"Death Magnetic"

Metallicas neues Album

Musik
11.09.2008 20:39
"Death Magnetic" nennt sich das lang erwartete neunte Album von Metallica. Und es klingt, als würden sich James Hetfield und Co. im Studio endlich wieder mächtig wohlfühlen. Die Unentschlossenheit und die brachialen, Solo-losen Brettereien von "St. Anger" sind vergessen, die Gitarren wieder höher gestimmt, Schlagzeug klingt wie Schlagzeug, die Songs sind durchschnittlich siebeneinhalb Minuten lang, hochgradig komplex, weder Radio- noch MTV-tauglich und von fesselnder Dynamik. Kraftvoll - wie ein Magnet aus der Schweizer Urknall-Maschine!
(Bild: kmm)

Dabei hatten Metallica ihre Fans mit der Single "The Day That Never Comes" vor rund drei Wochen - wir berichteten - noch einen gehörigen Schrecken eingejagt. Der erste komplette Vorab-Track des neuen Albums war zur Hälfte eine Ballade - und trotz aller Härte und geiler Gitarrenfidelei gab es in Summe doch nur vier Minuten Langsamkeit und ein paar brachiale Tempowechsel - den hohen Erwartungen entsprach die Single ganz und gar nicht. Wahrscheinlich grinsten James Hetfield, Lars Ulrich, Kirk Hammett und Rob Trujillo tagelang diabolisch in sich hinein, als sie die baffen Reaktionen im Web zu lesen bekamen. Der Track ist nämlich in keinster Weise ein Referenzwert für die restlichen neun Songs auf "Death Magnetic". Das Album hat Biss, Härte und eine Dynamik, wie man sie aus den Jugendjahren der Band kennt.

Nicht zuletzt verdankt man das auch der Läuterung von Frontmann James Hetfield. In Interviews erzählt er jetzt, dass zwischen St. Anger und dem neuen Album der totale Absturz mehr als nahe war. "Ich habe mich mit Alkohol getröstet, hatte dabei unkontrollierte Wutausbrüche, schlimme Stimmungswechsel und war einfach ein ziemlich unangenehmer Mensch", sagt der 45-Jährige. Der Film "Some Kind Of Monster" porträtierte das schon 2004. Hetfields Probleme dauerten jedoch auch danach an. Die Band war in einer Sackgasse, die Fans erwarteten beim nächsten Album ein ordentliches Statement und eine klare Abgrenzung zu allem, was nicht Heavy Metal ist. Zu oft war Metallica in den letzten zehn Jahren auf MTV zu sehen. Letztlich hat man sich dann mit ausgedehnten Touren - die "Heilung" bahnte sich etwa beim Novarock-Festival 2006 an, wo man das komplette "Master Of Puppets"-Album zum Besten gab - und einem Produzentenwechsel von Bob Rock zu Rick Rubin wieder mühsam zusammengerauft.

"Death Magnetic" entstand wieder wie die früheren Alben: Zuerst wurden Songs geschrieben, danach intensiv geprobt und das Material wie bei einem Live-Gig eingespielt. Overdubs und Vocals kamen nachträglich dazu. Der Titel "Death Magnetic" ist laut James Hetfield eine Art Metapher für die Faszination des Todes. Der Gedanke, einmal sterben zu müssen, hätte auf viele eine abstoßende Wirkung - aber auch eine anziehende. "So wie bei einem Magneten." Ursprünglich hatte man bei dem Begriff aber die gefallenen Stars des Heavy Metal im Kopf, quasi: Der frühe Tod zieht sie an wie ein Magnet. Was bei Hetfields Selbstzerstörungsdrang ja nicht weit her geholt ist...

Der erste Track "That Was Just For Your Life" beginnt mit pochendem Herzschlag und einem gläsernen Gitarrenintro. Die Ruhe vor dem Sturm. Erst nach 44 Sekunden brettert die Kavallerie los, bei anderthalb Minuten erreicht sie Höchstgeschwindigkeit - und dem Zuhörer huscht ein zufriedenes Lächeln über die Lippen, wenn Lars Ulrich seine zwei Bassdrums zu prügeln beginnt. Der größte Rückgewinn für die Metallica-Anhänger ist auf jeden Fall der messerscharfe Sound. Produzent Rick Rubin verordnete eine "Back To The Roots"-Kur und unterband alle krampfhaften Innovationen. Nach der Devise "Legenden müssen sich nicht weiterentwickeln" werden wieder Gitarrenriffs im Soundkleid der Achtziger ("Mathematik-Metal") auf den Punkt genagelt, dem matschigen Sound tiefgestimmter Klampfen hat man abgeschworen. Tempi- und Mood-Wechsel mitten im Stück - bis zu dem Punkt, wo man auf den CD-Spieler blickt, um nachzusehen, ob denn bereits der nächste Song begonnen hat - machen die Platte zum dynamischsten Werk der Band seit "...And Justice For All". Es klingt wie ein komplizierter Schachtelsatz ohne Beistriche, aber mit einem dicken Rufzeichen am Ende. Der einzige in der Band, der draufzahlt, ist Rob Trujillo - und das bei seinem ersten Metallica-Album. Gemäß der Sound-Doktrin spielt der Bass kaum hörbar im Hintergrund.

Der zweite Track, "The End Of The Line", prescht vor wie eine Dampflokomotive und wandelt sich vom schnurgeraden Heavy Metal zum fast schon groovigen Alternative-Rock à la Rage Against The Machine, bevor er am Ende über ein langgezogenes cleanes Interlude in ein furioses Finale mündet. Einer der markantesten Gitarrenriffs des Albums findet sich auf "Broken, Beat & Scarred". Nach "The Day That Never Comes" - der Song ist im Gefüge etwas besser zu verstehen - kommt mit "All Nightmare Long" ein brutales Ausdauertraining für Schlagzeug und Gitarren. Von der Tour de Force und den vergeblich nach Luft japsenden Gitarren mitgerissen, wird man von James Hetfield überrascht, dessen Stimme sich im Mittelteil fast zu einem Kreischen emporschwingt. Die Breaks in den Songs sind wie eine Vollbremsung, nur eben ohne die Bremsung. Von 100 auf Null, von Null auf 100. Wie das Proton in der Urknall-Maschine.

Fans von Bassist Roberto Agustín Miguel Santiago Samuel Trujillo Veracruz - auf "St. Anger" hatte noch Ex-Produzent Bob Rock den Bass "verbrochen" - bekommen erst auf "Cyanide" etwas mehr von dem kalifornisch-mexikanischem Urviech zu hören. Im Unterschied zum Rest des Albums geht die Band hier geräuschvoller und weniger "tight" zu Werke, Trujillo darf das dafür notwendige Fundament hinbetonieren. Wer Teil eins und zwei mochte, wird auch an "The Unforgiven III" Gefallen finden. Hört man "Death Magnetic" in einem Zug durch, beginnt der Song allerdings nach ein paar Minuten zu bremsen. Der Einsatz von Streichern - ein markanter Bruch mit dem Sound - bringt den Hörer zwischendurch auf den Gedanken, sich das Album zwecks unterbrechungsfreiem Genusses per Digitalisierung als "Neun-Song-Custom-Version" neu aufzulegen.

Acht Minuten feinste Schredderei mit lang nicht mehr gehörten Twin-Guitar-Solis bringt "The Judas Kiss". Auch hier wird wieder brachialst abgebremst, Tempo, Takt und Tonlage gewechselt. Zur Mitte verwöhnt ein gut geschmiertes Hammett-Solo die Ohren. Mit knapp zehn Minuten ist "Suicide & Redemption" der längste Song des Albums. Das Fade-In am Beginn und die fehlenden Vocals vermitteln den Eindruck, die Nummer wäre aus einer überlangen Jam-Session entstanden. Immerhin hatten Metallica für die Platte über 50 Stunden an Material bei kurzen Proben auf den Tourneen gesammelt, aus diesem Ideenpool bediente man sich für die Songs von "Death Magnetic". Herr Trujillo bekommt bei dem zehnminütigen Höllenritt wieder einen seiner seltenen Auftritt im vorderen Lautstärkebereich. Nach vier Minuten machen die Gitarren plötzlich eine Kehrtwende: liebliche Akkorde, ein zartes, melodisches Soli! Zwei Minuten später schwingt Hammett wieder die Axt. Wenn man's so will, ist das Stück eine Aneinanderreihung von Show-Offs inklusive ein paar glorreichen Breaks von Lars Ulrich am Ende der Nummer. Auf der Ziellinie mit "My Apocalypse" fröhnen Metallica dann noch einmal fünf Minuten lang dem Rausch der Geschwindigkeit, ehe die Nummer in einem schlagzeugerischen Epilepsieanfall spektakulär "untergeht".

Fazit: Wer den Vorgänger "St. Anger" nicht mochte, wird sich über "Death Magnetic" sprichwörtlich die Haxen ausfreuen. Wer das Album ganz mäßig fand, wird es nach der neuen Platte leider nicht mehr mögen. Das Beste ist: An den Monstersongs wird man sich ein paar Monate satt hören können - und immer noch neue Dinge entdecken. Nach den Jahren der Verwirrung brechen jetzt wieder Zeiten an, in denen die Band über jeden Zweifel erhaben sein wird.

9 von 10 Urknall-Magneten

Von Christoph Andert

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