Album & Interview

Soulitaires Seelenmusik gegen das Armageddon

Musik
09.11.2016 15:55

Man kennt ihn als Ben Martin oder von seinen musikalisch vielfältigen Projekten I Am Cereals oder The Black Riders - nun hat Vollblutmusiker Martin Rotheneder aber die Liebe zur Einsamkeit und der unbearbeiteten Verzerrung gefunden: Mit seinem Soloprojekt Soulitaire stößt der St. Pöltner tief in die Alltagsbeobachterposition vor und experimentiert mit der Natürlichkeit des Klangs. Wir haben im Gespräch mit ihm ergründet, warum ein derart echter Klang so wertvoll ist und was ein Stromausfall so alles bewirken kann.

(Bild: kmm)

Am Anfang war der Zufall. Soulitaire-Mastermind Martin Rotheneder saß backstage in einem Büro herum und langweilte sich. Plötzlich fiel sein Blick in eine Ecke, auf eine alte, fast noch unbespielte Gitarre, die der tristen Umgebung eine kräftige Portion Vitalität einimpfte. Die Gitarre hatte nur vier Saiten und einen kaputten Bund. "Ich habe dann eine Batterie genommen und diese als Slide verwendet und die Gitarre umgestimmt. Sie hatte überhaupt nichts mit Schönklang zu tun. Dadurch, dass sie so kaputt war, klang sie extrem verzerrt. Das gefiel mir aber und ich klimperte sofort den Song ,In Between This Noise', den ich mit dem Handy aufgenommen habe."

Vielseitig und aktiv
Der Grundstock für das Debütalbum "I Believe In Rainbows" war gesetzt. Ein Herzensprojekt, das dem ehrgeizigen und kunstbeflissenen St. Pöltner schon länger im Hinterkopf spukte und nun nach Freiheit drang. Als poppiger Singer/Songwriter Ben Martin wühlte er ein Jahrzehnt lang die heimische FM4-Hörerschaft auf und war Stammgast auf den unterschiedlichsten Bühnen in Österreich und der Schweiz. Das Blues-Rock-Projekt The Black Riders schaffte es sogar zum Ö3-Airplay und mit dem Electro-Pop von I Am Cereals schrammte er nur knapp an einem Austrian Amadeus Award vorbei.

"Als Ben Martin war ich schon viel alleine unterwegs und Soulitaire ist nun einfach die konsequentere Weiterführung von der Idee eines Soloprojekts", erklärt uns Rotheneder im Gespräch, "alleine zu sein, erlaubt eine Unmittelbarkeit in der Entscheidung - sowohl im Arbeitsprozess, als auch auf der Bühne. Ich habe mehr Chancen auf Spontanität und kann Visionen umsetzen, die sich für andere nicht immer in Worte fassen lassen." Als Einzelgänger sollte man den sympathischen Niederösterreicher nicht kategorisieren, doch es war an der Zeit, sich von der Umgebung abzukapseln und kompromisslos den eigenen Träumen zu folgen.

Schmerzende Wellenbewegungen
"I Believe In Rainbows" ist Singer/Songwriter-Pop für Herz, Kopf und Seele. Tief durch melancholische Momente watend, begibt sich Rotheneder in die Beobachter-Position der Zwischenmenschlichkeit und besingt gleichermaßen Privates wie Weltpolitisches. "Die Kernaussage des Albumtitels sind für mich die Termini Vielfalt und Andersartigkeit. Im Laufe des Schreibens lernte ich, dass das Leben eine einzige Wellenbewegung ist. Manchmal ist es leiwand, manchmal einfach nur Oasch. Jemand, der sich tätowieren lässt, weiß genau, wie weh es gleich tun wird. Andererseits weiß er aber genauso, welche Freude er am Ende mit dem Ergebnis haben wird." Lachend fügt er hinzu: "Ich bin aber alles andere als ein Schmerz-Junkie".

Mit Soulitaire befasst sich der Künstler - nomen est omen - eben auch mit der Seele und tiefergehenden Themen. "Das ist zu einem großen Teil auch die Liebe. Aber nicht die romantische, sondern die Liebe als das Positive, Schöne und über allem Drüberliegende. Ich verflechte aber keine direkten Erfahrungen meines persönlichen Lebens in die Texte und wenn, dann chiffriert." Alleine und auf sich gestellt ist Rotheneder nicht nur auf der Bühne - so unlängst beim Waves Festival und bei der Release-Show im Wiener EMI-Store - sondern auch bei der Aufnahme. Die Songs bestehen allesamt nur aus Gitarre, Verzerrer, Verstärker, Hall und Stimme.

Musik gegen das Armageddon
"Ich wollte wissen, ob ich aus der Reduktion heraus etwas machen kann, das trotzdem den modernen Soundgewohnheiten entspricht. Ich suche meine Klänge oft im Alltag. Man kann schließlich auf alles draufhauen und jedes Holz, jedes Stiegengeländer und jeder Kübel hat seinen ganz eigenen Sound. Ich finde das herausfordernder, als ein paar Knöpfchen zu drehen und dann elektronisch zu klingen." Der Gedanke zu dieser Vorgehensweise kam ihm, als im letzten Jahr in seiner Heimat St. Pölten für knapp 24 Stunden der Strom ausfiel. "Kein Licht zum Lesen, kein Warmwasser, kein Kochen, keine Möglichkeit, dein Handy aufzuladen - da merkst du erst, was dir alles wegfällt. Eine Akustikgitarre kannst du aber immer angreifen, auch wenn draußen das Armageddon herrscht."

Soulitaire und sein träumerisches, voller elegischer Singer/Songwriter-Versatzstücke besetztes Album soll aber keine Studio-Eintagsfliege bleiben, sondern möglichst breit in die weite Welt flattern. "Das Album ist nun der erste Schritt nach draußen. Im Prinzip bin ich meine eigene Firma und kann alles selbst regeln. Mir war wichtig, dass es von außen keine Bezüge zu Ben Martin oder anderen alten Projekten von mir gibt. Zu sehen, dass das zu klappen scheint, macht mich wirklich stolz." Rotheneder, ein bislang stets Gehetzter und Getriebener seiner eigenen Kunst, will sich mehr Zeit lassen und nichts mehr übereilen. Wer an Regenbögen glaubt, der glaubt auch an den Erfolg. Die ersten Eckpfeiler dafür sind gesetzt.

Von der Live-Umsetzung der Songs können sich Interessiere am 17. November im Café Josefine in der Wiener Laudongasse überzeugen lassen.

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