Vermutet man bei "No, Virginia..." zunächst ein schäbiges Recyclingprojekt, so stellt sich die Platte recht schnell als eigenständiges Werk und idealer Kompagnion zum vorigen Longplayer, der ebenfalls einen sachten "Santa Claus ist tot-"Unterton hatte, heraus. Das "Brechtian Punk Cabaret", wie sich Amanda Palmer (voc, piano) und Brian Viglione (voc, dr) bezeichnen, wartet mit gewohnt zugespitzten, herrlich obszönen und makaberen Lyrics auf, denen es eigentlich nicht anzuhören ist, dass sie aus verschiedenen Schaffensperioden stammen. Gemäß dem traurigen Albumcover mit dem niedergestreckten Weihnachtsmann klingt die Platte jedoch eher ernster, nachdenklicher, ruhiger und daher auch poppiger.
Die Überdrehtheit und die übertriebenen Gesten vom selbstbetitelten Debütalbum sind auf "No, Virginia..." folglich seltener zu vernehmen. Dazu trägt einerseits der trockene Sound bei, der auf das im Gegensatz zu ihren vorhergehenden Sessions wesentlich kleinere Studio zurückzuführen ist. Zudem hat Amanda Palmer bei "No, Virginia..." keine echten Klaviere benützt, sondern mit ihrem E-Piano aufgenommen, was einigen Songs der Platte auch Keyboard-Sounds beschert. Es klingt wie ein verschlafenes Privatkonzert, bei dem die sonst so glanzvolle Arbeitskleidung - Strapse und aufwendige Brokatdessous sowie Anzug mit Revers, Fliege und Melone - gegen schmuddelige Pyjamas eingetauscht wurde.
Spaziert die Single "Night Reconnaissance", einer der neuen Songs, noch recht unaufgeregt durch die Nacht (siehe Video oben), arbeiten sich Palmer und Viglione über die ehemalige B-Seite "Lonesome Organist Rapes Page Turner" und das Akkordeon-gestützte Psychedelic-Furs-Cover "Pretty In Pink" bis zum vorletzten Track "The Sheep Song" zur gewohnt virtuosen Performance hoch, bevor mit "Boston" ein sentimental-dramatischer Siebeneinhalb-Minuten-Absacker das Album abrundet. Die breite Soundwand, die scharfen Akzente, die die beiden mit nur zwei Instrumenten generieren, ist das "Killerfeature", das Fans restlos begeistert. Und so lange das noch da ist, bleibt jedes DD-Album eine Empfehlung.
8 von 10 Totenliedern für den Weihnachtsmann
Von Christoph Andert
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