"Krone"-Interview

Steven Wilson: “Kreativität ist immer evolutionär”

Musik
14.04.2016 15:25

Steven Wilson war schon als Mastermind von Porcupine Tree ein König des Kreativen - als Solokünstler hat er es mit den letzten Alben "The Raven That Refused To Sing" und "Hand. Cannot. Erase." sogar in die vordereren Ränge der Mainstream-Charts geschafft. Vor seinen Österreich-Auftritten in Wien, Graz und Linz baten wir den 49-Jährigen zum kurzen Gespräch und erfuhren, warum er die Fackeln der Prog-Rock-Größen nicht weitertragen will, weshalb er die Zukunft der Musik nicht ganz so düster sieht und weshalb er sein Publikum lieber mal enttäuscht, als nur immer die Erwartungshaltung zu erfüllen.

(Bild: kmm)

"Krone": Steven, in einer CD-Kritik hat dich mal jemand als bipolare musikalische Persönlichkeit bezeichnet, weil niemand je weiß, was du als nächstes vor hast. Ist das die perfekte Umschreibung für dein Dasein als Künstler?
Steven Wilson: Ich mag die Idee, dass ein kreatives Leben immer evolutionär vor sich geht. Was mir in diesem Geschäft schon immer sehr komisch vorkam ist die Tatsache, dass die meisten Künstler, sobald sie etwas Erfolg haben, in ihrer Entwicklung stehen bleiben und sich nur mehr selbst wiederholen. 95 Prozent der Künstler machen das und es ist heute schon normal. Und dann gibt es da noch die Ausnahmen - David Bowie, Frank Zappa oder Neil Young, die sich konstant neu erfinden und alles überwerfen und verändern, um sich selbst herauszufordern. Für mich war diese Art des Arbeitens immer die einzig schlüssige Möglichkeit, um mich und auch mein Publikum herauszufordern. Ich versuche einfach mich selbst zu überraschen und manchmal gelingt mir das auch mit dem Publikum, obwohl ich es wohl auch oft enttäusche. (lacht) Immer dasselbe zu machen wäre für mich keine Option. Ein Künstler ist per se ein sehr eigensinniger Geist.

"Krone": Nebenbei remixt du Alben großer Künstler wie King Crimson oder Yes und hast Bands wie Opeth, Marillion oder Orphaned Land produziert. Was macht diese Seite der Musik für dich so interessant und wie würdest du es mit dem Prozess des Musikerschaffens vergleichen?
Wilson: Der Prozess des Remixens ist für mich eine Art von Ausbildung. Ich habe ja nicht nur Progessive-Rock-Bands remixt, sondern auch Tears For Fears oder Roxy Music. Wenn du einen Klassiker zuerst dekonstruierst und dann rekonstruierst, lernst du extrem viel über die Art des Albumerstellens und wie die Musiker früher ihre Alben gemacht haben. Ich kann mein Wissen dabei enorm erweitern. Zudem kann ich diese Einflüsse und Erkenntnisse auch für mich und meine Kunst ummünzen. Einerseits verspüre ich großen Spaß dabei, diese Klassiker zu bearbeiten und andererseits habe ich die großartige Chance, ganz viele der Größen, die für diese Musikhistorie verantwortlich sind, persönlich kennenzulernen. Das ist natürlich eine große Ehre für mich.

"Krone": Leute wie Jethro Tull's Ian Anderson oder Robert Fripp von King Crimson gelten gemeinhin nicht unbedingt als einfach und sind nicht leicht zufriedenzustellen. Waren die immer glücklich mit allem, was du aus ihren Klassikern gemacht hast?
Wilson: Natürlich sind sie nicht einfach, aber ehrlicherweise muss ich sagen, dass sie nicht schwieriger sind als ich es selbst bin. (lacht) Das sind die Kapitäne der Schiffe, sie halten die Fackeln dieser Musik immer noch hoch und waren damals für all die Geniestreiche verantwortlich. Sie hatten die Visionen und fanden die richtigen Zugänge. Diese Musikhistorie ist unheimlich wertvoll und ich habe mittlerweile eine Perspektive, wo ich verstehen kann, warum sie ihre Musik wie ein Kind schützen und über alle Schritte genau Bescheid wissen wollen. Das wäre bei mir nicht anders, würde sich jemand an meine Alben machen. Das ist wohl auch der Grund, warum ich mit diesen Leuten so gut auskomme. Sie sind absolute Kontrollfreaks, genau wie ich. (lacht)

"Krone": Unlängst haben die kanadischen Prog-Rock-Legenden Rush bekanntgegeben, ihre Livekarriere ausklingen zu lassen. Es deutet sich immer stärker an, dass du bald die Fackel dieses Genre hochhalten musst, nachdem die alten Größen langsam aber sicher abdanken.
Wilson: Mich interessiert es aber nicht, eine generierte Form der Musik darzubieten. Wer verwendet denn heute noch den Terminus Prog Rock? Ich nicht, obwohl ich verstehen kann, dass die meisten Menschen mich mit dieser traditionellen Bezeichnung von Musik in einen Kontext setzen. Wie du anfangs schon gesagt hast, wissen die Leute nie so genau, was sie von mir bekommen und das mag ich. Ich sehe mich einfach nicht als jemand, der eine gewisse Art der Musik "weiterträgt". Ich will einfach die Steven-Wilson-Musik weitertragen und nicht den Fluch eines ganzen Genres auf mir haben. Es ist trotzdem großartig, wenn mich die Menschen als eine Art Weiterführer dieser Musik sehen, aber deshalb denke ich nicht daran, wie ich meine Karriere dort anknüpfen sollte. Ich will diesen Fluch, diese Fackel eigentlich nicht weitertragen.

"Krone": Ich glaube aber nicht, dass du dir das aussuchen kannst, denn Medien als auch Öffentlichkeit heben dich ohnehin in diese Position…
Wilson: Das stimmt, da hast du absolut recht. Das ist wohl so vorgegeben. Es geht ja auch darum, dass es bei dieser Erwartungshaltung mir gegenüber ein großes Risiko gibt, dass ich enttäuschen würde. (lacht) Das ist jetzt keine Vorschau auf das nächste Album, aber was ist, wenn ich mich dazu entscheide, beim nächsten Mal nur mich und ein Piano einzusetzen oder elektronische Musik zu kreieren? Ich will mich einfach nicht eingrenzen lassen und ich denke auch nicht, dass ich einem bestimmten Genre treu bleiben muss. Bowie ist für mich das perfekte Beispiel für jemanden, der alles in allen unterschiedlichen Stilen machen kann und trotzdem dafür abgefeiert wurde. Ich würde auch gerne in dieser Situation sein, wo die Leute einfach alles erwarten müssen. Pop, Rock, Prog, Ambient - völlig egal. Einfach das, worauf ich Lust habe. Ich bin auf jeden Fall nicht deshalb Künstler, damit ich gewisse Erwartungshaltungen bediene.

"Krone": Es ist auch immer die Frage, wie man die Bezeichnung Prog Rock definiert. Manche verbinden sie mit Bands wie eben King Crimson, Yes oder alten Genesis, für mich ist es einfach nur ein Terminus dafür, dass man nicht stehenbleibt und versucht, musikalisch neue Ufer zu erreichen.
Wilson: Da liegst du schon richtig, aber für mich hat die Bezeichnung Prog auch keine Bedeutung. Das Wort existiert ja nicht einmal. Für mich ist das nur eine Umschreibung dafür, dass man Musik in einem sehr alten Stil wiedergibt, wohingegen der Terminus Progressive durchaus bedeutungsvoll ist. Dieses Wort kannst du mit David Bowie, Radiohead, Sigur Ros oder Massive Attack verbinden. Es geht darum, dass man sich selbst treu ist und im Rocksegment experimentiert. Ich habe einfach ein Problem mit dem Wort Prog, weil es den Ausdruck noch nicht einmal im englischen Wörterbuch gibt. (lacht)

"Krone": Andererseits ist es sehr interessant, dass du mit deiner nicht immer eingängigen und durchaus komplexen Kunst in Europa mittlerweile sogar im Mainstream angekommen bist, und die offiziellen Albumcharts raufkletterst. Bedeutet dir das viel?
Wilson: Ich denke jeder Künstler, der Musik macht, will mit seiner Musik so viele Menschen wie möglich erreichen, um seine Emotionen so breit wie möglich teilen zu können. Nebenbei hat das natürlich einen positiven Effekt auf den Mainstream. In der Welt, in der ich mich bewege, wird einem sehr vorsichtig begegnet, wenn man sagt, man hätte jetzt einen Charterfolg gelandet und will viele Alben verkaufen und vor Tausenden Menschen spielen. Sie glauben sofort, dass man gleich ein Celebrity sein und Kohle schaufeln möchte, aber das stimmt überhaupt nicht. Egal ob du jetzt ein Musiker, Maler, Schriftsteller oder Filmemacher bist - wenn du das, was du gerne und mit Leidenschaft tust, nach draußen bringst, willst du doch automatisch so viele Menschen wie möglich erreichen. Dahingehend habe ich sicher große Ambitionen. Andererseits ist der Weg aber noch sehr lange. Ich spiele mittlerweile vor mehr Menschen als ich es gewohnt war, aber im Großen und Ganzen bin ich für die Mainstreampresse noch immer unsichtbar. Du hörst meine Musik nicht im Radio, du wirst mich nicht in TV-Shows sehen und nur ganz selten wirst du mich in der Tagespresse wiederfinden. Bevor ich mich also wirklich als Mainstream-Künstler bezeichnen darf, muss noch viel passieren.

"Krone": IcKonzepten festhält, auch sehr viele junge Fans hat, denen man heute oft nachsagt, ihre Aufmerksamkeitsspanne würde nicht mehr über den Konsum von zwei Singles hinausgehen…
Wilson: Wenn ich mir die jungen Menschen in der Geschichte so ansehe, haben sie vor allem ein großes Talent, das für die Welt auch sehr wichtig ist: sie rebellieren gegen alles, was die Norm ist. Derzeit ist die Norm eben extrem einfach zu konsumierende Pop-Musik, die man auf Spotify streamt. Da das eben die Norm ist, steigt die Gegenwehr der jungen Generation. Warum gehen die Verkaufszahlen von Vinyl wieder nach oben? Weil die Kids diese Qualität für sich entdecken und merken, dass sie dabei einen Mehrwert beziehen. Sie entdecken die romantische Seite der physischen Produkte, setzen sich hin, legen die Nadel auf und genießen das gesamte Werk. Das ist ein sehr positives Zeichen für die Musikwelt und diese Bewegung ist im Steigen begriffen. Die oberflächlichen Drei-Minuten-Hits sind eben nicht mehr das A&O bei den Jungen.

"Krone": Noel Gallagher hat mir in einem Interview unlängst gesagt, dass er eben genau die Rebellion und das Auflehnen bei der jungen Generation heute vermisst. Du beziehst jetzt eindeutig eine Gegenposition.
Wilson: Das trifft wohl auf die Mehrheit zu, das stimmt schon. Aber es gibt eine kleine Minderheit, die sich bewusst dagegen auflehnt und das kannst du nicht nur in der Welt der Musik beobachten. Sie wissen einfach, dass es da mehr geben muss. Mehr als nur das, dass ich durch mein Internet-Portal empfange. Ich kann das auch bezeugen, denn ich habe Freunde, deren Kinder im Teenager-Alter sind und die stark gegen das Internet, die virtuelle Welt, das Stehlen von Musik und Filmen und das Streamen rebellieren. Sie mögen noch wenige sein, aber sie sind signifikant und wachsen und machen etwas Wichtiges. Rebellion als solches kann auch nicht mehr genau das sein, was es einmal war, das wäre unmöglich. Es ist heute eher so etwas wie eine kleine, intellektuelle Skala, in der sie sich bewegt.

"Krone": Nun spielst du drei Shows in Wien, Linz und Graz und bist auch wieder mit Smartphone-Kameras konfrontiert. Wie sehr regt dich das auf, wenn Leute teilweise ganze Konzerte von dir auf ihrem Handy mitfilmen?
Wilson: Bei meinen Konzerten passiert das tatsächlich sehr selten, worüber ich mich wahnsinnig freue und dankbar bin. Ich glaube das liegt auch daran, dass die Leute wissen, dass sie bei meinen Shows eine Art von multimedialer Kompletterfahrung bekommen und Musik und Visuals sehr durchdacht sind. Ich denke mein Publikum versteht was ich meine und ich bin ihnen sehr dankbar dafür. Ich habe das natürlich woanders bemerkt und ich finde das einfach sinnlos, dass Leute so viel Eintritt bezahlen, um sich dann nicht darauf konzentrieren zu können, weil sie dauernd nur durch ihr Display schauen. Ich frage mich dann immer, warum sie nicht gleich warten, bis mal eine DVD erscheint? (lacht)

"Krone": Ich glaube nicht, dass es viele Menschen gibt, die ihre bei Konzerten aufgenommenen Videos daheim noch oft oder überhaupt nachschauen…
Wilson: Der Grund ist ja auch ein anderer. Sie wollen ihren Kumpels einfach mitteilen, dass sie gerade bei einer Rolling-Stones- oder Steven Wilson-Show sind. Das ist aber eben ein Teil der Welt, in der wir heute leben, dass die Leute den Drang verspüren, jede einzelnen Moment ihres Lebens irgendwie mit den Freunden zu teilen. Wenn jemand ein paar Sekunden eines Songs mitfilmt verstehe ich das, aber die ganze Show? Wo ist da der Sinn dahinter?

"Krone": Worauf freust du dich besonders, wenn du jetzt in Österreich auftreten wirst?
Wilson: Ehrlich gesagt freue ich mich sehr stark auf die Shows in Linz und Graz, denn ich war in Österreich bislang noch kaum außerhalb Wiens unterwegs. Ich liebe Wien natürlich, wie könnte man diese Stadt nicht mögen? Aber es ist natürlich eine spezielle Erfahrung nun Städte anzufahren, die ich nicht kenne. Das ist in meinem Touringleben immer besonders spannend.

"Krone": Nachdem du schon fast in allen Bereichen gewildert hast, die man sich so vorstellen kann - gibt es noch einen bestimmten Traum, den du dir gerne erfüllen möchtest?
Wilson: Ich will einfach einen Soundtrack für einen wirklich interessanten Film mit einem sehr talentierten Regisseur schreiben. Das ist ganz oben auf meiner Liste. Bislang ist das noch nicht passiert, aber ich kreuze weiter die Finger.

"Krone": Hast du da einen bestimmten Regisseur im Kopf?
Wilson: Am besten wäre wohl ein Unbedarfter, der noch am Beginn seiner Karriere steht und vielleicht gar keinen Film gemacht hat. Ich weiß nicht, wer das sein wird, aber das wäre auf jeden Fall ganz große Klasse.

Steven Wilson spielt am am 21. April im Wiener Gasometer, am 23. April im Linzer Posthof und am 24. April im Orpheum in Graz. Alle Infos und Tickets gibt es auf der Homepage des Künstlers.

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