"Krone"-Interview

Passenger: “Bin kein Arsch in Armani-Anzügen”

Musik
12.11.2013 17:00
Der britische Folk-Sänger Mike Rosenberg alias Passenger war die Sensation des ersten Halbjahres. Mit seiner Erfolgssingle "Let Her Go" katapultierte er sich an die Spitze der österreichischen Single-Charts und seine gesamte Herbsttour, die ihn am 14. November auch ins Wiener Gasometer führt, ist restlos ausverkauft. Im "Krone"-Interview erzählt der sympathische Musiker von Musikerdasein auf der Straße, warum er nichts von teuren Musikvideos hält und weshalb Besucher seiner Konzerte keinen Whiskey brauchen.
(Bild: kmm)

"Krone": Mike, im Sommer hast du bei rekordverdächtigen Temperaturen vor dem Wiener Rathaus gespielt und Hunderte Schaulustige sind gekommen, um dich zu sehen. Hat es dir Spaß gemacht?
Passenger: Ich habe es geliebt. Du weißt ja nie, was du von solchen Auftritten hast. Manchmal kommen 20 Leute, dann wieder ein paar hundert. Ich habe noch nie so richtig in Wien gespielt und dementsprechend niedrig waren meine Erwartungen – aber das war einfach nur unglaublich.

"Krone": Ein spezielles Erlebnis war sicherlich auch dein Nova-Rock-Auftritt. Inmitten all der harten Bands bist du mit deiner Gitarre auf die Bühne marschiert und konntest von Song zu Song immer mehr Leute heranziehen.
Passenger: Als ich das Line-up im Vorfeld gesehen habe, kamen tatsächlich Sorgen in mir hoch. So viele harte Bands - wie soll ich da "Let Her Go" spielen? Unmöglich (lacht). Aber es kam ganz anders. Die Leute waren begeistert und haben mitgesungen. Ich glaube sogar, dass all die Metal- und Hard-Rock-Fans in diesen drei Tagen froh darüber waren, einen Künstler zu sehen, bei dem sie auch mal durchatmen können.

"Krone": Was für Gefühle kommen in einem hoch, wenn man wirklich ganz alleine vor Tausenden Menschen bei Festivals spielt?
Passenger: Ich bin schon seit fünf oder sechs Jahren alleine unterwegs. Ich war anfangs bei einem großen Festival in Dänemark und dann beim Pinkpop in Holland schon sehr nervös. Aber es lief alles so natürlich ab. Das Publikum ist so respektvoll – speziell in Österreich. Wenn sich die Leute so mitreißen lassen und sich so toll verhalten, dann ist jeder Auftritt großartig.

"Krone": Solo bist du jetzt auch im Gasometer unterwegs.
Passenger: Genau, das ist ja das Konfuse. Passenger war einmal eine Band, aber das hat sich geändert. Ich habe einmal eine Australien-Tour mit einer Band gespielt, die Idee dann aber wieder verworfen. Bei dem Musikstil, den ich spiele, geht es ja stark um Texte und Geschichten von mir. Da fühle ich mich auch alleine wohl. Es ist simple Musik, und simple Musik ist sehr wichtig und wertvoll.

"Krone": Welche Gründe gab es sonst noch, alleine weiterzumachen?
Passenger: Es war kein "Fuck You"-Moment, wir sind immer noch gute Freunde (lacht). Ein paar meiner Bandmitglieder haben kleine Kinder und konnten nicht so oft touren, wie ich wollte. Ich finde, in der Musik muss man immer seinen eigenen Weg finden. Ich nehme meine Gitarre, ein paar CDs und schon bin ich unterwegs. Das war immer mein Grundgedanke, als ich Straßenmusiker wurde. Einfach spontan zu sein und zu gehen – wo auch immer es mich hinzieht. Ich hatte keine Freundin, keine Band, keine Wohnung – warum sollte ich es nicht versuchen?

"Krone": Du bist im englischen Brighton geboren und aufgewachsen. Wann bist du nach Australien gegangen?
Passenger: Richtig umgezogen bin ich nie. Als ich auf der Straße zu spielen begann, habe ich das einen Sommer lang in England gemacht. Ich habe es geliebt und wollte weitermachen. Aber in England wird es recht schnell kalt, also habe ich ein Land gesucht, das englischsprachig ist, wo es warm ist und man Musik schätzt. Australien war perfekt. Ich habe dort ein wunderschönes halbes Jahr erlebt und auf der Straße, auf Festivals und in kleinen Clubs gespielt. Dann habe ich eine Zeit lang zwischen den beiden Ländern gependelt.

"Krone": Das ist ein ziemlich nomadenhafter Lebensstil. Ist das der richtige Weg für dich?
Passenger: Es kann schon sehr hart und ermüdend sein, schließlich siehst du Familie und Freunde nicht wirklich oft. Es ist aber auch einer der außergewöhnlichsten Arten, um zu leben. Ich muss mich nicht wirklich um Alltägliches sorgen und habe auch keine großen Besitztümer. Irgendwann will ich schon mein Haus haben, aber derzeit brauche ich das nicht. Ich reise mit ein paar guten Freunden und treffe Leute, die Musik so lieben, wie ich sie liebe. Mehr kann ich gar nicht wollen.

"Krone": Heimweh hast du aber?
Passenger: Auf jeden Fall. Wenn alles gut läuft – all die Konzerte und Bekanntschaften –, da kannst du dir gar kein anderes Leben vorstellen, aber wenn du müde oder krank bist, willst du einfach nach Hause und nichts mehr mit dem Ganzen zu tun haben.

"Krone": Wo fühlst du dich zu Hause? In England oder Australien?
Passenger: In dem Fall schon in England. Aber ich habe ja kein wirkliches Daheim. Wenn ich nach England komme, wohne ich entweder bei meiner Mutter oder guten Freunden.

"Krone": Wann hat sich die Entscheidung bei dir gefestigt, ein Straßenmusiker zu werden?
Passenger: Als sich die Band auflöste, stand ich auf einer Art Kreuzung. Ich hatte keinen Plattenvertrag, kein Geld und die Kreditkarte half mir auch nichts mehr. Ich musste mich entscheiden. Entweder ich beginne, für meine Auftritte etwas zu verlangen, oder ich mache etwas anderes. Gehe auf die Uni und studiere Psychologie oder so etwas. Ich habe Ersteres einfach probiert. Nach einer Woche hatte ich vom Spielen auf der Straße mehr Geld beisammen als bei meinem anderen Job nach einem Monat. Ich war damals Küchenchef und hatte trotzdem weniger verdient als auf der Straße. Auch die Facebook-Likes explodierten. Das war ein großer Moment für mich. Ich habe gefühlt, dass das noch besser werden kann, wenn ich nur dranbleibe. Es braucht seine Zeit, aber wenn du genügend Menschen überzeugst, kannst du es schaffen. Du lernst auch das Leben kennen. Anfangs wollte ich nur raus und irgendwo spielen. Das war oft in mehrfacher Hinsicht fürchterlich. Etwa montagmorgens, wenn die Leute an dir vorbeigehen und sich nur denken: "Halt doch die Fresse." (lacht). Aber irgendwie kennst du alle Tricks, weißt du, wo und wann du am besten an welchem Platz bist. Wenn du vor niemandem spielst, bricht das natürlich Selbstvertrauen und Motivation, aber ich glaube, dass so gut wie jeder Musiker einmal durch dieses Tal tauchen muss.

"Krone": Hast du dir nie gedacht, das Handtuch zu schmeißen und einfach einen normalen Job zu machen?
Passenger: Doch, doch. Das ist erst ein, zwei Jahre her. Ich kam an den Punkt, wo ich dachte: "Okay, du bist jetzt 27, du machst das seit vier und fünf Jahren und es geht ja langsam nach oben, aber eben auch sehr schleppend." Wenn du älter bist, beginnst du an die Zukunft zu denken. Mit 21 war mir das total egal, aber jetzt denke ich schon an später.

"Krone": Dann kam eine Tour mit Ed Sheeran und das Album "All The Little Lights". Wer oder was sind denn all die kleinen Lichter?
Passenger: Hm, wie soll ich das erklären? Wir alle sind geboren mit einem Herz voller kleiner Lichter, die hell scheinen. Und immer, wenn wir mal traurig, alleine oder wütend sind, geht eines dieser Licht aus. Verspüren wir aber Liebe, Freude und Hoffnung, gehen sie wieder an. Die Botschaft ist, einfach so viel Licht wie möglich anzubehalten. Man muss einfach die richtige Balance finden. Das wird schwerer, wenn du älter wirst. Man wird immer zynischer und verbitterter.

"Krone": Bemerkst du das auch bei dir selbst?
Passenger: Auf jeden Fall. Ich glaube, das ist ein natürlicher Prozess, der bei allen Menschen eintritt. Als Kind ist alles so wundervoll und aufregend. Wenn du älter wirst, hörst du auf, Fragen zu stellen, lässt dich nicht mehr auf so viele Abenteuer ein.

"Krone": Was sind denn die Unterschiede zwischen den großen Bühnen und kleinen Straßengigs?
Passenger: Ich mag wirklich beides gleich gerne. Bei so großen Festivals zu spielen macht sehr viel Spaß, das gibt dir richtige Adrenalinstöße. Du fühlst dich wie Bruce Springsteen, das ist bizarr (lacht). Aber der Grund, warum ich in die Musik gekommen bin, sinchen, aber in erster Linie habe ich was zu sagen und das will ich mit anderen Menschen teilen. Die Leute sollen auch etwas fühlen, mich erfassen können. Wenn das gelingt, dann fühle ich mich wirklich großartig. Und es gibt dafür keinen besseren Platz als die Straße. Du spürst die Verbindung und kannst alle beobachten. Bei großen Gigs fehlt es halt an Intimität.

"Krone": Da du so eine starke Fannähe hast – befürchtest du, mit dem steigenden Erfolg könnte sich das auch bei dir ändern?
Passenger: Das nicht, aber es geht nicht mehr so viel wie früher. Ich habe zum Beispiel einfach nicht mehr die Zeit, jede einzelne Facebook-Nachricht zu beantworten. Das nervt mich selbst, aber es ist unmöglich. Manchmal musst du einfach etwas ändern. Ich gebe aber immer noch alles, um den Leuten zu beweisen, dass ich der Gleiche bin. Sie sollen wissen, dass ich kein Arschloch in Armani-Anzügen und mit Ray-Ban-Sonnenbrillen bin. Derzeit habe ich gefälschte Ray Bans – so echt bin ich (lacht). Jemand hat mir einmal gesagt, es ist viel wichtiger, ein erfolgreicher Mensch zu sein als ein erfolgreicher Musiker. Das ist noch heute eine sehr wichtige Botschaft für mich. Nach diesem Grundsatz lebe ich jeden einzelnen Tag. Es ist einfach viel wichtiger, warmherzig und nett zu sein, als auf Biegen und Brechen die Nummer eins zu werden.

"Krone": Kannst du dir vorstellen, künftig mal wieder mit einer Band zusammenzuspielen?
Passenger: Definitiv. Da geht es mir ja gut, denn als Solokünstler kann ich mir diese Entscheidung immer offenhalten. Umgekehrt ist das wesentlich schwieriger.

"Krone": Auf deinem neuen Album gibt es einen Song namens "I Hate", der so gar nicht zu allen anderen Nummern passt. Ist das die zornige, wütende Seite von Passenger?
Passenger: Ich bin kein Mensch mit Hass, aber natürlich gehen mir auch viele Sachen auf die Nerven. Es ist eigentlich ein lustiger Song. Jeder wird dort eine Verbindung zu sich selbst finden und sagen: "Ja verdammt, der Typ hat doch recht" (lacht). Ich gehe auch ernsthaft an Musik ran. Eine Stunde lang über die verlorene Freundin zu singen, ist ein bisschen viel, also habe ich "I Hate" geschrieben. Ich will, dass die Leute bei meinen Konzerten Spaß haben. Niemand soll weinen oder eine Flasche Whiskey trinken (lacht). Du kannst auch mit trauriger Musik eine positive Show erzeugen.

"Krone": Wie passt deine ruhige Folkmusik in die Mainstream-Charts, die so oft von Retorten-Bands und Castingshow-Wundern dominiert werden?
Passenger: Das ist verrückt. Diese letzten Monate sind einfach ein Wahnsinn, denn ich habe nie wirklich radiotaugliche Musik gespielt. Ich will niemanden richten, aber es gibt definitiv diese Bands und Musiker, die genau auf den großen Mainstream-Erfolg abzielen. Das geht vom Songwriting bis hin zur üppigen Produktion. Ich habe einfach Songs geschrieben, sie auf ein Album gegeben und gedacht, das wäre cool. Ohne Marketing, ohne große Videos und ausladende Fotos. Ich habe nicht einmal davon geträumt, in irgendeinem Land im Radio gespielt zu werden – geschweige denn weltweit. Das Video zu "Let Her Go" hat 2.000 australische Dollar gekostet. Wir haben ein Konzert in Sydney gespielt, ein Freund kam mit drei Kameras und fertig war es. Jetzt hat es 128 Millionen Klicks auf YouTube. Ich bin sehr stolz darauf, denn alles was dieses Video hat, sind wir. Ein Haufen Idioten, die backstage abhängen und gerne Musik machen. Es lehrte uns aber auch, was wichtig ist. Das sind bei "Let Her Go" die Lyrics und die Melodie – damit können die Menschen etwas anfangen. Um mit den Menschen eine Verbindung herzustellen, brauchst du nicht Millionen von Dollar, sondern nur den Song selbst.

"Krone": Das wird aber mit steigender Berühmtheit schwieriger werden. Irgendwann kommen vielleicht Videos mit Special Effects.
Passenger: Aber wofür? Du hast schon recht, der Druck kommt mit Sicherheit. Aber das nächste Video wird wieder recht simpel. Ich kümmere mich auch nicht wirklich darum, ich wollte niemals in Videos zu sehen sein (lacht). Das ist so langweilig, da geh ich lieber auf die Straße und spiele und schreibe einen Song.

"Krone": Machst du dir jetzt nicht selbst großen Druck?
Passenger: Nicht wirklich. Ich habe schon so viel mehr erreicht, als ich je gedacht habe. Von der finanziellen Seite her gesehen gibt es mir natürlich die Möglichkeit, sehr selbstständig zu sein. Und selbst wenn es nach "Let Her Go" nach unten geht – was gibt es Schöneres, als deinen Enkelkindern zu erzählen, dass du diesen Song gemacht hast? Dass du Nummer eins in Österreich warst? Das ist einfach großartig – wie viele Leute können das schon behaupten? Wenn das wieder passiert, ist das natürlich hervorragend.

"Krone": Du hast also keine Angst, einmal als One-Hit-Wonder zu enden?
Passenger: Ich sage es mal so: Für manche mag das wie ein One-Hit-Wonder wirken. Jemand, der diesen Erfolg nie bestätigen konnte. Das Tolle ist ja, dass viele Leute, denen "Let Her Go" gefällt, auch meine älteren Alben anchecken werden. So etwas verschreckt mich nicht. Außerdem habe ich schon zu viel Material dafür veröffentlicht.

"Krone": Deine künstlerische Freiheit ist dir sehr wichtig. Würdest du die aus finanziellen Gründen auch aufgeben?
Passenger: Das mit der Freiheit ist ein lustige Sache. Noch vor einem Jahr haben inklusive mir drei Personen das ganze Projekt in der Hand gehabt. Aber wenn eine Sache wächst, musst du adaptieren und nachjustieren. Ich arbeite mit vielen kleinen Independent-Labels zusammen, die weltweit verstreut sind. Du musst einfach auf dich hören und das Bestmögliche wählen. Für mich geht es da um Menschen, bei denen ich eine Passion zur Musik erkenne.

Passenger spielt am Donnerstag, 14. November, sein einziges Österreich-Herbstkonzert im Wiener Gasometer. Die Veranstaltung ist bereits seit Wochen restlos ausverkauft.

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