"Krone"-Interview

Sizarr: “Wir verändern uns viel zu schnell”

Musik
20.02.2015 06:09
Schon vor Veröffentlichung ihres zweiten Studioalbums "Nurture" gelten die deutschen Indie-Jünglinge Sizarr als "Next Big Thing" der Alternative-Szene. Die Stärken in den Kompositionen und Fabian Altstötters eindringliche Stimme sorgten unlängst schon beim FM4-Fest für Begeisterung. Wir haben das junge Trio im Wiener Hotel Donauwalzer zum entspannten Talk getroffen und über die Tücken des Erwachsenwerdens, Unfälle mit Scootern und fehlenden Personenkult gesprochen.
(Bild: kmm)

"Krone": Jungs, ihr seid momentan die Liebkinder der deutschen Indie-Szene und werdet gemeinhin als "Internetband" bezeichnet. Habt ihr euren Hype via Internet aktiv betrieben?
Philipp Hülsenbeck: Ach, das war eigentlich der klassische Weg. 2009 begannen wir auf MySpace, bis es mit der Seite dann vorbei war. (lacht) Ich glaube nicht, dass wir da extrem stark in die Richtung hingearbeitet haben und wir sind auch nicht so ultra Social-Media-fixiert. Es gibt sicher Leute, die das mit mehr Herzblut und Hingabe betreiben. (lacht)

"Krone": Andererseits habt ihr den klassischen Weg begangen und euch mit vielen schweißtreibenden Liveshows einen gewissen Bekanntheitsgrad erspielt.
Marc Übel: Wir waren schon viel in den Jugendzentren unterwegs.
Fabian Altstötter: Wir hatten das Glück, dass sich alles sehr schnell hochgeschaukelt hat und wir schnell auf Festivals gebucht wurden. Eine selbst organisierte Tour, wie sie anfangs üblich ist, kennen wir im Prinzip nicht. Irgendwie haben wir die ganz kleinen Clubs übersprungen, aber auch das hat Vor- und Nachteile. Wir mussten anfangs überhaupt erst die Songs schreiben, damit wir ein Live-Set auf die Beine stellen konnten. Das Arbeiten am Album und die Konzerte kamen sich schnell in die Quere und das war nicht sehr einfach für uns.

"Krone": Angefangen habt ihr als Ramones-Coverband. Wo sind die Punk-Roots hin verschwunden?
Hülsenbeck: Marc und ich haben mit elf die Band gegründet und anfangs viel Hip-Hop gehört. In einer Band wollten wir aber Gitarren spielen, und so haben wir eben die Ramones gecovert. Das waren die einfachsten Sachen, die man spielen konnte. (lacht)
Altstötter: Ich glaube, das war ein ganz normales musikalisches Erwachsenwerden. Von der ersten Coverband dorthin zu kommen, dass man selber ernsthaft über eigene Musik nachdenkt.

"Krone": Mittlerweile werdet ihr mit so unterschiedlichen Acts wie Animal Collective, Afrobeat oder Bloc Party verglichen. Fühlt ihr euch dadurch belastet oder fühlt sich das eher gut an?
Hülsenbeck: Das ist schon nett, als Belastung sehen wir das nicht. Man fragt sich natürlich, wo manche Namen herkommen, aber gut, das ist in der Branche wohl nötig. Wir wurden bislang mit wenig beschissenen Bands verglichen, insofern ist das schon alles sehr okay. (lacht)
Übel: Merkwürdig ist es, wenn wir mit Bands verglichen werden, die wir nicht mal kennen.

"Krone": Natürlich will jede Band als einzigartig wahrgenommen werden, aber wo würdet ihr euch selbst zuteilen?
Hülsenbeck: Zu den Beatles.
Übel: Beethoven. (lacht)
Hülsenbeck: Nicht direkt zu einer Band. Wir haben das Rad definitiv nicht neu erfunden, so viel ist schon auch klar. Eine bestimmte Band könnte ich aber nicht nennen, dafür haben wir einen zu großen Mix. Auch wenn man Referenzen raushört, achten wir schon darauf, nicht zu stark nach einer bestimmten Band zu klingen.
Altstötter: Man versucht halt, seinen eigenen Weg zu finden. Wir sind noch nicht an dem Punkt angelangt, wo ich eine bestimmte Art kenne, wie ich an Sizarr-Songs rangehe. Ich denke, das gilt es für uns zu finden, und dann entwickelt sich alles Weitere. Man kann aber nicht vorhersagen, wie das dann wird. Es ist ein bisschen arrogant zu sagen, man macht etwas komplett Neues, aber es ist wichtig, einen prägnanten, eigenen Stil zu finden.

"Krone": Ihr habt in vielen Interviews gesagt, dass ihr beim Songschreiben drei verschiedene Individuen seid. Könnt ihr euch beim Arbeiten nicht riechen oder hat das einen anderen Grund?
Altstötter: Nein, es funktioniert nur in der Dynamik nicht. Wir sind wohl an unseren Instrumenten nicht tief genug drin, um wirklich zusammen zu jammen. Es funktioniert bei uns am besten, wenn einer einen Gedanken weiterträgt und erst dann alle einsteigen.
Hülsenbeck: Das haben wir auch immer so gemacht. Es gibt Songs, die fast zusammen entstanden sind, aber das war ganz früher. So richtig spontan zusammenarbeiten, das schaffen wir noch nicht.
Altstötter: Die Ideen werden vorher schon ausgesiebt, wir sind keine Massenproduzenten. Wenn etwas fertiggestellt wird, sind eigentlich schon alle damit einig und firm. Es gibt nie große Diskussionen über die Richtung. Auf "Nurture" sind von 13 Songs zehn verwendet worden. Wir haben also kein großes Ausschussmaterial.

"Krone": Wie lässt sich denn ein Sizarr-Song am besten umschreiben?
Altstötter: Das ist sehr schwer zu sagen. Das Grundlegende, das mich an der Kunst anspricht, ist etwas, das man nicht beschreiben kann. Wie wenn du durch ein Museum läufst. Wenn du moderne Kunst siehst, siehst du vielleicht nur ein blaues Bild, aber irgendwie spricht es dich besonders an. Bei Kunst weiß man nie, wo die Essenz liegt. Das kann niemand auf den Punkt bringen. Für mich ist es etwas Spirituelles, ein Gefühl. Man weiß einfach, dass sie einen bestimmten Wert hat.

"Krone": Ich finde, bei all euren Songs hört man etwas Bombastisches raus. Habt ihr einen roten Faden, der sich durch alle Nummern zieht?
Hülsenbeck: Das war beim ersten Album stärker der Fall und es war ein Grundsatz für uns, dieses Bombastische auf "Nurture" zu reduzieren. Im Nachhinein war das damals einfach zu breit und massig im Klang. Wir wollten dieses Mal, dass man merkt, dass diese Band nur aus drei Menschen und nicht aus einem ganzen Orchester besteht. Oft liegt in der Einfachheit die Perfektion.

"Krone": Ihr habt euch ja ziemlich schwergetan, an "Nurture" zu schreiben.
Hülsenbeck: Das lag an dem langen Prozess. Wenn man den Bezug zum Anfang verliert, der vor eineinhalb Jahren war, dann wird es hart. Man stellt das Album fertig, dann dauert es, bis es rauskommt, und dann müssen wir noch darüber reden. Es ist schwierig, den Leuten zu vermitteln, dass wir im Clinch mit uns waren.

"Krone": Mit dem Debütalbum "Psycho Boy Happy" seid ihr in der Indie-Szene sehr gut durchgestartet. Da kommt doch viel Druck auf einen zu, nach so einem spontanen Erfolg.
Altstötter: Wir sind schon zufrieden, wo wir stehen, aber es fühlt sich nicht so riesig an, wie das manche uns attestieren würden. Wir füllen ja keine riesigen Hallen. (lacht) Es ist auch gut, wie wir denken, denn wir sind auf einem Level, auf dem wir noch keinen Verstand verlieren und nichts von außen überhandnimmt. Deshalb war auch nicht alles so druckbelastet, denn wir befinden uns ja immer noch im Lernprozess. Wir haben eher den Ansporn, alles immer besser zu machen.

"Krone": Habt ihr auch mit Personenkult zu kämpfen? Immerhin seid ihr drei junge Burschen, die relativ populäre Indie-Musik machen.
Altstötter:(lacht) Wir zelebrieren das nicht und stellen uns nicht so offensichtlich dar. Wir fahren keine argen Shows ab und haben auch keine Kostüme an. Auch unsere Haltung ist eher bescheidener. Anziehend sind maximal Philipps Haare. (lacht)

"Krone": War das bei euch noch kein Thema, dass ihr optisch eventuell mehr auffallen wollt?
Altstötter: Es geht uns eher darum, keine Scheu mehr zu haben. Wir sind früher auch in den Videos kaum vorgekommen und hielten uns sehr bedeckt. Jetzt ist das nicht mehr schlimm für uns und wir trauen uns quasi mehr aus uns raus.
Hülsenbeck: Hätten wir uns zu jung zu früh groß dargestellt, wäre die Wahrnehmung wohl eine andere gewesen. Wir hätten ein völlig falsches Bild von uns vermittelt.
Altstötter: Ich bin eine Person, die so etwas auch bereuen könnte, und ich denke mir jetzt schon, dass vosse der Medien nach dem ersten Album noch relativ dezent war, denn auch da mussten wir erst reifen. Es geht bei uns vordergründig um die Musik und so soll es auch sein.

"Krone": Das renommierte "Spex"-Magazin hat eure Musik einst als "Internet-Pop" bezeichnet. Wie steht ihr zu dieser Aussage?
Hülsenbeck: Bei solchen Bezeichnungen bin ich immer sehr gelassen. Mir ist es auch lieber, die Leute erfinden bestimmte Schubladen oder Kategorien, als sie bemerken uns gar nicht. Wir tun uns aber ehrlicherweise selbst schwer, unsere Musik zu erklären. Natürlich gab es auch Vergleiche, wo wir den Kopf schüttelten, aber im Großen und Ganzen ist das alles total okay.

"Krone": Ihr habt oft betont, dass euer Bandname keinen besonderen Hintergrund hat. Was aber ist die Botschaft eures neuen Albums "Nurture"?
Altstötter: Eigentlich kam das auch aus dem Nichts. (lacht) Wir setzen uns nicht hin und machen ein Konzept, das war niemals unsere Vorgehensweise. Es geht einfach um Sachen, die uns bewegen und berühren oder die intuitiv aus uns kommen. Wichtig ist, das Ergebnis in einen Rahmen zu fassen, der Sinn macht. Ich habe das Cover gemalt und brauchte dann ein Wort, das als Platzhalter fungiert. Da fiel mir eben "Nurture" ein. Ich hatte für das Cover so ein medizinisches Bild gesehen, wo auch ein Menschenkopf unterteilt war, und da standen die Namen der Kopfteile dabei. Die Ästhetik fand ich gut. Es ging darum, welche Einzelteile den Menschen ausmachen unter dem Gedanken, dass das Ganze mehr ist als die Summe aller Teile. "Nurture" (Erziehung; Anm.) machte einfach Sinn für das Cover und das Album.

"Krone": Flossen dort auch persönliche Erfahrungen rein?
Altstötter: Die Texte sind schon sehr ichbezogen. Mittlerweile könnte ich mir Geschichten auch ausdenken oder von mir selbst abstrahieren. Eventuell Metaphern finden, aber damals war das noch nicht möglich für mich.

"Krone": Bei persönlichen Texten verliert man über die Jahre hinweg vielleicht die Verbindung dazu. Denkst du schon jetzt daran, dass deine Lyrics vielleicht nicht mehr zeitgemäß für dich sein werden?
Altstötter: Es war sogar bei "Nurture" der Fall, dass ich schon während des Songschreibens einen relativ krassen Lebenswandel hatte. Wir haben ja lange dran geschrieben, sind umgezogen und haben uns auch persönlich entwickelt. Es fühlte sich an, als hätte ich die Texte mit 18 geschrieben und jetzt bin ich halt 23. Ich hatte anfangs eine kleine Krise mit mir selbst und wusste nicht genau, wie ich damit umgehen sollte. Ein Album ist aber auch ein Zeugnis der Zeit. Ich habe auch Tattoos, mit denen ich mich vielleicht nicht mehr identifizieren kann, aber sie sind trotzdem da, spiegelten eine gewisse Zeit oder Lebensphase wider und gehören zu mir. So verhält es sich dann auch mit den Songs und den Texten. Das Schwierige bei "Nurture" war nur, dass dieser Veränderungsprozess währenddessen passierte. Hier ging wirklich alles schlagartig. Das hat mir schon zu schaffen gemacht und war sehr seltsam für mich.

"Krone": Du warst also mit dem Album fertig und am Ende nicht zufrieden damit?
Altstötter: Während der Fertigstellung des Albums stellte ich die Texte in Frage. Das war schon schwierig für mich. Ich wusste schon, was ich anders machen will, aber das Album war eben fertig. Wir hätten alles verschieben müssen und eigentlich hätte ich mir noch ein paar Monate Zeit nehmen müssen, um die Texte neu zu schreiben – das war natürlich nicht möglich. Aber ich bin schon zufrieden mit dem Album, das darf man nicht falsch verstehen. Oft versuche ich das gar nicht zu vermitteln, denn ich weiß schon, dass das alles ziemlich kompliziert klingt. Ich würde die Texte jetzt einfach nicht mehr so schreiben, aber für den Zeitpunkt waren sie perfekt.
Hülsenbeck: Es geht halt stark um Inhalt, Aussagen und Gemütszustände, die einfach nicht mehr ganz aktuell sind. Aber das ist im Leben einfach so. Wenn sich dazu entschließt, seine Gedanken preiszugeben, dann muss man mit dem Ergebnis eben auch leben. Es war bei "Psycho Boy Happy" im Prinzip ja nicht anders, nur dass wir uns da über einen längeren Zeitraum verändert haben.
Altstötter: Am Ende war das aber auch gut so, denn ich habe so viele Erfahrungen gesammelt, dass ich schon jetzt wieder ein neues Album schreiben kann.

"Krone": Ihr seid bereits mit dem Video zum Song "Scooter Accident" aufgefallen. Welches Erlebnis spiegelt das Video wider?
Hülsenbeck: Ich hatte wirklich einen Scooter-Unfall. (lacht) Mir ist das Gasseil gerissen und bei meiner steilen Hoffeinfahrt habe ich gerade noch den Scooter vom Blumenbeet weggerissen, bin aber fast in das Auto meiner Eltern gesegelt. Das war ziemlich bescheuert. (lacht)
Altstötter: Ich kann ja nicht mal Motorrad fahren, fahre auch im Video nicht selbst. Das Video ist aber fiktiv. Es war mehr so eine Spinnerei. Der Songtitel war eigentlich ein Arbeitstitel, aber dann blieb doch alles gleich. Und wenn der Song schon so hieß, dann wollten wir auch einen "Scooter Accident" unterbringen.
Hülsenbeck: Das Umfeld im Video ist einfach eine Anlehnung an unsere Herkunft. Das Dörfliche und eher Gemütliche. Weinfeste, Jahrmärkte – das hatten wir jedes Jahr in der Pfalz im Dorf.
Altstötter: Die ganzen Schlägereien bei den Boxautomaten. (lacht) Diese Sachen wollten wir damit porträtieren.

"Krone": Vermisst ihr in Berlin eure dörfliche Heimat?
Altstötter: Ich war eigentlich immer gegen die Großstadt und wollte nie nach Berlin. Ich bin eigentlich nur der Liebe wegen hingezogen, aber mittlerweile bin ich schon sehr froh, dort zu sein. Allein schon die Möglichkeiten, die man dort in allen Bereichen hat. Es ist in einer großen Stadt aber nur gut, wenn du was zu tun hast. Solltest du eher untergehen oder versinken, dann ist kann es schon sehr mühsam sein. Man muss sich halt integrieren. Doch wenn man ein geregeltes Leben hat und vielleicht auch schön wohnt, sein Rückzugsgebiet hat, dann ist es einfach toll dort.

"Krone": Welche Richtung werden Sizarr in Zukunft einschlagen und wie viel massenkompatiblen Erfolg könnt ihr noch haben?
Hülsenbeck: Rein für Deutschland sind wir mit unserem Level sehr zufrieden. Ich fürchte, wenn wir weitergehen, müssten wir in Bereiche vordringen, wo wir eventuell Zugeständnisse machen müssten, mit denen wir nicht ganz konform sein würden. Es ist eher so, dass wir darauf hoffen, vielleicht ein ähnliches Standing im Ausland zu erlangen. Wir haben uns aber keine Ziele gesteckt, wir wollen einfach weitermachen.

"Krone": Ihr fürchtet aber ein bisschen die Kommerzialisierung?
Altstötter: Es ist einfach ein schwieriger, schmaler Grat. Kommerziell erfolgreich zu sein, ohne sich ein bisschen verbiegen zu müssen, ist einfach irrsinnig schwierig. Das erstreben wir eher nicht. Wir wollen uns eher in alle möglichen Richtungen ausprobieren und vielleicht auch ein paar Solosachen machen. Wir sind noch nicht alt und verbittert genug, um uns damit zu sehr zu stressen. (lacht)

Sizarr sind noch zweimal live in Österreich zu sehen. Am 23. April spielen sie im Innsbrucker Weekender Club und tags darauf im Salzburger Rockhouse. Tickets für die Konzerte erhalten Sie unter 01/960 96 999 oder im "Krone"-Ticketshop.

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