Popstar-Seelenstrip

Lily Allen im Interview

Musik
26.01.2009 09:00
Als Lily Allen vor drei Jahren direkt vom MySpace-Blog weg die Pop-Bühne betrat, konnten sich die Kritiker kaum bremsen. Geniale Texte, Wortwitz und kein Blatt vor dem Mund - die damals 20-jährige Britin wurde ein Shootingstar, ihr erstes Album verkaufte sich zwei Millionen Mal. Statt mitten im Glück fand sich die Londonerin aber auf Gossip-Websites und in der beinharten, englischen Klatschpresse wieder. Sie verlor ihr Baby, es gab Paparazzi-Nacktfotos, wilde Gerüchte, erlogene Zitate - das volle Programm. Jetzt macht Lily Allen wieder Musik, verarbeitet alles auf "It's Not Me, It's You" (VÖ: 6.2.). krone.at samt Kamera traf die 23-Jährige nach einem harten Tag zum Interview - besser gesagt: zum Seelenstrip mit brutal ehrlichen Antworten.
(Bild: kmm)

Der Ausblick aus der Dom Lounge im Berliner Radisson-Hotel über die Ostseite der deutschen Bundeshauptstadt ist prächtig. Die Architekturbeleuchtung bekommt durch die hereinbrechende Dunkelheit langsam Kraft, nur der Fußballfeld-große Schotterfleck, wo vor kurzem noch der Palast der Republik - der ehemalige Sitz der DDR-Regierung - stand, zerpflügt das urbane Panoramabild.

Lily Allen ist das schnurzpiepegal, wie die Berliner Schnauze sagen würde. Sie hatte eigentlich schon nach Mittag genug vom Tag, und das lässt sie ihre beiden letzten Interviewpartner spüren. "Is this the last one? Thank God, finally", sagt sie nach dem vorletzten Gespräch mit einem Seitenblick auf die bereits aufgebaute krone.tv-Kamera. "Sorry, no offense", entschuldigt sie sich umgehend. 

Man braucht nicht abwarten, um zu erkennen, dass das heute nichts mehr wird mit dem lustigen Gespräch mit einer quirligen 23-Jährigen, wie man sie von ihrem Debütalbum "Alright, Still" kennt, und dem Anfang Februar erscheinenden Nachfolger "It‘s Not Me, It‘s You", den man die letzten Tage ausgiebig vorab hörte. Lily Allen ist grantig und mag heute ernst sein. Moni von der Plattenfirma - eine Promoterin mit langjähriger, internationaler Erfahrung, die, wie sie der österreichischen Mini-Delegation später stolz erzählt, vor Falcos tragischem Tod noch einmal die Gelegenheit hatte, mit ihm zu arbeiten - reicht ihr noch einen Stapel Singles im Pappkartonschuber und einen Edding-Stift durch die Tür. "Sorry, but I just wanna get this over with before we start", meint Allen und greift sich den Stapel "The Fear", die erste und bereits erfolgreiche Singleauskoppelung des neuen Albums.

Kritzel, patsch. Kritzel-kritzel, patsch. Sie signiert die CDs in einem Zug und wirft sie links und rechts neben sich auf den Boden. Damit die Schrift nicht verschmiert, wie sie sagt. Wie oft sie das wohl in den letzten drei Jahren tun musste? "Tausendmal, Millionen Male? Aber es gehört halt dazu", meint sie. Ihre Augen wirken müde. Nein, das mit der Kamera sei schon okay so. Legen wir los.

krone.at: Auf deinem neuen Album findet sich eine höchst unterschiedliche Ansammlung an Songs über sehr unterschiedliche Themen: Gott, Liebe, Politik, deinen Vater, chinesisches Essen und Blowjobs. Womit hast du dich am liebsten beschäftigt?

Lily Allen: Ähem... das Einfachste ist für mich, über meine Beziehungen zu schreiben. Über Männer, da habe ich viel zu sagen! (lacht) Ich könnte dich tagelang damit zutexten, wie schlimm sie mich behandeln.

krone.at: Musstest du dich da diesmal besonders im Zaum halten?

Lily Allen: Ja, aber nicht nur, weil mir dazu so viel einfällt. Wenn du das Radio aufdrehst, hörst du ja fast nur Lovesongs. Jeder kann Liebeslieder schreiben, weil es wirklich am einfachsten ist. Es ist das vorherrschende Gefühl in unseren Herzen und Köpfen. Liebeskummer, Beziehungsende - da kommen extrem starke Emotionen hoch. Wahrscheinlich gibt es deswegen so viele Liebeslieder, weil es viel schwieriger ist, über andere Dinge zu schreiben.

krone.at: Aber du schreibst nicht wirklich typische Lovesongs. In den Texten klingt das in einer Sekunde nach Liebespfeil, in der nächsten nach einem Messerstich. Fast ein bisschen "grausam"...

Lily Allen: Ja, es sind keine richtigen Lovesongs. Ich weiß nicht recht... ich denke da nicht so viel darüber nach. Ich schreibe, was in meinem Kopf vor sich geht. Wenn ich mich nach grausam fühle, dann macht sich das an diesem Tag in meinem Songwriting bemerkbar. Aber so bin ich nur dann, wenn sich jemand vorher mir gegenüber wie ein Arschloch verhalten hat.

krone.at: Beim Song "Fuck You" gegen deinen Lieblingspolitiker George W. Bush hört man deutlich, wie viel Freude es dir bereitet, die Worte "Fuck you very, very much" zu singen...

Lily Allen: Ja, ich liebe es. Ich finde es total witzig, wenn etwas so aggressives und ordinäres zu einer Melodie kommt, die eigentlich etwas ganz anderes suggeriert. Ich mag den Kontrast, ich benütze das oft in meinen Songs. Weil es spannend und unterhaltsam ist - und das ist es, was Musik sein sollte: entertainment.

krone.at: "It‘s Not Me, It‘s You" klingt erwachsener als dein erstes Album. Trotzdem gibt es Stellen, an denen eine brutal ehrliche, erwachsenen Frau mit einem quirligen, jungen Mädchen zusammenzuprallen scheint. Eine Tatsache über dein Leben?

Lily Allen: Yeah, ich muss oft erwachsener sein, als ich es eigentlich bin und sein müsste. Ich meine, ich hab mein eigenes business, ich wohne in meinem eigenen Haus, ich sorge für meinen Lebensunterhalt. Das ist für die meisten 23-Jährigen nicht gerade Normalität. Andererseits kann ich sehr kindisch sein. Dann finde ich mich plötzlich auf Festivals wieder, betrinke mich dort bis zur Besinnungslosigkeit und behnehme mich wie ein Kind. Dann bin ich froh darüber, dass ich in diesem Geschäft bin, weil es die einzige Branche ist, wo du mit so etwas davonkommst. (lacht)

krone.at: Interessant, dass du es business nennst...

Lily Allen: Na ja, es ist doch business

krone.at: Aber die meisten würden an dieser Stelle von Erfüllung, der Macht von Musik und der Verbesserung der Welt sprechen, oder nicht? Auch wenn es business ist.

Lily Allen:(plötzlich grantig) Jetzt hör mir mal zu! Vor zehn Jahren konnte man das alles wahrscheinlich noch Kunst nennen. Kunst, die von Herzen kommt oder so. Aber vor zehn Jahren hätte ich mich nicht in den Konferenzraum eines Hotels setzen müssen, den ganzen Tag Interviews geben und dabei versuchen, etwas zu verkaufen. Das gibt mir das Gefühl, dass es business ist. Wenn ich nur auf Tour sein und auf Festivals herumhängen könnte, dann würde ich es sicher nicht so nennen. Aber ich steh um fünf Uhr früh auf, fliege quer durch Europa und sitze in einem Zimmer, um mit Journalisten zu sprechen. Es ist business!

krone.at: Na ja, das Anmeldeformular hierfür mit allem Kleingedruckten bekommt man aber gleich zu Beginn. Und so ist es ja nicht, als ginge es dabei nicht doch um Musik, oder?

Lily Allen: Du bist okay, bezieh das jetzt nicht auf dich. (lacht) Aber: Wenn du dich ständig wiederholen musst, um ein Produkt zu verkaufen, dann ist dsa Business. So einfach ist das. Mick Jagger und Paul McCartney hatten es leichter. Zu ihren Zeiten gab‘s noch  Geld in der Musikindustrie. Ich muss verdammt hart dafür arbeiten.

krone.at: Denkst du, dass du in näherer Zukunft an dem Punkt anlangen kannst, wo du nach einem Album fünf lange Interviews gibst, eine Tour machst - und alles läuft?

Lily Allen: Ich hoffe es. Es wäre schön, wenn es so kommt. Falls nicht... Ich könnte dir jetzt nicht sagen, was ich morgen mache.

krone.at:Business?

Lily Allen: Morgen ist Sonntag, da geh ich nur zum Lunch.

krone.at: Kommen wir zurück zum Album. Beim Song "Him" singst du über Gott. Allerdings ist das bei dir eine Art Universalgott. Einer, bei dem alle Religionen landen, obwohl die jeweiligen Leute vielleicht glauben, ihr Gott sei nicht der der anderen.

Lily Allen: Es ist sehr gewagt, nicht? Ich weiß nicht, wer Gott ist. Ich glaube nicht wirklich an ihn, an einen. Ich weiß nur, dass viele Menschen ihn für ihre Politik benützen. Sie ziehen in seinem Namen in Kriege, um zu töten. Und na ja... das mag ich eben nicht.

krone.at: Beim Opener "Everyone‘s At It" geht es um Drogen. Du fragst, wann die Leute endlich damit aufhören, sich shit in ihre Nasen zu ziehen. Der Song hat mich etwas verblüfft. Du hast doch Einblick in jene Bereiche der society, wo es das ganze Jahr über schneit. Hast du für dich selbst keine Antwort auf deine Frage?

Lily Allen: In dem Song geht‘s um die Drogenszene und Abhängigkeit. Der Song sagt nicht, Drogen seien etwas Positives. Ich sage nicht, Drogen seien gut.

krone.at: Das war auch nicht gemeint! (Erst kürzlichEs geht darum, dass die Leute, die es betrifft, ehrlicher zu sich selbst in Bezug auf ihre Sucht sein sollten. Wir sollten offener darüber sprechen, Drogen würden dadurch weniger verführerisch erscheinen. Vielleicht würde es dann weniger Menschen geben, die ihnen verfallen. Das ist alles. Ich mag Drogen nicht. Ich hasse es, wenn ich in eine Bar gehe und meine Freunde sitzen dort wie... (zieht die Nase hoch)... das ist echt ekelhaft.

krone.at: Du warst eine der Ersten, die es mithilfe von MySpace und großer Beliebtheit im Internet zu einem Plattenvertrag brachte. Korrigier mich, aber seit einiger Zeit hast du damit aufgehört, allzu viel übers Web zu kommunizieren?

Lily Allen: Das stimmt. Es ist für andere viel zu einfach, sich daraus etwas rauszupicken und es nach ihren Wünschen zurechtzuschneiden. Ich postete etwas, und plötzlich landeten Fetzen davon auf Gossip-Websites und Celebrity-Websites auf der ganzen Welt. Dummerweise bin ich zu einer Celebrity geworden. Alles was ich sage, kann gegen mich verwendet werden. Oder als News. Beides habe ich dafür aber niemals vorgesehen. Ich wollte mit meinen Freunden, meinen Fans kommunizieren und nicht anderen Leuten dabei helfen, ihre Zeitungen zu verkaufen. 

krone.at: Wie fühlte sich der Moment an, als du zum ersten Mal ein Foto von dir in einer Zeitung sahst, dessen Aufnahme nicht von dir autorisiert wurde? Dachtest du so etwas wie "Jetzt ist es vorbei mit der Privatsphäre"?

Lily Allen: Es war bizarr. Und nein, ich dachte mir das nicht. Ich hatte damals ja noch keine Ahnung, wie schlimm es später werden würde. Das hasse ich an meinem Leben. Aber ich kann nichts dagegen tun. Daheim bleiben, vielleicht...

krone.at: Aber ist es nicht ein Tanz mit dem Teufel, an dem auch du auch ein wenig verdienst?

Lily Allen: Jein. Ich wünschte, ich könnte sie jedesmal verklagen, weil ich ständig falsch zitiert werde. Man lässt mich dämlich aussehen und erschafft eine Figor, die nichts mit mir zu tun hat. Ja, ich quassle gerne. Ja, ich bin oft unverschämt. Ja, ich bin manchmal kontrovers, denke ich, und sage ab und an possierliche Dinge. Aber das ist nichts im Vergleich dazu, wenn das alles plötzlich um das 10.000-fache verstärkt werden. Ich laufe nicht wie eine Verrückte durch die Gegend und brülle: "Ich hasse Madonna, ich hasse Katy Perry!" So bin ich nicht. So verhalte ich mich nicht.

krone.at: Wie schüttelst du diese Dinge ab?

Lily Allen: Mmh. Auf der Bühne. Da denke ich keine Sekunde daran.

An das schreckliche Business...


Von Christoph Andert, Berlin

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