Stadthalle live

The Prodigy: Maschinell, gleißend, eindrucksvoll

Musik
14.11.2015 10:35
Nur 4.000 Fans verirrten sich Freitagabend in die Wiener Stadthalle, um gemeinsam mit der 90er-Kultband The Prodigy eine ausufernde Techno/House-Party zu feiern, doch Keith Flint und Co. zeigten sich trotzdem in absoluter Bestform. Überraschung - die im Vorprogramm aufgetretenen Kult-Rapper Public Enemy haben nichts von ihrer Würze verloren.
(Bild: kmm)

Der Ansturm auf The Prodigy war schon einmal größer, keine Frage. In die rundum abgehängte Wiener Stadthalle verirren sich nur etwa 4.000 Fans, obwohl das Package eigentlich die perfekte Rutsche in ein entspannendes Wochenende bietet. Keith Flint und Co. sieht man hierzulande für gewöhnlich aber auch auf den großen Freiluftbühnen - kaum eines der großen heimischen Festivals, das The Prodigy in den letzten Jahren nicht mehrfach beackert hätten, doch wie intensiv und durchdringend eine Show der britischen Acid-House-Legenden eigentlich sein kann, das erlebt man besser im intimeren Rahmen.

Kühl, schaurig, mystisch
Die industrielle Kühle, die in jedem angriffigen Beat von Mastermind Liam Howlett steckt, durchdringt mit mächtigen Bässen und einem mechanisch wirkenden Schlagzeug sämtliche Organe. The Prodigy machen keine Musik für den Alltag oder den Humanismus, bei den Briten versteckt sich hinter den paralysierenden Lichteffekten auch immer eine kräftige Dosis Schaurigkeit und Mystik. Im Stakkatotakt donnern die Stroboskop-Effekte vom über der Bühne hängenden, mechanischen Lichtstern, der das musikalische Treiben ohne Unterlass begleitet.

Alternder Kettenhund
Laser- oder Pyroeffekte sind nicht nötig, um für knapp eineinhalb Stunden Aufsehen zu erregen, zu durchdacht ist die visuelle Choreografie geplant. Hinter dem ständigen Flackern und partiell eingesetztem Nebel sind die beiden Fronttänzer und -sänger fast unauffällig. Hier der athletische, stets das Publikum animierende und für die feineren Stimmnuancen zuständige Maxim, dort der diabolische, stets wie ein angehängter Kettenhund auf seine Beißmöglichkeit wartende Keith Flint, Mitte der 90er-Jahre noch schlimmster britischer Bürgerschreck seit Johnny Rotten, heute doch eher eine unfreiwillig witzige, aber immer noch hungrige Altersversion seines Alter Egos.

Die mit 80 Minuten enorm kurz ausgefallene Setlist konzentriert sich vornehmlich auf das neue Album "The Day Is My Enemy" und lässt nur phasenweise Rückblicke in die Vergangenheit zu. Mit "Breathe", dem unkaputtbaren "Firestarter" und dem eindringlichen Show-Highlight, "Voodoo People", gewinnen The Prodigy den lautesten Applaus aber mit den Klassikern. Das Potenzial zu solchen zu reifen haben auch Nummern wie "Wild Frontier" oder "Rok-Weiler", aber das Ungestüme und Kompromisslose der jungen Tage in der Hochzeit der Rave-Explosion, das vermag Beatbastler Howlett mit den neuen Songs nicht mehr zu vermitteln. Gerät die Show zwischendurch in Gefahr, hier und da redundant zu werden, rennt Maxim eben schnell durch das Publikum oder gibt Flint, wie aufgezogen von einem Bühneneck ans andere laufend, den rastlos-psychopathischen Derwisch.

Wider dem Mainstream
Auch wenn der Zugabenblock mit "Their Law", "Wall Of Death" und "Take Me To The Hospital" etwas sonderbar ausfällt, kann man sich kaum gegen die Intensität dieses Show-Erlebnisses erwehren. Gerade in Zeiten der USB-Sticks verwendenden EDM-Kirtags-DJs ist die konzeptionierte Breite der Kompositionen aus 25 Jahren The Prodigy ein Segen, der auch heute wieder eindrucksvoll ins Gedächtnis gerufen hat, wie gut elektronische Musik doch sein kann, wenn sie nicht ausschließlich zur Verstärkung des Künstlerimages exerziert wird. Alte Besen kehren oft doch noch ziemlich gut.

Noch ältere Besen kehrten die nur halb geöffnete Bühne davor grundsauber. Dass The Prodigy die New Yorker Kult-Rapper Public Enemy als Support für ihre Europa-Tour engagierten, verwunderte den einen oder anderen schon im Vorfeld, doch bei genauerem Hinsehen offenbart sich dem Besucher der offensichtliche Konnex - bei beiden liegen die Glanzzeiten mehr als 20 Jahre zurück und beide zeigen sich unermüdlich in ihrem Bestreben, die Musikwelt noch immer revolutionieren zu können. Chuck D und der auch aus dem TV sattsam bekannte Flavor Flav nähern sich zwar mit Riesenschritten ihrem 60er, haben aber nichts an Attitüde und Coolness der alten Tage eingebüßt.

Traurige Botschaft
Flavor Flav flitzt auf einem Rollerboard über die Bühne, während er mit seinem Rap-Buddy Klassiker wie "Rebel Without A Pause", "Don't Believe The Hype" oder "He Got Game" anstimmt. Wie schon auf ihren Alben, agieren Public Enemy auch live ziemlich chaotisch. Spontanität und Improvisation sind das oberste Gut, DJ Lord sorgt für die nostalgischen Samples im funkigen Treiben, das die guten alten Tage des Hip Hop ins Gedächtnis ruft. Im Gegensatz zu den hedonistisch veranlagten The Prodigy sind die Texte der Rapper bekanntermaßen politisch und tiefgreifend. Am Ende fordert Flavor Flav die Menge dazu auf "fuck racism & fuck separatism" zu skandieren, wünscht sich Frieden unter allen Kindern Gottes. Eine Botschaft, die auf dieser Tour noch nie so gültig war, wie an diesem Abend…

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