"Krone"-Interview

Rise Against: “Die Jungen hören uns zu”

Musik
25.08.2017 12:21

Seit mittlerweile 18 Jahren sind Rise Against das gute Gewissen der USA und prangern unermüdlich Missstände im politischen Bereich an. Dabei zeigt sich die Punkrock-Band stehts fannah und befindet sich trotz stetem kommerziellen Aufstieg fern jedweder Starallüren. Im Zuge des Frequency Festivals haben wir Sänger Tim McIlrath zum Gespräch gebeten, und über das neue Studioalbum "Wolves", seine Kinder und deren Liebe zu austauschbarer Popmusik und über die Relevanz des politischen Punkrock für die Jugendkulturen zu sprechen.

(Bild: kmm)

"Krone": Tim, mit "Wolves" habt ihr heuer ein sehr aktuelles und vor allem einmal mehr politisches Album veröffentlicht. Ist eine Band wie Rise Against in Zeiten wie diesen wichtiger als je zuvor?
Tim McIlrath: Die Botschaft ist jedenfalls wichtiger als je zuvor. Unser Tun hat in Zeiten wie diesen einfach eine gewisse Dringlichkeit. Mit einem Typen wie Donald Trump an der Macht hast du ein ganz klares Ziels, das du attackieren kannst. Er gibt sehr klar Beispiele von Sexismus, Rassismus, Homophobie und krankhaftem Nationalismus wider. Er ist das Gesicht der neuen Republikaner und versteckt sich nicht hinter seinem wahren Ich wie viele andere in seiner Partei. Er nimmt uns viel Arbeit ab, in dem er ganz offen so ist, wie er eben ist. Er hat nicht nur in den USA, sondern auch weltweit viele Unruhen heraufbeschworen. Für Rise Against gibt es derzeit unzählige Tiefpunkte, aus denen man Inspirationen beziehen kann.

Stimmt es, dass ihr die Texte für das Album schon fertig hattet, sie aber nach der Wahl Trumps zum US-Präsidenten noch einmal geändert habt?
Das war in der Mitte des Schreibprozesses, ganz fertig waren wir noch nicht. Wir haben sie nicht groß verändert, aber neu geformt und zusammengesetzt. Es hat sich ja auch in der Realität viel getan, da mussten wir nachziehen. Vor den Wahlen war es in den USA eine Zeit lang überraschend ruhig, bevor der ganze Wahnsinn über uns rollte. Für Rise Against war es dann die perfekte Zeit, um dort anzusetzen und die Finger auf die Wunden zu legen. Jeder Song auf dem Album dreht sich um die Lage, in der wir uns in den USA derzeit befinden.

Wenn man das knappe erste Jahr seiner Amtszeit in der Retrospektive beobachtet - ist es unter ihm schlimmer, als du dir damals ausgemalt hast?
In gewissen Dingen schon. Ich dachte eigentlich, dass er nur in Rassen- oder Umweltfragen hinterhältiger sein würde und dass er die Reichen reicher und die Armen ärmer macht, aber im Endeffekt ist er bei jedem einzelnen Thema seiner Amtszeit falsch und verlogen. Andererseits ist er die pure Transparenz, weil er uns ungekünstelt zeigt, welche Person er ist. Er tut alles dafür, um gut dazustehen und zu gewinnen, auch wenn das andere verletzt oder vernichtet. Die Republikaner lernen gerade von Trump und das bedeutet nichts Gutes.

Die USA sind ein Land, das von Immigranten erbaut wurde und nur dadurch zu seiner Größe kam. Wie ist es daher möglich, dass hier dermaßen viel Rassismus aufkeimt?
Unverständlich. Ich hoffe inständig, dass er so dermaßen brutal regiert, damit die Amerikaner für sehr lange Zeit keinen solchen Typen mehr wählen. Er ist wie eine Abrissbirne, die überhaupt keinen Sinn für Diskussion hat. Er ist die Strafe dafür, dass wir Amerikaner immer nur an die Gerechtigkeit Gottes glauben. Er gibt uns viele Lehrstunden, wie es nicht weitergehen kann. Er ruiniert ja sogar den rechten Flügel in seiner Partei und zeigt jungen Kindern, wie schlimm und brutal Politik sein kann. Das Problem ist, dass sich das in den Köpfen der Jugend verankert. Egal, ob du links oder rechts bist, du wirst noch in vielen Jahrzehnten von Donald Trump sprechen und viel von ihm in der Schule lernen.

Wie viel Macht hat eine Band wie Rise Against, gegen diese Art von Politik und solche Typen anzukämpfen?
Musik ist für junge Menschen einflussreicher als ihre Lehrer, Eltern, Freunde oder die Religion. Musik spielt immer eine Riesenrolle beim Erwachsenwerden eines jeden Menschen. Wenn du als Band oder Künstler auf einem iPhone eines Jugendlichen auftauchst, hast du verdammt viel Verantwortung. Unsere Songs leben mit vielen Menschen und deshalb müssen sie einen Inhalt haben, der Substanz und Bedeutung liefert.

Wenn man sich die kommerziellen Charts ansieht, wird man die Künstler mit sinnvollen Texten aber an einer Hand abzählen können.
Es muss nicht jede Art von Musik politisch sein und etwas anprangern. Ich kann die Charts und Trends auch nicht kontrollieren. Ich habe selber Kinder, die eine Menge wegwerfbare Popmusik hören. Was ich tun kann ist, mit Rise Against eine substanzvolle Botschaft auszustrahlen. Wir wollen relevante Texte schreiben und den Leuten einen Inhalt anbieten. Mehr ist auch nicht möglich.

Finden deine Kinder Rise Against cool?
Absolut nicht. (lacht) Ich bin ihr Vater, das ist absolut aussichtslos. Cool ist nur Pop für sie.

Kann man junge Menschen mit Unterhaltungsmusik erziehen?
Absolut, denn als ich jung war, passierte mit mir genau das. Viele Bands hatten eine wichtige Rolle in meinem Leben und ich sog ihre Texte auf wie einen Schwamm. Mit Rise Against will ich meinen Helden zeigen, was ich von ihnen gelernt habe. Mir haben Bands mit einer Aussage immer sehr viel bedeutet und unser Anspruch muss sein, den jungen Menschen da draußen so viel Inhalt wie möglich anzubieten.

Im Gegensatz zu vielen anderen Bands, die immer erfolgreicher und damit einhergehend auch vermögender werden, wirkt ihr irgendwie nie satt. Woran liegt das?
Wenn du über die Welt und ihre gegenwärtige Lage schreibst, dann kannst du gar nie satt werden. Manche Songs gelingen uns besser, manche weniger gut. Es ist immer ein Kampf um die besten Ideen und neue Evolutionen im Sound. Zudem fühle ich immer noch die gleiche Wut und den gleichen Zorn wie in meinen jüngeren Tagen.

Du wirst diese Wut wahrscheinlich anders kanalisieren. Als Familienvater wirst du dich in vielen Bereichen anders verhalten als früher.
Das stimmt schon. Ich hoffe, dass ich in Würde altern kann, aber das kann ich selbst am schlechtesten beurteilen. (lacht)

Würde es dir gefallen, wenn deine Kids im jeweiligen Alter so sein würden wie du selbst es immer warst?
Damit hätte ich kein Problem. Sie sind aber auf ihrer eigenen Reise und es macht Spaß sie zu beobachten, wie sie Dinge entdecken, die auch ich früher entdeckte. Natürlich beschreiten sie andere Wege und ich kann sehr viel von ihnen lernen, weil sie andere Abzweigungen nehmen. Sie dabei zu beobachten, wie sie ihre eigene Identität finden, ist etwas besonders Schönes.

Gibt es einen Ratschlag, den du deinem 20-jährigen Selbst mit dem Wissen von heute geben würdest?
Lese niemals die Kommentare. (lacht) Aber gut, dieses Problem mit dem Internet hatte ich in der Frühphase unserer Karriere noch nicht. Wahrscheinlich hatten uns schon früher genauso viele Menschen gehasst, aber das haben wir nicht so mitbekommen wie heute. Wir sehen aber ohnehin darüber hinweg und ziehen unseren Stiefel durch.

Hat der Punkrock als Musikrichtung heute noch immer eine ähnlich hohe Relevanz wie früher in seinen Glanzzeiten?
Es gibt immer noch eine Jugend, die alte Bands findet und den Punkrock für sich entdeckt. Dieses Genre wird es immer geben, auch wenn es sich stets ändert. Die Grundstrukturen des Punkrock und die Werte und Inhalte, für die er steht, haben kein Ablaufdatum.

Tust du dir heute mit manchen deiner alten Songs schwer, die vielleicht nicht mehr deinen Ansichten oder Gedanken schmeicheln?
Das kann schon vorkommen. Es gibt so viele Songs, bei denen ich nicht einmal mehr weiß, in welchem geistigen Zustand ich mich gerade befand, als ich sie ursprünglich schrieb. Wenn ich aber die Leute im Publikum sehe, wie sie mitsingen und diese Songs leben, dann kommt mir alles wieder so vor, als ob es gestern gewesen wäre. Diese jungen Menschen spiegeln mein eigenes Selbst in der Gegenwart wider. Es ist ein wunderschöner Kreislauf, der einen immer jung hält.

Sind so persönliche, aus dem Herzen kommende Songs manchmal schwierig zu verfassen, weil man gewisse Gedanken vielleicht doch lieber nicht teilen möchte?
Man kann niemals kontrollieren, welche Richtung Songs bei den Hörern nehmen. Aber selbst wenn ein Song sehr persönlich ist, ist es am Ende immer noch nur ein Song. Es ist ein Stück Musik, das mir viel be die Grundbedeutung auf ewig erschließen. Mich ärgern andere Interpretationen nicht.

Wie wichtig ist die Freundschaft zwischen euch in der Band, nachdem eure Shows immer sehr familiär wirken?
Wir kennen uns sehr lange und haben schon sehr viel mitgemacht. Diese ganzen Erlebnisse schweißen dich zusammen und irgendwann wird so eine Band zu einer verschworenen Einheit. Wir haben das große Glück, dass es bei uns genauso funktioniert.

Gab es Momente, wo dir die Intensität eurer Popularität zu viel wurde?
Manchmal kam der Erfolg wirklich etwas schnell, aber wir sind langsam genug damit gewachsen, haben uns niemals in etwas reindrücken lassen, was wir nicht wollten. Die Loyalität dem Projekt gegenüber war immer das Wichtigste.

Was sind die wichtigsten Zutaten für einen klassischen Rise-Against-Song? Was darf niemals fehlen?
Ein Song muss dein Herz berühren und über etwas sprechen, das wichtig für die Welt ist. Wir wählen auch selber unsere Supportbands aus, was uns sehr wichtig ist. Das können Bands sein, die wir lange persönlich kennen, welche, die uns durch Livequalitäten überzeugen, aber auch wieder solche, die wir gar nicht kennen, deren Songs wir aber lieben.

"Wolves" habt ihr in Nashville produziert. Das war das erste Mal, dass ihr nicht in eurer Heimat Chicago aufgenommen habt. Wie kam es dazu?
Es hatte nichts mit der Stadt an sich zu tun, sondern mit Produzent Nick Raskulinecz, der schon mit Bands wie Mastodon oder den Deftones gearbeitet hat. Wir wollten ihn unbedingt auschecken und haben uns dann dazu entschieden, mit ihm zusammenzuarbeiten.

Was waren die größten und wichtigsten Veränderungen, die ihr als Band in den letzten 18 Jahren erlebt habt?
Wir wurden bessere Songwriter und haben das Musikbusiness allgemein viel besser im Griff. Hoffentlich verstehen wir unser Handwerk viel besser - zudem wurden wir auch musikalisch immer toleranter.

Benötigt eine Band wie Rise Against furchtbare politische Zeiten, um überhaupt ihre volle Wertigkeit zu erlangen?
(lacht) Es hilft uns auf jeden Fall zu guten Songs. Wenn wir nur mehr fröhliche Songs schreiben könnten, hätten wir aber ein Problem. Dann würde ich wohl auf der Tankstelle arbeiten, denn das bringe ich nicht auf die Reihe.

Gibt es Themen, über die du niemals singen würdest?
Das weiß ich nicht so recht. Ich schreibe prinzipiell über Dinge, von denen ich zumindest eine gewisse Ahnung habe. Unterbewusst fließen da vielleicht andere Themen ein, aber das kriege ich nicht wirklich mit.

Bereust du etwas aus deiner Karriere?
Dass ich früher meine Gitarre nicht richtig gestimmt habe. (lacht) Mit dem Tun von Rise Against bin ich sehr zufrieden, ich kann da nichts dagegen sagen. Unser erstes Album war noch amateuerhaft, hat uns aber auf unsere Reise gebracht und auch das dritte Album war eines, das ich vielleicht in Nuancen adaptieren würde, aber ansonsten stehe ich immer noch absolut hinter allen Dingen, die wir erschaffen haben.

Fühlst du dich heute angekommen?
Noch nicht. Es gibt noch immer sehr viel, über das wir reden und singen müssen. Rise Against muss für dieses Publikum da sein, das sich selbst um den Zustand der Welt sorgt und wir haben noch sehr viel zu sagen.

Was passiert als nächstes nach eurer Europatour im Herbst, bei der ihr leider an Österreich vorbeischrammt?
Jetzt sind wir einmal mit Sleeping With Sirens unterwegs, dann mit Pierce The Veil in den USA. Die nächsten Festivals und eine Australien-Tour kommen auch wieder. Und bevor die Amtszeit von Trump vorbei ist, dokumentieren wir unsere Gedanken ganz sicher wieder auf einem neuen Album. (lacht) Die Zeiten ändern sich so schnell, es gibt viel, worüber es sich zu reden lohnt.

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