Ewiger "Modfather"

Paul Weller und sein Kampf gegen die Nostalgie

Musik
14.07.2015 17:00
Der "Modfather" in Top-Form. Nicht nur sein hervorragendes Konzert in der Wiener Staatsoper war ein Triumphzug, auch sein aktuelles Album "Saturns Pattern" reiht sich nahtlos in die lange Riege der großen Paul-Weller-Klassiker ein. Warum der stets etwas unentspannt wirkende Brite mit 58 so jung wie nie zuvor ans Werk geht, welche Wege seine sieben Kinder einschlagen und was ihm wirklich auf die Nerven geht, das alles hat er uns im Interview verraten.
(Bild: kmm)

Paul Weller als "Grantscherm" abzutun, würde ihm nicht gerecht werden. Natürlich gehört der finstere Blick zum Markenzeichen seiner Erscheinung und die nach außen hin gerne zur Schau getragene Arroganz wurde von jüngeren Britpop-Epigonen wie Oasis-Frontrüpel Liam Gallagher nur zu gerne übernommen. Doch hinter der rauen, fast schon ledernen Fassade versteckt sich eine sensible Seele, fokussiert auf die Musik und die Kunst im Allgemeinen, ruhig in der Sprache, geduldig im Nachdenkprozess. Vielleicht liegt es aber auch an den ehrwürdigen Gemäuern der Wiener Staatsoper, denn selbst ein Paul Weller, der in seinem 57-jährigen Leben schon sehr viel gesehen hat, zeigte sich vor, während und nach der Show von der Wiener Kultlocation beeindruckt.

Ein Fuß in der Moderne
Beeindruckend ist aber auch die nicht enden wollende Kreativität des ewigen Königs aller Mods. "Saturns Pattern" nennt sich sein mittlerweile zwölftes Soloalbum, mit dem er vor etwa zwei Monaten nicht nur eindrucksvoll bewies, dass er noch lange nicht zum alten Eisen gehört, sondern sich bewusst von modernen musikalischen Strömungen beeinflussen ließ. "Pick It Up", der in der Mitte des mit Jazz-, Rock-, Pop-, Blues- und Punk-Zitaten vermischten Werkes gestellte Song, weist gar elektronische Elemente auf. "In den letzten acht Jahren hörte ich verstärkt elektronische Avantgarde-Musik", gibt der in Würde ergraute Sänger im "Krone"-Interview bekannt, "die Art und Weise wie solche Songs komponiert werden, fasziniert mich."

Und schon leuchtet das Blitzen in den stechenden Augen Wellers wieder auf. Jugendliche Unbekümmertheit und das Beiseiteschieben sämtlicher Scheuklappen gelingen ihm bravourös und ganz und gar ohne peinlichen Ausrutscher. Wo man anderen Altrockern möglicherweise einen Zwang zum ewig juvenilen Verhalten attestieren würde, erfüllt der Brite die Rolle mit graziler Souveränität. Geschickt changiert er zwischen den unterschiedlichsten Genres und richtet den Fokus in Songs wie "White Sky" oder dem getragenen "These City Streets" stets auf eine zeitgemäße Produktion ohne nostalgische Verklärung.

Keine Zeit für Nostalgie
Die Vergangenheit war für Weller schon immer ein unwichtiger Aspekt des Lebens. "In der Nostalgie gibt es keine Zukunft. Egal was dich an früheren Zeiten fasziniert hat, es war eine Momentaufnahme, die sich bei dir in Herz, Hirn und Seele gebrannt hat, aber niemals noch einmal in der gleichen Intensität abgerufen werden kann. Die Menschen versuchen auf Biegen und Brechen, etwas nicht Greifbares zurückzuholen. Scheiß drauf! Wir leben im Jetzt."

Ein guter Grund, warum er die Reunion mit seiner legendären Ur-Formation The Jam bis heute ausschließt, bei Interviewfragen darauf oft richtig bissig agiert. "Nicht für alles Geld der Welt", posaunte er in einem Gespräch für wenigen Monaten heraus, bei seiner musikalischen Solo-Erfolgssträhne lässt sich das auch leicht sagen, immerhin pendeln seine Alben konstant zwischen Platz eins und zwei in den renommierten britischen Albumcharts und schaffen dabei den seltenen Spagat, auch von den etablierten Musikkritikern meist wohlwollend beurteilt zu werden.

Der beste Song des Lebens
Ganz im Sinne seiner Gegenwartseinstellung bezeichnet Weller "Saturns Pattern" gerne als "Album des 21. Jahrhunderts". Eben frisch, modern, zeitgemäß – Attribute, die vielen Künstlern beim Suhlen in den großen Tagen abhandenkamen. "Je älter ich werde, umso stärker experimentiere ich im Songwriting und auch beim Sound", erklärt Weller, während der seit fünf Jahren alkoholabstinente Sänger an seinem Tee nippt, "ich will mich selber testen, schauen, wie weit ich in gewissen Bereichen gehen kann. Meine Einstellung ist ganz einfach zusammengefasst – ich denke jeden Tag daran, dass ich morgen den besten Song meines Lebens schreibe."

Im Gegensatz zu früher liegt der Fokus von Weller aber nicht mehr ausschließlich auf Kunst und Kultur, schließlich ist der "Modfather" siebenfacher Vater, die jüngsten Zwillinge sind gerade einmal drei Jahre alt. "Eine meiner Töchter ist eine großartige Zeichnerin, mein zehnjähriger Sohn spielt Gitarre und Schlagzeug und singt sogar schon. Ein paar meiner Kinder folgen mir im künstlerischen Sinne, andere wiederum haben damit gar nichts zu tun."

Bittere Realität
In der heutigen Musikwelt, wo die Albumverkäufe drastisch zurückgehen und sich mit den gängigen Streaming-Portalen kein Lebensunterhalt finanzieren lässt, hat Weller nur einen Ratschlag parat: "Macht es für die Musik und nicht für das Musikgeschäft. Ihr müsst damit rechnen, dass ihr immer schlecht bezahlt werdet und nicht weit kommt. Das ist nun einmal die Realität."

Wenn Weller über die Reichen und Schönen der heutigen Zeit fabuliert, dann kommt doch noch die ihm angedichtete Wut, der Zorn zum Vorschein. "Die Kultur hat sich in den letzten 20 Jahren fundamental verändert. Heute können Menschen ohne besondere Fähigkeiten ihr Gesicht in die Kamera halten und werden damit reich und berühmt. Keiner weiß aber, weshalb. Für junge Menschen ist dieses Statement regelrecht beschädigend. Das ist eine leere, vakuumverpackte Kultur, wenn völlig talentbefreite Idioten von der Masse der Öffentlichkeit angebetet werden."

Welt der Mods
Paul Weller zieht lieber sein eigenes Ding durch, ohne dabei den Grandseigneur des Brit-Pop raushängen zu lassen. "Ich will einfach weiterleben und viele Alben machen." Mit Boy George? "Wer weiß." Mit deinem Kumpel Noel Gallagher? "Möglicherweise, solange ich gesund bleibe und mein Familienleben intakt ist, ist alles drin." Und solange der Blick finster ist, ist die Welt der Mods okay.

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