Musik mit Message

Nova Rock: Politkritik im Rockgewand

Musik
17.06.2017 09:33

Nach zwei Tagen Sonnenschein gab es am Freitag die erwünschte Nova-Rock-Abkühlung. Der teils wuchtige Platzregen trübte die Freude bei den beiden Blue-Stage-Headlinern Prophets Of Rage und System Of A Down aber nur marginal - zu souverän, spielfreudig und spielerisch famos agierten die Kultmusiker. Ansonsten zeigte Tag drei erstmals Schwächen im Line-up.

(Bild: kmm)

Vertrackter Metal oder hitverdächtiger Hip Hop? Immerhin standen sich Freitagnacht die Headliner System Of A Down und Beginner gegenüber. Die einen eine US-Band mit armenischen Wurzeln, komplexen Songs und starker politischer Botschaft, die anderen eine deutsche Rap-Institution, die nach langer Auszeit im Vorjahr mit "Advanced Chemistry" ein Comeback feierte. Und entlang diesen beiden Strängen lief auch das untertags Gebotene, womit sich für die Fans eine echte Wahlmöglichkeit ergab. Hände in die Luft und Wortspiele oder doch lieber die Action im Pit suchen?

Pure Aggression
Letzteres gab es jedenfalls bei Code Orange: Die US-Band hat sich trotz ihrer jungen Jahren einen ansehnlichen Ruf in der Hardcore-Szene erspielt. Mit Album Nummer drei, dem im Jänner erschienenen "Forever", hat die Formation aber endgültig alle Formalitäten hinter sich gelassen, verknüpft Aggression, schneidende Riffs und stampfende Beats schon mal mit elektronischen Einflüssen, schielt dabei in Richtung Industrial und versteht es ganz nebenbei, mit "Bleeding In The Blur" einen astreinen Hit mit Alternative-Schlagseite zu fabrizieren.

Die Zeit im Proberaum und Studio hat sich definitiv ausgezahlt: Auch wenn es beim Festival in Nickelsdorf ob der frühen Bühnenzeit erst einige Hundert mitbekamen, hier wächst eine der spannendsten Heavy-Bands dieser Tage heran. Was wohl auch daran liegen dürfte, dass Code Orange ihre Musik ziemlich ernst nehmen - manchmal sogar etwas zu ernst. "Code Orange sind meine Freunde, meine Familie, mein Leben", erzählt Drummer und Sänger Jami Morgan im Gespräch mit der "Krone", "es gibt absolut nichts Wichtigeres für mich, als diese Band."

So sorgten Sound- und Elektronikprobleme auf der Bühne für wenig Begeisterung. Dementsprechend verärgert war Morgan zu Beginn des Interviews: "Es tut mir leid Mann, aber wenn ein Gig in die Hose geht, dann bin ich angepisst. Bei uns muss jedes Konzert sitzen und ein Erlebnis sein. Natürlich passieren Fehler, aber man muss sie schnellstmöglich ausmerzen." Den Fans war es freilich egal, denn die starteten schon in den frühen Nachmittagsstunden erste große Moshpits.

Richtige Prioritäten
Ein weiterer Puzzlestein ist die ästhetische Komponente bei Code Orange - von den Covers, den Texten bis zu den Videos vermittelt die Band eine gehörige Portion Brutalität und Düsternis. "Das Gesamtbild einer Band ist wichtig, wir wollen schließlich allen erklären und zeigen, wer wir sind und wofür wir stehen. Aber am Wichtigsten ist immer noch die Musik. Wenn die Songs nicht zünden, dann ist alles andere umsonst."

Spätestens nach der Show von Code Orange war dann auch das klassische burgenländische Festivalwetter (inklusive auffrischendem Wind) zurückgekehrt. Und bei strahlendem Sonnenschein (und milderen Temperaturen) ließ es sich dann auch zu den Ska- und World-Music-Klängen bei Jamaram aus München bestens tanzen, während Sleeping With Sirens eine eher abgelutschte Version von zeitgemäßem Rock darboten. Allfällige Ermüdungserscheinungen am dritten Festivaltag schienen die Besucher ohnehin noch abseits der großzügigen Beschallungsanlagen auszukurieren. Schließlich gibt es rundum einiges zu erleben.

Das Angebot auf der Red Stage richtete sich am Freitag vornehmlich an die Fraktion der sanfteren Klänge. Die Österreicher von Dawa boten ein gemütlich-bekömmliches Indie-Alternativprogramm, bevor die dicken Hosen ausgepackt wurden. Der deutsch-afghanische Rapper SSIO, mit seinem Album "0,9" letztes Jahr immerhin auf Platz eins der deutschen Albumcharts gelandet, hatte neben dicken Beats und markigen Sprüchen auch ein opulentes Bühnenbild mit an Bord. Dazwischen wurde mit weiblichen Fans getwerkt und gefreestylt. In eine ähnliche Kerbe schlug das Hamburger Gangsta-Rap-Kollektiv 187 Straßenbande, das aber ähnlich wie SSIO und die australischen House-Koryphäen Knife Party vor ziemlich leerer Kulisse konzertierte. Stimmung kam nicht einmal beim Hip-Hop-Kollektiv Beginner auf, das mit System Of A Down aber ein mehr als wertiges Konkurrenzpaket als Widerpart hatte. Das Experiment "Nova-Hip-Hop" ist dennoch eher gescheitert.

Thrash mit Konfetti
Auf der Blue Stage hatte Qualitätslärm Hochkunjunktur, denn die deutschen Thrash-Metal-Urgesteine Kreator fuhren mit einer gewaltigen Pyro-, Konfetti- und Springschlangenshow auf, die man von Bands ihrer Couleur normalerweise nicht zu Gesicht bekommt. Doch das Ruhrpott-Kollektiv landete mit dem letzten Studio-Output "Gods Of Violence" auf Platz eins der deutschen Charts und brachte auch harten Metal in den Mainstream. Mille Petrozza freute sich auch im "Krone"-Interview über die veränderten Bedingungen. "Wir arbeiten sehr hart dafür, sind musikalisch vielleicht etwas zugängiger geworden." In Wien spielten Kreator schon im Februar - allerdings konnten sie den Gasometer nicht ausverkaufen. "In Wien muss man am Wochenende spielen und eine Show bieten, denn in Weltstädten haben die Menschen so viel Auswahlmöglichkeiten, dass man sich besonders bemühen muss."

Gesagt, getan. Von Anfang an brennen Kreator sowohl akustisch als auch visuell ein beeindruckendes Feuerwerk ab, dass sich durch sämtliche Phasen ihrer gut 35-jährigen Karriere zog. Da stellte sich der (etwas zu pathetische) neue Hit "Satan Is Real" zum Klassiker "Phobia", überzeugte "Phantom Antichrist" neben "Violent Revolution". Der kleinste gemeinsame Nenner? Memorable Melodien, die aus dem brachialen Geshreddere fast schon bekömmliche Hits gedeihen lassen. Kaum eine andere Band versteht es derart geschickt, hymnenhafte Parts in ihren Metal einzubauen, ohne an Authentizität zu verlieren. Dass Mille dazwischen mit den gewohnt zweifelhaften Bühnenansagen ("Wollt ihr den totalen Terror?") zu punkten versuchte - geschenkt. Das ist die Fan-Klientel mittlerweile gewohnt und längst Teil des Standardprogramms. Der Karriereweg geht im höheren Alter weiterhin steil nach oben.

Abräumer des Abends
Ein Hauch von Unsicherheit lag vor dem Auftritt der Supergroup Prophets Of Rage. Die Instrumentalfraktion rund um Gitarren-Genie Tom Morello von Rage Against The Machine, am Mikro Cypress Hills B-Real und Public-Enemy-Legende Chuck D, dazu DJ Lord an den Turntables. Kann das Nostalgieprogramm funktionieren? Sind die politischen Hymnen von vor 25 Jahren auf die Jetztzeit zu übertragen? Wie ersetzt das Hip-Hop-erbrobte Duo RATM-Standardsänger Zack de la Rocha, der kein Teil dieses Projekts ist? Schon nach den ersten Klängen des Eröffnungssongs waren alle Zweifel begraben. Wie keine Band zuvor auf dem diesjährigen Nova Rock zelebrierte das All-Star-Ensemble Spielfreude, Spaß und Gemeinschaftsdenken. Hier rockten keine abgehalftern Altstars, um mit Kultsongs ihre Gagen einzufahren, sondern eine ganze Bande an Vollblutmusikern mit dem einzigen Ziel, zwischen sich, ihren Songs und dem Publikum eine magische Vollkommenheit zu erschaffen.

"Wir sind auf unserer ersten Tour durch Europa sensationell empfangen worden", erzählt Chuck D im Interview mit der "Krone", "natürlich kennt man uns und unsere Songs, aber wir sind trotzdem eine neue Band und sehr wohl dankbar dafür, dass uns so viele Menschen ihr Vertrauen schenken." Dieses Vertrauen zahlte das Sextett bravourös und souverän zurück. Mit unglaublicher Power und glasklarem Sound donnerte ein Kulthit nach dem anderen aus den Boxen. Zwischen "Guerrilla Radio", "Bombtrack" und "Fight The Power" blieb kaum Platz zum Durchatmen. Zeremonienmeister Morello wieselte wie ein Flummi über die Bühne, spielte die Gitarre wie weiland Jimi Hendrix auch mit kum scheinen.

Hommage an Cornell
Politik und Sozialkritik ist den Prophets Of Rage trotz all der Freude am Spielen am Wichtigsten. Es geht um das große Gemeinsame und den Frieden in Zeiten der Aufruhr. Das bei den stürmischen Songs auch heftiger Platzregen einsetzt, kann fast schon als Wink von oben verstanden werden. Hier donnert die Message von oben herab. Für einen speziellen Gänsehautmoment sorgte auch noch eine Huldigung an den unlängst tragisch verstorbenen Soundgarden-Sänger Chris Cornell. Der kultige Audioslave-Song "Like A Stone" wurde mit bewunderswerter Melancholie von System Of A Down-Frontmann Serj Tankian dargeboten. Bei einem heißen Hip-Hop-Medley gingen B-Real und Chuck D mit dem Publikum im Fotograben auf Tuchfühlung und die Welthits "Bullet In The Head" oder "Killing In The Name" animierten das durchnässte, aber glückliche Fanvolk zum enthusiastischen Mitsingen. Eine Meisterleistung, die nach mehr schreit. Das Debütalbum erscheint am 15. September - wer weiß, das da noch kommen mag...

Für System Of A Down gab es am dritten Nova-Rock-Tag schwierige Vorzeichen, um als krönender Abschluss zu fungieren. Nur: Die US-amerikanische Metalband mit armenischen Wurzeln lieferte trotzdem ab - obwohl man auf neues Material vollkommen verzichten musste.

Zwölf Jahre sind seit dem bis dato letzten Albumdoppel "Mezmerize" und "Hypnotize" vergangen. Seit ein paar Jahren tourt das Quartett immerhin wieder regelmäßig. Doch wo die Band derzeit steht, das war vor der mitternächtlichen Einlage die große Frage. Fast 20 Jahre dauert die Bandgeschichte mittlerweile, mit einigen Unterbrechungen in der jüngsten Zeit. Die Band hat allen voran um die Jahrtausendwende die Charts mit eigentlich wenig charttauglichen Songs gestürmt. Vertrackte Rhythmik, messerscharfe Riffs und teils dadaistische Lyrics? Hat vor gut 15 Jahren bei "Deer Dance" oder "Psycho" bestens geklappt und fährt auch heute noch in die Beine. Beide Songs waren Teil der ziemlich umfangreichen Setlist, die in die burgenländische Nacht geschleudert wurde.

Souverän und sicher
Tankian legt zwar nicht mehr ganz die Leichtigkeit von früher an den Tag und auch das verrückte Spiel von Gitarrist Daron Malakian (auch Hauptsongwriter der Band) war schon mal extremer - dennoch durfte man sich nicht beklagen. Bei "Toxicity" gab es für die Fans kein Halten. Ohnehin wurden etliche Zeilen inbrünstig mitgesungen - sei es während des ansatzlosen Wechsels von Melancholie und Brutalität bei "Chop Suey!", beim eher nachdenklichen "Aerials" oder dem ausgewogenen "Violent Pornography".

Viele Besucher dürften System Of A Down auf ihrem Höhepunkt sicherlich nicht gekannt haben, trotzdem brauchte es vonseiten der Musiker wenig, um alle zu überzeugen. Die Geschwindigkeit und Härte kreierten in den ersten Reihen ohnehin zünftige Moshpits. Ob die oft politischen Botschaften dabei immer ankamen, schien letztlich zweitrangig. Auch die Sehnsucht des Publikums nach neuen Stücken wurde - ein weiteres Mal - nicht befriedigt. System Of A Down lassen sich offensichtlich Zeit, obwohl Drummer John Dolmayan kürzlich in mehreren Interviews von 15 neuen Songs auf der Habenseite gesprochen hat. Bleibt zu hoffen, dass die Wartezeit bald ein Ende nimmt. Das Nova Rock endet heute, Samstag, u.a. mit David Hasselhoff, Green Day und den Punkrock-Urgesteinen Rancid.

Robert Fröwein, Kronen Zeitung/APA

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