Österreich tickt anders. Auch am Musiksektor. So manch verstorbene Jazz-Legende würden sich wohl im Grab umdrehen, würde sie mitbekommen, dass die 80er-Jahre Synthie-Pop-Institution Pet Shop Boys nicht nur Teil des diesjährigen Wiener Jazzfestes ist, sondern möglicherweise auch das allergrößte Highlight. In einem Land, wo Trash-Serien-Ikone David Hasselhoff das größte Rock-Festival headlined, Politiker und Künstler wochenlang über eine Zeile der Nationalhymne streiten und politische Reformversuche täglich im Keim erstickt werden, ist die musikalische Kreuzung in der Wiener Staatsoper aber der kleinste Aufreger.
Absolute Kult-Band
Zumal dem britischen Duo Neil Tennant und Chris Low nicht umsonst ein absoluter Kultfaktor anhaftet. Regelmäßige Live-Konzerte gibt es kaum, andererseits sprechen mehr als 100 Millionen verkaufte Alben und 22 Top-Ten-Single-Hits in den britischen Charts für sich. Und wer sich an diesem Konzertabend schon vor dem Auftritt der Briten über die Disco-Hits aus der Konserve mokiert, ist schlichtweg selbst schuld – schließlich weiß jeder, was ihn erwartet.
Und das ist eine perfekt inszenierte, von A bis Z durchgeplante, aber dennoch niemals erzwungen wirkende Best-of-Show mit Inhalten aus mehr als 30 Jahren Synthie-Pop-Hit-Geschichte. Von Beginn an steht die visuelle Opulenz im Vordergrund – zum neuen Song "Axis" werden schwindelerregend schnelle Tunnelfahrten auf die Leinwand vor der Bühne projiziert, bevor sich die beiden Masterminds erst nach der gefeierten Doppelnummer "One More Chance"/"A Face Like That" in eigenwilligen Kostümen präsentieren und dem Publikum damit erstmals etwas näher kommen.
Wie Tag und Nacht
Die Arbeitsaufteilung zwischen den beiden Protagonisten könnte unterschiedlicher nicht sein. Auf der einen Seite Frontmann Tennant, mit seiner markant-näselnden Stimme, den vielen verschiedenen Kostümierungen und der ständigen Interaktion mit dem Publikum (oftmals sogar in lupenreinem Deutsch) der sympathische Anchorman des Abends. Auf der anderen Seite Lowe, wort- und gestenlos hinter seinem DJ-Pult gefangen, die Kultklassiker aus den 80er-Jahren nur selten mit frischen Beats der Neuzeit aufpeppend. Es gibt wohl schwierigere Wege, sein Geld zu verdienen.
So bleiben die Pet Shop Boys wenigstens nicht in der eigenen Vergangenheit mumifiziert, sondern bringen eine frische Note in die alten Songs. Etwa die hörbare Modernisierung des Alltime-Klassikers "It's A Sin", der aufgrund eines kurzfristigen Stromausfalls zwei Anläufe braucht, aber mit einer paralysierend-effektiven Lichtshow punktet. Neben den Stroboskop-Stakkatos und Lasereffekten in Songs wie "Fluorescent" oder "Domino Dancing" werden die perfekt choreografierten Einlagen der beiden Backgroundtänzer mit Applaus bedacht.
Hymnen für die Ewigkeit
Ob mit Stiermasken, auf Stelzen oder in neonorangen Leuchtanzügen – besonders wenn man die aktive Performance der Tänzer mit der konstanten Lethargie Lowes in Verbindung setzt, entfacht dieses passive Zusammenspiel eine besondere Wirkung. Die Songs an sich sind sowieso allesamt Klassiker. Nur eben aus verschiedensten Epochen. "Fugitive", "Suburbia", das live ziemlich hart kommende "Love Etc." oder der mit Riesenjubel bedachte Top-Hit "West End Girls" sind allesamt Hymnen für die Ewigkeit.
Zu "Always On My Mind" oder dem bereits etwas ausgelaugten Village-People-Cover "Go West" haben wohl alle anwesenden Generationen ihre eigene Geschichte. Der erste Kuss im zigarettenrauchverhangenen Hinterzimmer des Dorfbeisls, glückliche Ekstase um 4 Uhr morgens auf der Disco-Tanzfläche beim siebenten Bier oder einfach nur spontane Mitsing-Hymne bei der Morgendusche. Erst beim konzentrierten Genuss der Songs in der gediegenen Atmosphäre der Wiener Staatsoper wird einem wieder gewahr, wie viele Erinnerungen mit den beatlastigen Hit-Produktionen in Verbindung stehen.
Im Prinzip ist ein Pet-Shop-Boys-Konzert eine riesengroße Party mit massig Effekten, ständigem Kopfwippen und der Gewissheit, dass in einem 100-minütigen Set auch wirklich jeder Song zu zünden vermag. Eine wohlgemeinte Abgrenzung zu den oftmals schwerfälligen Jazzrhythmen, eine Auflockerung in das nur scheinbar Seichte und Beschwingte, denn den Texten liegen stets durchdachte Botschaften inne. Der Konfettiregen in der Endphase hätte gar nicht sein müssen. Die Glückseligkeit im ausverkauften Opernhaus setzte im Publikum schon lange vorher ein.
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