"Krone"-Rezension

Pink Floyd und ihr ambitioniertes Alterswerk

Musik
27.10.2014 13:45
Das Warten von Abertausenden Pink-Floyd-Fans hat endlich ein Ende, denn mit "The Endless River" erscheint dieser Tage das erste Album seit exakt 20 Jahren. David Gilmour und Co. fehlt es dabei aber nicht nur an Querkopf Roger Waters, sondern auch an ausgeklügelten Ideen und einer stringenten Richtungsvorgabe. Dennoch ist das Album ein schönes Dokument aus vergangen geglaubten Zeiten.
(Bild: kmm)

Für die vielen "Floydianer" rund um den Erdball war die unbedachte Twitter-Meldung von David Gilmours Ehefrau, dass es ein neues Pink-Floyd-Album geben würde, wie der Fund des Heiligen Grals. Wie ist das möglich? 20 Jahre nach "The Division Bell" soll es tatsächlich neues Material geben? Jein – denn die 18 (!) Songs auf "The Endless River" stammen allesamt aus den Songwriting- und Aufnahme-Sessions des eben genannten 1994er-Werks. Die 53 zu kaufenden Minuten wurden aus mehr als 20 Stunden Aufnahmematerial von damals zusammengestutzt. Ein nicht unwesentliches Detail: Auf dem neuen Material hört man auch viele Spuren des 2008 verstorbenen Keyboarders Richard Wright.

Widersprüchlichkeiten
Ließen die schon damals um Roger Waters dezimierten Pink Floyd für "The Division Bell" noch eigens angefertigte Zeppeline über die USA, England und Nordeuropa fliegen, sind die Werbemaßnahmen für "The Endless River" ähnlich reduziert wie das ganze Musikbusiness. Immerhin wurde das Artwork des Albums an Gebäuden in zehn Städten rund um die Welt enthüllt, in Londons South Bank leisteten sich Gilmour und Co. sogar eine acht Meter große Leuchtinstallation. Ein interessanter Widerspruch, denn während die Marketing-Maßnahmen noch immer klotzen und nicht kleckern, geht die musikalische Ausrichtung in den entspannten Ambient-Bereich.

Die einzigen Lyrics befinden sich in der abschließenden Ballade "Louder Than Words", die von Gilmour's Ehefrau Polly Samson verfasst wurden. Mit dem sanften Piano-Einstieg, der warm akzentuierten Instrumentierung und dem 80er-Jahre-Pop-Touch im Mittelteil, zählt der Schlusspunkt des Albums auch zu den großen Höhepunkten der progressiven Resteverwertung. Zudem gibt es für alle Liebhaber der 70er-Jahre-Floyd ein wunderbares Gitarrensolo des Bandleaders zu bestaunen.

Nostalgie überall
Dass die Nostalgie fröhliche Urständ feiert, merkt man mitunter auch an der an Vinyl gemahnenden Aufteilung in Side A, B, C und D. Nur so ist es laut Band möglich, in das Audio-Erlebnis des Albums einzutauchen. Erstmals seit mehr als 40 Jahren, nämlich seit dem Jahrtausendwerk "The Dark Side Of The Moon", bekommt auch Drummer Nick Mason Songwriting-Credits zugesprochen. Der versteht das ambitionierte Finden alter Aufnahmen als Tribut an Rick Wright. "Ich denke, dieses Album ist eine gute Anerkennung dessen, was er gemacht hat und wie sein Spiel das Herz des Pink-Floyd-Sounds repräsentierte. Sich diese Aufnahmen noch einmal anzuhören, führt einem vor Augen, was für ein ganz besonderer Musiker er war."

Die Besonderheit der einzelnen Kompositionen lässt sich beim ersten Hördurchlauf nicht zwingend herausfinden. Dafür wirken die Songs, die oft auch nur etwas mehr als einminütige Kurz-Konzepte sind, manchmal zu unausgegoren, verschachtelt und schlichtweg nicht zeitgemäß. Highlights lassen sich dennoch finden. Etwa das mit wuchtigen Drums zersetzte "It's What We Do", das Big-Band-mäßige und mit einem Saxofon verstärkte "Anisina" oder die flotten, 80er-lastigen "Allons-y (1)" und "Allons-y (2)", die das mit Orgel und Grabesstimmung Alterswerk "Autumn '68" flankieren, das tatsächlich vor 46 Jahren in der Royal Albert Hall aufgenommen wurde.

Zwiespältige Angelegenheit
Dazwischen befinden sich aber auch viele Filler, die dem hohen Qualitätsanspruch der reichhaltigen Pink-Floyd-Diskografie nicht vollends gerecht werden. Etwa das mit nautischen Signalen und horrorfilmartigen Klängen vermischte "Calling", die loungige Langeweile in "On Noodle Street" oder die drückende Monotonie in "Eyes To Pearls". Man spürt und fühlt die kongruente Linie, die sich Pink Floyd als Reihungskonzept überlegt haben, doch viel zu oft wird man durch stilistische Wechsel und unpassende Wendungen aus dem gemächlichen Hör-Rhythmus gerissen. Bei "The Wall" etwa wirkte das noch aus einem Guss. Manche Überraschungen treffen aber auch voll ins Schwarze. Etwa die Rede von Physiker-Legende Stephen Hawking in "Talkin' Hawkin'", in dem Background-Gesang und ein gespenstisches Outro für ein Maximum an Atmosphäre sorgen.

Vermischt mit dem träumerischen Artwork des erst 18-jährigen ägyptischen Digital-Media-Künstlers Ahmed Emad Eldin ist der "Endless River" aber genau das, was er aussagt. Es ist wohl Pink Floyds großer Abschied, ein letztes Aufbäumen nach nahezu fünf Dekaden unvergleichlicher Karriere, aber gleichzeitig auch das Offenlassen aller Optionen. Ein endloser Fluss, der vielleicht keine Wiedervereinigung mit Roger Waters mit sich bringt, aber eventuell doch noch irgendwann für eine weitere Überraschung sorgen kann, denn das Album ist ein würdiges Schlusskapitel einer Legende – aber das endgültige Ende könnte ein besseres sein…

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