Wiener Stadthalle

Neil Diamond: Brillanter Glanz im hohen Alter

Musik
20.09.2017 08:34

Rund 10.000 Menschen feierten den legendären US-Sänger/Songwriter Neil Diamond bei seinem großen Österreich-Comeback in der Wiener Stadthalle. Mit Top-Hits aus fünf Jahrzehnten bewies der 76-Jährige New Yorker eindrucksvoll, dass sein Lebenswerk die Zeiten überdauern wird. In stimmlicher Hochform, bezirzte der einstige Womanizer das Publikum mit einem würdevollen Revue-Programm.

(Bild: kmm)

So mancher Anwesende befand sich noch in Abrahams Wurstkessel, als Songwriter-Legende Neil Diamond Österreich das erste und bislang einzige Mal seine Aufwartung machte. Im Juni 1977, mit dem Album "Beautiful Noise" auf Platz eins der heimischen Charts, befand sich der New Yorker am Zenit seiner außergewöhnlichen Karriere und füllte die Wiener Stadthalle gleich zweimal. Dass es ganze 40 Jahre bis zu einem Wiedersehen dauerte, sorgte bei den rund 10.000 Besuchern für viel Aufregung im Vorfeld. Für die einen schloss sich mit der lang erwarteten Rückkehr ein musikalischer Kreis, andere konnten endlich live in die Welt hineinschnuppern, die sie aus zahlreichen Hollywood-Filmen kennen und so manchem Jungspund wurde von Papa und/oder Opa die nachhaltige Wirkung eines Songs wie "Cherry, Cherry" genauer erläutert.

Große Band
Auf seiner "50 Year Anniversary World Tour" kann der 76-Jährige aus dem Vollen schöpfen - und tut dies auch nach bestem Wissen und Gewissen. Die mehrstufige Bühne in der Stadthalle dient nicht bloß der visuellen Opulenz, sondern wird tatsächlich für das Personal benötigt. Zwei stimmlich eher durchschnittliche Backgroundsängerinnen, ein vierköpfiges Bläser-Ensemble und insgesamt sieben Instrumentalisten, die sich zwischen Keyboard, Percussion und Ziehharmonika austoben dürfen, unterstützen den fleischgewordenen Wurlitzer namens "Best-Of-Palette".

Bevor ein Abend voll unsterblicher Pop-Hits gestartet wird, funkelt auf der eher dezenten Videowall ein Diamant auf die Fans herab, in dem Leben und Karriere des Hauptprotagonisten wiedergegeben werden. Ein seltener Nostalgieausflug, denn trotz des Jubiläumstour-Themas rutscht Diamond während des Konzerts nur noch einmal richtig weit zurück. Im hervorragend-ruppigen "Brooklyn Roads" ließ er die Fans teilhaben am Leben in seiner geliebten Heimat. Die juvenilen Glanzjahre Diamonds evozierten bei so manchem wehmütige Gedanken an das eigene Einst - da wird das New York der 60er-Jahre schnell zum beschaulichen Gumpendorf in der Prä-Kreisky-Ära.

Hit-Lieferant
Solch ernsthafte, inhaltlich gewichtige Momente schleusen sich immer wieder sanft in das revuehafte Treiben des Top-Sängers ein. Das rockige "Jungletime" etwa, oder das eher subtile "If You Know What I Mean" beweisen, welch grandioser Geist sich einst dieser Kompositionen bediente. Doch die Welt ist nicht immer dankbar und der Preis für den großen Ruhm geht bei vielen Künstlern mit dem Aufgeben künstlerischer Integrität her. Schunkel-Hits wie "Solitary Man", der Diamonds Weltkarriere im Mai 1966 in Fahrt brachte, das Schlager-eske "Song Sung Blue" oder das mit Gitarrist Richard Bennett verfasste "Forever In Blues Jeans" sind nun einmal die Nummern, die die breite Masse hören will. Diamond, in Natura durchaus als grummelnder Grantler verschrien, weiß aber ob seiner Stärken und verzichtet tunlichst darauf, den Dylan oder Van Morrison zu markieren. Anstatt bewusst polternd am breiten Geschmack vorbei zu musizieren, erfüllt er alle Wünsche mit einem Lächeln und witziger Schlagfertigkeit.

Ein melancholisches "You Don't Bring Me Flowers" für die vernachlässigten Ehefrauen? Kein Problem. "Red Red Wine" samt Bemühen, das ursprüngliche Stimmtimbre in die Gegenwart zu verfrachten? Warum nicht? Den Monkees mit dem eigens für sie geschriebenen, unkaputtbaren "I'm A Believer" huldigen? Na sowieso! Sichtlich mühevoll trottet der an chronischen Rückenproblemen leidende Sänger von einer Bühnenecke zur nächsten, genießt das Bad in der Menge und überzeugt mit einem unerwartet intensiven Stimmvolumen. In derart hohem Alter mag heute maximal Tom Jones für konstante Qualität sorgen, denn Songs wie "Play Me" oder "Pretty Amazing Grace" intoniert Diamond beneidenswert akkurat.

Wohlfühlprogramm
"Wenn ihr mir zujubelt, dann fühle ich mich gut. Und wenn ich mich gut fühle, dann singe ich auch gut". Witz und Charme versprüht er auch noch - Diamond erweist sich als Entertainment-Gesamtpaket, dem zur vollständigen Glückseligkeit nur eine kräftige Prise Rock’n’Roll fehlt. Wenn er im Schlussdrittel bei "Crunchy Granola Suite" das erste Mal eine Gitarre in die Hand nimmt, wirkt das so authentisch wie Intensivwahlkämpfe ohne Schläge unter die Gürtellinie. Spätestens beim schunkeligen Welthit "Sweet Caroline" würde man dem sympathischen Großvater aber ohnehin alles verzeihen. Mehr als zwei Stunden lang serviert Diamond 28 Hits seiner bahnbrechenden Karriere und kann es sich dabei sogar leisten, Kaliber wie "Kentucky Woman" oder "Shilo" außen vor zu lassen.

13 Minuten Bandvorstellung sind ebenso erlaubt wie das auflockernde Instrumental "Jazz Time", der einzige Moment, bei dem sich Diamond Zeit zum Durchatmen genehmigt. Es bleibt zu bezweifeln, dass man den großen Songwriter noch einmal in Österreich zu Gesicht bekommt - dieser Abschied wäre aber ein mehr als würdiger. Ein echter Diamant funkelt auch im späten Lebensherbst unnachahmlich intensiv.

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