"Krone"-Interview

Sohns Kampf gegen die getriebene Rastlosigkeit

Musik
23.02.2017 12:39

Mit dem Debütalbum "Tremors" spielte sich der einstige Wahl-Wiener Sohn aka Christopher Taylor vor drei Jahren in die Champions League des internationalen Pop. Nach einer ausgedehnten Tour, dem Umzug nach Los Angeles und der Geburt seines kleinen Sohnes ist der smarte Brite mit "Rennen" wieder ins Rampenlicht zurückgekehrt - und trotzdem ist alles ganz anders, als es vor dieser Glückswelle war.

(Bild: kmm)

Insgesamt sechs Jahre lang lebte der gebürtige Londoner Christopher "Toph" Taylor in Wien und startete von dort eine beispiellose Erfolgsgeschichte im Musikbusiness - noch lange bevor er als Sohn zum Weltstar mutierte. Während andere Künstler sich nach einem kreativen El Dorado wie der britischen Hauptstadt sehnen, ging Taylor den umgekehrten Weg und fand sein Glück anfangs als Trouble Over Tokyo. "Es ging verdammt schnell. Ich begann das Projekt in England, zog dann nach Österreich, tourte mit Garish und hatte schnell eine Booking-Agentur und ein fertiges Album in der Tasche", erklärt er im "Krone"-Interview kurz vor seinem Auftritt in der restlos ausverkauften Wiener Arena, "alles ging wie in Trance, bis ich realisierte, dass ich in Österreich einfach nicht mehr weiter kommen konnte."

Das Werk des Irren
Es folgten Unsicherheit, Selbstzweifel, verwirrte Kompositionen. "2010 veröffentlichte ich mein drittes Album 'The Hurricane' - wenn ich es mir heute anhöre, dann denke ich, es war das Werk eines Irren", kann er die quälende Karrierephase rückblickend mit einem Schmunzeln resümieren. "Ich hatte beim Songschreiben einen Zusammenbruch, das Ergebnis war pures Chaos. Ich versuchte es mit einer Liveband, mit dem Sprung nach Deutschland und mit einem Major-Label. Irgendwann realisierte ich, dass ich aber alle Brücken hinter mir verbrennen und die Reißleine ziehen müsse." Dabei setzte Taylor auf die von ihm so geliebte Dramatik. "Ich habe in Feldkirch beim Poolbar-Festival mein letztes Konzert unter altem Namen gespielt und allen gesagt, ich würde in musikalische Pension gehen. Doch nur drei Wochen später veröffentlichte ich meinen ersten Sohn-Song. Das Theatralische passt einfach gut zu mir."

Die Theatralik ist aber gar kein so wichtiger Bezugspunkt seiner Songs. Noch bevor Sohns global gefeiertes Debütalbum "Tremors" 2014 erschien, überzeugte er beim prestigeträchtigen Eurosonic-Festival und remixte für Superstar Lana Del Rey. Den Supersingles "Artifice" und "Lessons" folgte eine zwei Jahre andauernde Tour über den gesamten Globus und eine einschneidende geografische Veränderung - der Umzug von Wien ins mondäne Los Angeles. "Ich habe alles verkauft und bin einfach los. Schritt für Schritt ging ich alles ab. Okay, ich brauche eine Wohnung. Gut, jetzt vielleicht ein Fortbewegungsmittel. Das ging ein halbes Jahr so weiter, bis ich mir erstmals überlegte, wie ich eigentlich hier gelandet bin", denkt er lachend zurück. "Ich habe einfach gelernt, die Kontrolle abzugeben und ohne große Pläne zu leben. Das war nicht einfach, aber befreiend. Heute lebe ich bewusster in der Gegenwart."

Familiärer Weltenbummler
Das Resultat war ein Doppeljackpot. Beruflich führte es Sohn zum lang ersehnten neuen Album "Rennen", privat lernte er seine jetzige Ehefrau kennen und lieben - vor etwa vier Monaten erblickte Sohn Eliot das Licht der Welt. "Sein erster Flug von L.A. nach Wien zu unserem Tourstart ging fast problemlos über die Bühne", wundert sich der Künstler selbst, "das erste Mal, wo er wirklich geweint hat, war ausgerechnet in einem Wiener Taxi". Als Künstler auf dem Weg nach oben bleibt dem Jungpapa nur das nomadenhafte Leben übrig. "Wir sind eine multinationale Familie. Meine Frau hat spanische und französische Wurzeln und trifft während meiner Tour mit Eliot in Paris und Barcelona ihre Verwandten. In London sehen wir uns dann alle wieder und später reisen wir gemeinsam heim in die USA."

Ein Zuhause in dem Sinn kennt Taylor nicht. Das Musikerleben aus dem Koffer wurde längst Realität, die Definition eines Daheims ist neu abgesteckt. "Meine Frau und mein Kind sind mein Zuhause, kein bestimmter Ort. Durch die Wahl von Trump zum US-Präsidenten haben wir auch schon oft darüber geredet, wieder nach Europa zurückzukehren. Wer weiß? Es ist nicht unrealistisch. Wir sind wie eine Karnevalsfamilie und ziehen um die Welt." Ob es wieder zurück nach Wien geht, das steht natürlich in den Sternen. Wie jede andere Stadt, hat auch diese ihr Für und Wider. "Man kriegt in Österreich nicht alles zu jeder Jahreszeit, die biologische Qualität des Essens ist beispiellos großartig, zudem vermisse ich die Ruhe, dass die Rolläden nach 23 Uhr heruntergehen. In Amerika darf ich meist ja nicht einmal mit einem Bier in der Hand durch die Straßen laufen." Was er am allerwenigsten vermisst? "Dass hier in den Beisln immer noch geraucht wird. Es wird zwar schleichend besser, aber ich falle in solchen Lokalen fast um."

Vom Lauf zum Bewusstsein
Vorerst ist Kalifornien aber ohnehin der Hauptwohnsitz. Dort hat er in trister Einsamkeit sein Zweitwerk ausgetüftelt. In derselben versteckten Hütte, wo Kanye West an "The Life Of Pablo" schraubte. Der deutsche Titel "Rennen" bekräftigt, dass Sohn die Wurzeln seiner Vergangenheit nicht völlig kappen möchte. "Der gleichnamige Song dazu dreht sich um einen guten Bekannten von mir, der Selbstmord begehen wollte und das seinen Eltern ankündigte. Die Nummer hat also einen sehr sensiblen, ernsten Hintergrund. Das Wort Rennen passte einfach in so vielen Varianten zu den einzelnen Liedern. Die letzten zwei Jahre bin ich auch von einem Ort zum anderen gerannt. Irgendwann hatte ich keine Kontrolle über die Route und lief nur mehr mit dem Flow. Mittlerweile habe ich die Notbremse gezogen und lebe bewusster."

Sein Bewusstsein hat Taylor längst auch für politische Themen geschärft. So bezieht sich der Song "Conrad" sogar direkt auf den latenten Rechtspopulismus in Österreich. "Als ich den Song schrieb, drehte sich die allgemeine Stimmung hier nach rechts. Donald Trump ist derzeit nur die Spitze des Eisbergs. Als ich jung war, war es verpönt, xenophobe, sexistische oder hässliche Dinge zu sagen - mittlerweile ist das leider salonfähig geworden. Für mich liegt der Ursprung der globalen Rechtslastigkeit immer noch im westlichen Europa verortet. Es geht nicht mehr um ein Miteinander, sondern um ein 'die gegen uns' - das ist verrückt."

Popstars im Weißen Haus
Die Präsidentschaftswahl in Amerika sei sowieso ein Duell Not gegen Elend gewesen. "Die Linken haben den falschen Zugang zu Politik, haben die Rechten immer brutal abgelehnt, belächelt oder ignoriert. Man muss aber mit Menschen reden und sich um sie sorgen, anders geht es nicht. Zudem haben die Leute heute falsche Erwartungen an einen Präsidenten, sie werden wie Popstars gesehen. Für mich muss der Präsident aber nicht das neue Jay Z-Album kennen, sondern sich mit Diplomatie für das Allgemeinwohl in der Gesellschaft durchsetzen. Obama war ein absoluter Popstar-Präsident. Jetzt haben wir wieder einen, nur spielt er eine völlig andere Art von Musik", lacht Taylor. Sohns Musik mag die Weltlage vielleicht nicht verbessern, doch sie bietet zumindest eine Fluchtmöglichkeit aus der harschen Realität. Ob aus Wien, L.A. oder sonst wo.

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