"Krone"-Interview

The 1975: “Habe Angst vor dem Berühmtsein”

Musik
26.12.2013 08:00
In England zählten die jungen Rabauken von The 1975 zu den größten Entdeckungen des Jahres - mit ihrem selbst betitelten Debütalbum schossen sie an die Spitze der Albumcharts. Vor dem ausverkauften Gig im Wiener Flex trafen wir Bandkopf Matt Healy, um mit ihm über die Tücken des Ruhms, bedrohliche Mittelklasse-Langeweile und himmlische Erlebnisse zu sprechen.
(Bild: kmm)

"Krone": Matt, euer selbst betiteltes Debütalbum erreichte den unglaublichen ersten Platz in den britischen Albumcharts. Was war daraufhin dein erster Gedanke?
Matt Healy: Ich fragte mich, warum ich mich nicht anders fühle. Warum fühle ich mich nicht erlöst? (lacht) Die Leute erzählen dir, dass du die Spitze erreicht hättest und nicht mehr weiter kommen kannst. Ich nehme die Menschen dann immer auf die Schaufel und sage: "Oh Gott, ich dachte ein Licht erstrahlt aus meiner Brust und befördert mich jetzt geradewegs in den Himmel." Im ersten Moment habe ich das wirklich nicht als großes Ding betrachtet und war kurz darauf von mir selbst so angepisst, dass ich mich deshalb nicht glücklicher fühlte (lacht). Ein paar Wochen später habe ich es aber doch realisiert und so kann ich mich heute wirklich darüber freuen.

"Krone": Interessant finde ich, dass ihr nicht vor einer Mischung aus Rock, Pop, R&B, Dance-Elementen und elektronischen Einflüssen zurückschreckt.
Healy: Darauf werde ich oft angesprochen und es ist eigentlich ganz leicht zu beantworten – es liegt an meiner Generation. Ich schreibe genau die Einflüsse nieder, die ich von außen bekomme, und die meisten Leute in meiner Generation sind nun einmal von all den Medien und dem Internet beeinflusst. Wir konsumieren Musik heute aus einer völlig anderen Perspektive und aus vielen verschiedenen Eckpunkten. Wir hören dadurch einfach so viele Arten von Musik, dass wir das automatisch so umsetzen. Ich würde es viel schwieriger finden, sich nur auf eine Art von Musik zu versteifen. Wir sind mittlerweile seit zehn Jahren zusammen und hören exakt genau so lange zusammen Musik. Unser Musikwissen ist also ziemlich ähnlich und es gibt nur wenige Künstler, die einer von uns kennt und der andere nicht. Im Prinzip ist die Musik eine Reflexion unserer Persönlichkeiten.

"Krone": Du hast in einem Interview gesagt, dass euer Debütalbum der Soundtrack deines Lebens wäre. Was meinst du damit genau?
Healy: Ich meinte damit eher, dass wir einen Soundtrack unseres Lebens versuchten. Das Album hat sich musikalisch von den ersten Gehversuchen bis zu den fertigen Aufnahmen mehrmals stark verändert, aber die Texte waren schon immer da. Als ich sie schrieb, wusste noch kein Mensch wer ich bin. Das bedeutet, dass das Texteschreiben für mich eine Art des Tagebuchführens war. Ich habe mich nicht darum gekümmert, ob ich jetzt zu ehrlich bin oder es den Leuten gefällt – diese Fragen existierten nicht. Wir haben uns dann überlegt, was das Album repräsentiert und wir kamen zum Schluss, dass es unser Tagebuch ist. Es war eine Art Sammelalbum, in dem wir sogar Konversationen und Situationen unseres Lebens porträtiert haben. Die andere Seite an uns zeigt unsere Leidenschaft für Musik und Film und wir wollten auch, dass das Album filmisch klingt. Uns war völlig egal, ob uns das als arrogant ausgelegt wird oder wir zu poppig seien. Wir haben uns überlegt: "Wenn der berühmte Regisseur John Hughes einen Film über uns Leben machen würde, was wäre der Soundtrack?" Das Ergebnis ist eben "The 1975".

"Krone": Wie alt sind die Texte auf dem Album?
Healy: Ich denke, die Texte gehen zurück bis 2009 und enden heuer. Ich schrieb sie also im Alter von 20 bis 24 Jahren. Moment – den Text zu "Sex" habe ich noch früher geschrieben. Natürlich haben sich die Texte im Laufe des Älterwerdens leicht verändert.

"Krone": Ein zweites Album zu schreiben, ist dann doch um einiges schwieriger.
Healy: Bitte jag' mir keine Angst ein Mann (lacht). Wir sind aber schon fleißig am Arbeiten, haben etwa zehn Songs als Gerüst – ich weiß momentan eh schon nicht mehr, wo mir der Kopf steht.

"Krone": Ihr schreibt also auch fleißig Songs auf Tour?
Healy: Ja. Wir mögen das zwar nicht so gerne, aber es bleibt nicht aus. Unlängst habe ich mein erstes Appartement bezogen – auch dort sind wir sehr gerne kreativ. Das zweite Album soll übrigens noch viel ehrlicher sein. Denk doch mal an Radiohead. Jedes Mal, wenn die ein Album rausbringen revolutioniert es quasi die Kunst und wird sofort als DAS Radiohead-Album bezeichnet, das die Band definiert. Als "OK Computer" rauskam, war ich sowieso hin und weg, weil das Album einfach alles vorher Geschehene destilliert und neu ausgespuckt hat. Jeder fragt dich immer, was du am zweiten Album machen wirst. Ich kann es dir ganz klar sagen: Du nimmst einfach alles von deinem ersten Album und erweiterst es in allen Bereichen. Die harten Momente werden härter, die dunklen dunkler. Das wird unserem Album passieren, weil es auch mir als Person so geht. Ich bin nicht mehr einfach nur Matty, sondern werde langsam zu Matt von The 1975.

"Krone": In deiner Jugend bestand dein Leben vorwiegend aus Alkohol, diversen Drogen und Skateboarding. Klingt nicht wie die einfachste Zeit.
Healy: Es war eigentlich total einfach, weil ich ja sonst nichts im Kopf hatte (lacht).

"Krone": Hast du diesen Lebensstil benötigt, um dadurch eine Art Ausdrucksventil für deine Kunst zu finden?
Healy: Als ich 18 war, war das so. Als wir in Manchester zuhause bekannt wurden, hießen wir noch nicht mal The 1975, aber wir waren eine coole junge Modern-Rock-Band. Ich war damals eine Parodie von mir selbst. Wenn ich über Drogen schrieb, nahm ich welche, wenn ich über Probleme mit Frauen schrieb, machte ich mir welche. Es war eigentlich nur Bullshit. Ich habe dann gelernt, dass man einfach nur ehrlich über seine Erlebnisse schreiben muss. Selbst wenn es etwas total Spezifisches ist, werden die Leute zumindest irgendeinen Ansatz finden, mit dem sie deine Musik mit ihrem Leben gleichstellen können. Wenn die Menschen etwas mögen, machen sie die harte Arbeit für dich und füllen die Lücken zwischen ihnen und der Musik mit einem idealistischen Standpunkt. Wenn du ihnen einen großen Songtitel wie "Sex" gibst und ein paar persönliche Lyrics dazustellst, werden sie das Ganze mit ihren eigenen Erfahrungen komplettieren. Das ist auch der Grund, warum die Leute uns mögen. Wir sind einfach so spezifisch, dass die Menschen mehr Zeit und Gedanken in uns investieren können.

"Krone": Ihr habt mehrere aussagekräftige und interessante Songtitel, wie zum Beispiel "Chocolate". Worauf sprichst du dabei an?
Healy: In dem Fall kam der Titel zuerst und ich weiß nicht mal mehr warum. Der Song klang einfach irgendwie nach Schokolade. Wir haben den Titel als Synonym für Weed verwendet. Es war im Endeffekt aber kein Song über Weed, sondern über die Beziehung von einer kleinen Subkultur in einer Mittelklasse-Stadt, die enorm gelangweilt ist. Das Ergebnis dieses Mittelklasse-Nonsens ist, abzuhängen und in einem Auto Weed zu rauchen und sich dabei von der Polizei jagen zu lassen.

"Krone": Im Prinzip wart ihr also immer gelangweilt?
Healy: Ja, das liegt aber daran, dass ich als Person gewissen Süchten nicht abgeneigt bin. Es klingt traurig, ist aber wahr, dass ich mich nur dann nicht gelangweilt fühle, wenn ich physisch stimuliert werde. Ich habe immer versucht, mein ewiges Gefühl der Langeweile loszukriegen. Der Gedanke an einen Job, in dem ich regelmäßig arbeite war der absolute Horror für mich. Das konnte ich einfach nicht machen. Ich hatte so viele verschiedene Jobs, die ich nach einer oder zwei Wochen wieder hinschmiss. Es funktionierte einfach nicht.

"Krone": Musik bot dir die Energie, die sonst überall fehlte?
Healy: Ja, weil ich dadurch ich selbst wurde. Die Leute, vor allem diejenigen, die unsere Musik sowieso nicht mögen, hassen es, wenn ich so etwas sage. Aber Musik macht mich ganz verrückt im positiven Sinn. Schon als Kind haben mich gewisse Rhythmen so berührt, dass ich weinen musste. Ich habe dann begonnen, die Musik richtiggehend zu umarmen. Die ganze Welt stech das einzige, das ich machen kann.

"Krone": Bist du nicht auch stark von der großen Musikszene aus Manchester inspiriert?
Healy: Ich bin davon inspiriert, nicht von der Manchester-Szene inspiriert worden zu sein, weil wir selbst einfach keine Manchester-Band waren. Ich und George sind dort nicht einmal wirklich aufgewachsen. Meine Musikgeschichte, die mich als Erwachsener zu dem formte, der ich bin, war schwarze amerikanische Musik und 90er-Jahre R&B, den ich bei meinen Eltern hörte. Das waren etwa TLC oder Boyz II Men. Mein Vater war mehr auf Al Green, Wilson Pickett und die Stones. Zusammengefasst war es einfach Musik mit viel Soul. Ich habe Respekt vor den Bands aus Manchester, aber den Leuten ist es sicher völlig egal, ob wir uns dort verwurzelt sehen oder diesen Dialekt sprechen. Woher wir kommen ist nur irgendein kleines Detail.

"Krone": Im Sommer habt ihr doch die Rolling Stones supportet.
Healy: Das war der Wahnsinn. Ich habe nach rechts geschaut und da stand Mick Jagger, ich schaute nach hinten und da hing unser Banner und dann schaute ich noch nach vor und dort stand mein Vater (lacht). Das war ein brillanter Tag und die Leute sagen uns auch immer wieder, welche Ehre wir da hatten.

"Krone": Ihr werdet von außen gerne in die Schublade einer "Schwarz/Weiß-Band" gesteckt. Was bedeutet das für euch?
Healy: Wenn Leute uns wo hineinkategorisieren sollen, ist mir das recht. Die Menschen waren sogar verärgert als wir das neue Video zu "Girls" in Farbe drehten. "Das seid ja nicht mehr ihr. Beugt ihr euch schon dem Druck der großen Plattenfirmen?" Ich habe die Leute dann daran erinnern müssen, dass der Grund, warum sie uns als Band immer mochten, die Tatsache war, dass bei uns immer das Unerwartete vorkam. Im Endeffekt haben wir auch bei dem Video nichts anderes gemacht, keine Sorge (lacht).

"Krone": Am Beginn des Videos beweist ihr ziemlich viel Selbstironie, indem ihr behauptet ihr wollt nicht wie eine Pop-Band aussehen, aber den vielleicht eingängigsten Song darauf folgen lässt. Wie wichtig ist euch der Spaß in der Band?
Healy: Wir sind derzeit ein bisschen erschreckt darüber, wie groß wir gerade in England werden. Wenn du viel Ernsthaftigkeit in dein Business steckst, brauchst du genauso den Spaß. Die Leute redeten schon über einen Majorlabel-Vertrag, dabei ist das von der Wahrheit so weit entfernt. Wir haben einen Marketing-Deal unterzeichnet, nachdem "Chocolate" in den Singles-Charts auf Platz 20 rückte. Wir sind noch immer auf unserem Label und machen was wir wollen. Viele verstehen nicht, wie das ohne Unterstützung geht, aber wir brauchen das verdammt noch mal nicht. Es geht darum, dass ein Label die Band bestmöglich unterstützt und nicht versucht, ein orchestriertes Kunstprodukt daraus zu formen. Das Video zu "Girls" ist ja eigentlich lächerlich. Es ist der poppigste Song der Welt und ich muss fast selbst darüber lachen, wie poppig er schlussendlich ausgefallen ist. Es war eher als eine Art Scherz gedacht. Der Gedanke war: Wenn die Leute schon glauben, wir würden uns in die Fänge eines Major-Labels begeben, dann machen wir halt auch ein Video das so aussieht. Das haben wir schließlich durchgezogen.

"Krone": Hast du persönlich Angst davor, noch größer und berühmter zu werden?
Healy: Ich habe keine Angst davor, noch erfolgreicher zu sein, aber ich habe etwas Angst, dass mein Verstand vielleicht nicht in der Lage dazu ist, diese Entwicklung mitzutragen. Momentan geht es mir ganz gut, aber wenn Dinge irgendwie zu weit gehen oder außer Kontrolle geraten, wird es für mich schwierig. Ich lese mir zum Beispiel überhaupt keine Album-Kritiken durch. Wenn sie positiv sind, fühle ich mich wie der größte Mensch der Welt und sind sie negativ, treffen sie mich im Kern meines Herzens. Ich habe also weniger Furcht davor, dass wir erfolgreicher werden – mich ängstigt eher die Tatsache, dass ich selbst dadurch berühmter werde.

"Krone": Dann könnte es schnell passieren, dass die Leute auch in deinem Privatleben zu graben beginnen.
Healy: Genau darum geht's. Meine Band und ich sind sehr ehrlich und ich fürchte mich einfach davor, dass diese Ehrlichkeit ausgenutzt wird. Wenn Leute versuchen, durch das Ausnutzen meiner Kunst einen Zugang zu meinem Privatleben zu kriegen, um Sachen herauszufiltern, die ich mit niemandem teilen möchte. Aber mal ganz ehrlich – was ist die Alternative? Soll ich wieder ein abgewrackter und drogenkonsumierender Niemand werden, der glaubt, dadurch cool zu sein? Darauf habe ich weniger Bock (lacht).

"Krone": Auf der anderen Seite spielt ihr in einigen Jahren vielleicht die ganz großen Arenen.
Healy: Wir haben unlängst zwei Konzert im Alexandra Palace in England gebucht, wo 10.000 Leute pro Nacht Platz haben. Das ist einfach nur irre. Als ich klein war, sah ich dort Eric Clapton – und jetzt sollen wir dort spielen? Unglaublich (lacht).

"Krone": Ist das Feedback aus anderen Ländern ähnlich euphorisch wie aus eurer Heimat England?
Healy: Der Wahnsinn. Wir fahren fast jeden Tag in ein anderes Land, um vor ausverkaufter Halle zu spielen. Wir waren in New York, Los Angeles, London, Paris, Amsterdam, Tokio oder Wien – es ist immer ausverkauft. Natürlich hängt das auch mit der Macht des Internets und der Globalisierung zusammen. Du bist nicht mehr ganz so abhängig von herkömmlichen Medien und entdeckst einfach schneller den Zugang, zu weniger bekannten Gigs oder Konzerten. Auch für die Bands ist das eine Hilfe. Es wirkt so, als ob ich da schummeln würde, schließlich haben die Rolling Stones lange gebraucht, bis sie in den USA waren. Bei uns brauchte es nur drei Monate für eine ausverkaufte Tour dort drüben.

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