gegend und reden mit sich selbst. Da habe ich mir vorgestellt, wie so ein Typ Jesus sein könnte und mit sich selbst darüber redet, wie er in die Hölle kommt. Wir haben in unseren Breitengraden immer ein katholisches Bild vor uns. Ich habe einmal einen Artikel von einem Kulturhistoriker gelesen, der sagte, AC/DC sei sein Gottesbeweis. Es muss Gott geben, weil es AC/DC gibt (lacht). AC/DC ist für durchgeknallte Christen Teufelsmusik. Ich fand das Bild einfach schön, dass Jesus eben AC/DC-Songs singt, weil er jemanden bestrafen will oder mit der Menschheit unzufrieden ist.

"Krone": "Zerschmettert in Stücke" ist eine schöne Ode an Wien. Welche Beziehung hast du zu dieser Stadt?
Uhlmann: Nur die beste. Ich habe in Wien meine ersten Erfolge gefeiert. Hier lief erstmals ein Song von uns im Radio und wir waren währenddessen live im Bandbus und sind gerade in die Stadt gefahren. Ich fand es immer toll, in Wien zu sein, weil die Stadt auf eine bestimmte Art und Weise genau das ist, was Berlin nicht ist. Berlin will was und Wien ist was – das mag ich sehr gerne.

"Krone": Ist das auch der musikalische Unterschied zwischen den beiden Städten?
Uhlmann: Ich erkläre dir das mit einem Beispiel. Wenn ich in Wien saufen war, stand auf der einen Seite ein Millionär, direkt daneben ein Indie-Kid und noch mal etwas weiter eine Frau, die bei McDonalds arbeitete. Alle haben durcheinander gequatscht. Mich interessiert keine Szene mehr, sondern nur noch eine Gesellschaft und die Geschichten, die die Menschen zu erzählen haben.

"Krone": Ist auch der gesellschaftliche Unterschied zu Berlin so viel größer?
Uhlmann: Aufgrund ihrer Biografie haben die Leute in Berlin großes Interesse, sich unter ihresgleichen zu sammeln. Das ist nicht richtig oder besser, sondern einfach Tatsache. Es gibt in Berlin Clubs für die Reichen und andererseits Absturzkneipen, wo nur alte Berliner hocken. Die Stadt ist wahnsinnig im Wandel begriffen. Viertel in der Innenstadt werden innerhalb von drei Jahren umgekrempelt.

"Krone": Du wirst oft und gerne mit Bruce Springsteen verglichen. Ehrt dich das oder versetzt dich dieser Vergleich in eine Drucksituation?
Uhlmann:(lacht) Für mich ist das eher lustig. Es kommt halt von meinen Albumcovern und meiner Art zu singen. Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass Sven Regener von Element Of Crime und Bruce Springsteen große Vorbilder sind. Die sind echt noch älter als ich und machen ihre Sachen total würdevoll und cool. Die beiden brauche ich auch als Vorbild, weil ich nicht der sicherste Typ bin. Ich liebe es zudem, wie sie ihre Kunst auf der Bühne präsentieren. Was ich an Springsteen immer schätzte ist, dass er eine Meinung hat, diese aber seinem Publikum nie im Sinne eines Klassensprechers vorgeträllert hat. Ich bin auch nicht mehr der 26-jährige Typ von Tomte, sondern ein 39-Jähriger, der sehr an der Grandezza der Normalität interessiert ist. Ich brauche keinen Marilyn Manson mehr, der mir erzählt: "Geil, ich habe gerade vier Gramm Kokain plattgemacht und hänge mit 17-jährigen Bitches rum." Das interessiert mich nicht und schockt mich nicht einmal mehr. Da suche ich eher die soziale Krankheit dahinter. Mich interessiert ein Versicherungsvertreter, den ich kennenlerne und der mich fragt, warum ich Musik mache. Ich sage dann, dass es das Einzige ist, was ich kann. Er entgegnet mir dann: "Genau so verkaufe ich meine Versicherungen." Da steckt seine ganze Passion dahinter. Das ist doch viel abgedrehter, als auf der Bühne Musik zu machen.

"Krone": Fließen diese Alltagsbegegnungen dann in deine Texte ein?
Uhlmann: Ganz stark. Auf dem neuen Album gibt es ja den Song "Kaffee und Wein" und mit der Textzeile "kannst nicht bleiben, musst immer reisen, wir haben einen exzellenten Ruf zu verlieren, in schlechten Kreisen", gibt es eine starke Verbindung. Ich bin ein Hardcore-St.-Pauli-Fan und ich habe einen HSV-Anhänger kennengelernt. Normalerweise sind die sich spinnefeind. Das gehört sich so und soll auch so bleiben, aber ich bin mit ihm unter massivstem Biereinsatz abgehangen und wir haben immer aufgepasst, dass uns zusammen hoffentlich keiner sieht. Das war ein bisschen Romeo-und-Julia-mäßig. Wir haben dann diskutiert und er war ungefähr 2,80 Meter groß und 120 Kilo schwer (lacht). Er hat mir dann erzählt, dass er auch schon Probleme mit seiner Leidenschaft zum Fußball hatte im Sinne von Stadionverbot. Dann sagte er plötzlich zu mir: "Thees, wenn ich mal Kinder bekomme, ist das Einzige was ich ihnen vererben kann, ein guter Ruf in schlechten Kreisen." Das war plötzlich der ungefähr beste Satz auf der ganzen Welt.

"Krone": Noch einmal kurz zurück zu deinem Wien-Song. Du erwähnst dort auch Falco. War der Falke ein Einfluss für deine Karriere?
Uhlmann: Das nicht, aber ich kann mich an ein Gefühl erinnern. Ich war acht Jahre alt und habe ihn im Fernsehen gesehen. Es ging eine gewisse Bedrohung, etwas schwer Fassbares von ihm aus. Wahrscheinlich eben dieses Kokain und dieses Genie. Ich kann mich auch an den Diskurs zum "Jeanny"-Song erinnern, wo Wilhelm Wieben das Intro gesprochen hat. Da wurde regelrecht auf den Künstler eingeschlagen, wobei ich aber auch ganz genau weiß, dass durch diesen Song das Thema Vergewaltigung mehr in die Gesellschaft gerückt ist. Daraufhin haben sich Frauen viel öfter gemeldet und Hilfe gesucht. Dafür Schläge zu kassieren und eine Gesellschaft progressiv nach vorne zuas aushalten würde. Verteidigen könne ich den Text natürlich schon, aber irgendwann hast du keine Macht mehr über den Diskurs. Ich denke da zum Beispiel an Springsteens "Born In The USA". Das Lied haben die Republikaner für den Wahlkampf benutzt, obwohl er keinesfalls als pro-amerikanischer Song gedacht war. Er hat ja was total anderes gemeint. Es war kein "Faust hoch, Amerika"-Song, sondern ein Anti-Vietnamkriegs-Statement.

"Krone": Achtest du beim Texteschreiben darauf, gewisse Grenzen nicht zu überschreiten?
Uhlmann: Eigentlich nicht. Es gibt keine Sexismen und keine Beleidigungen und der Text soll natürlich gut sein. Zumindest ich muss damit zufrieden sein.

"Krone": Alle deine Texte sind sehr durchdacht. Wie lange und akribisch arbeitest du daran?
Uhlmann: Das ist ganz unterschiedlich. "Kaffee und Wein" habe ich in einer Stunde geschrieben und "Weiße Knöchel" in etwa neun Monaten.

"Krone": Kommt da nicht die Verzweiflung und der Gedanke, einen Song wegzuschmeißen?
Uhlmann: Wenn die Verzweiflung kommt, dann schreibt mir plötzlich Casper nachts eine SMS mit dem Inhalt: "Ich kann nicht mehr." Das Gleiche kriegt er zurück und dann wissen wir, wir müssen weitermachen. Es ist super, wenn man so einen "Partner In Crime" hat. Außerdem ist er einer meiner deutschen Lieblingskünstler.

"Krone": Ein "Partner In Crime" ist auch dein Gitarrist und Produzent Tobias Kuhn, der dich oft ordentlich antreibt. Da kommt es doch sicher auch immer wieder zu Streitsituationen?
Uhlmann: Wenn man das so macht wie Tobias, geht das nicht ganz ohne Reibereien. Man macht aber auch keinen Scheiß und es ist verdammt anstrengend, so eine Platte zu schreiben. Es ist toll, wenn man sich so auf einen verlassen kann und – im sportlichen Sinne – jemanden anschreien kann. Obwohl auf dem Album nur Thees Uhlmann draufsteht, habe ich ein so starkes Crew- und Bandgefühl wie nie zuvor.

"Krone": Wie wichtig ist in so einer Konstellation dein Ego. Steht das über dem Bandgefüge?
Uhlmann: Beziehungen laufen am besten, wenn man die Hierarchiesysteme innerhalb einer zehnköpfigen Gruppe nicht erläutern muss. Es gibt auch keinen Grund, dass ich mich als Chef aufspielen muss, weil wir sehr gut funktionieren. Das beste Beispiel findet doch gerade bei Konzerten und Festivals statt. Ich gebe Interviews und die Crew muss bei 30 Grad die Bühne aufbauen – da darfst du vor allem den Strom an kostenlosen Cola-Getränken nicht enden lassen (lacht). Aber genau darum geht's – sie respektieren, was ich mache, und umgekehrt. Man muss nicht rumschreien, beweisen, dass man der Chef ist, und einen auf Mann machen. Vor zehn Jahren hätte ich mir auch noch nicht vorstellen können, mit einer Frau in einer Band zu spielen. Jetzt haben wir die 22-jährige Julia am Klavier und sie ist verdammt cool. Ich bin auf der Bühne nervöser. Man fragt also eine 22-Jährige nach Rat, wie man weniger aufgeregt sein kann. Das ist toll!

"Krone": Hast du gegen richtiges Lampenfieber zu kämpfen?
Uhlmann: Vor den Toten Hosen zum Beispiel schon. Sagen wir mal – vor neuen Situationen immer. Das kann aber auch lustig sein. Ansonsten ist es eher eine große Anspannung.

"Krone": Wie wertest du den kommerziellen Erfolg deines Projekts im Vergleich zur künstlerischen Freiheit?
Uhlmann: Erfolg ist eine Sache, die passieren sollte, wenn man das tut, was man liebt. Manchmal trifft man den Zeitgeist und dann wieder nicht. Das geht immer in Wellenbewegungen hin und her.

"Krone": Wolltest du schon mal den Hut draufhauen?
Uhlmann: Niemals. Musik ist einfach das, was ich mache, seit ich 14 bin. Damals habe ich halt Metal-Songs geschrieben mit englischen Texten gegen den Atomkrieg. Im Endeffekt mach ich ja noch heute kaum was anderes. Es gibt in mir einen starken Drang, das so zu organisieren, dass ich die Hälfte der Woche in einem Kindergarten arbeite und die andere Hälfte in einer Band spiele. Das ist aber fast unmöglich, weil ich für die Band zu viel arbeiten muss. Diese Verbindung würde mich aber sehr zufriedenstellen.

"Krone": Wie wäre es musikalisch mit einer Rückbesinnung zu den alten Wurzeln? Einem Heavy-Metal-Nebenprojekt beispielsweise.
Uhlmann: Baroness sollten meiner Meinung nach die neuen Metallica sein. Das ist Metal, aber auch etwas poppig und ganz toll. Ich finde mittlerweile den Song "Ain't No Mountain High Enough" (von Diana Ross - Anm.) viermal so hart wie Black Metal. Black Metal klingt ja nur wie ein Rasierapparat. Auf Punk hätte ich noch mal Bock, aber in der Metalszene ist mir zu viel Theatralik.

"Krone": Steckt in dir selbst noch ein Punk?
Uhlmann: Auf jeden Fall. Ein junger Thees Uhlmann steckt auch noch in mir. Man sieht die Welt mit 18 mit ganz anderen Augen. Ich hatte einen wundervollen Vater. Er war ein witziger Rechtskonservativer und für einen 18-jährigen Punk war er die perfekte Palette zu bemalen. Er hat sich aber auch immer die Zeit genommen, mit mir zu diskutieren. Wir haben beim Abendessen Schlachten geschlagen und er hat immer gemeint, dass das bei mir schon noch wird (lacht). Ich habe ihn einmal in einer Hasch-Diskussion geschlagen. Da hat er dann gesagt, er akzeptiere meine Meinung, aber ich habe unrecht. Er konnte nichts mehr argumentieren.

"Krone": Also ist auch eine Platte mit ausgestrecktem Mittelfinger möglich?
Uhlmann: Durchaus, aber man darf niemals die Leute bevormunden. Wenn du so ein Klassensprecher-Typus bist im Sinne von "Ich bin ein bisschen schlauer als ihr und erklär euch das jetzt mal", dann wird das keinen Erfolg haben.

Thees Uhlmann wird sein neues Album "#2" am 9. November in der Wiener Arena präsentieren. Karten für das Konzert erhalten Sie unter 01/960 96 999 oder im "Krone"-Ticketshop.

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