"Krone"-Interview

Joris: “Herz und Kopf sprechen dieselbe Sprache”

Musik
29.09.2015 14:12
Mit seiner Single "Herz über Kopf" landete der deutsche Songwriter Joris auf Platz drei der heimischen Single-Charts. Im ausführlichen "Krone"-Interview haben wir ergründet, wie der 25-Jährige tickt, warum er das gesamte Dasein voller Gegensätze betrachtet und weshalb es ihm wichtig ist, eine klare, humanistische Meinung zu vertreten.
(Bild: kmm)

Der australische Nomade Passenger hat es vor gut zwei Jahren vorgemacht, mittlerweile hat auch Deutschland wieder eine starke Liedermacher- und Singer/Songwriter-Szene, die international für Furore sorgt. So etwa auch der erst 25-jährige Joris Buchholz, der mit seiner Single "Herz über Kopf" vor allem in Österreich einen Nerv getroffen hat und mit dem tiefgründigen Song bis auf Platz drei der Single-Charts vorrücken konnte. Eine respektable Leistung für den hierzulande noch wenig bekannten Protagonisten, der sich im sympathischen Gespräch mit der "Krone" alles andere als zurückhaltend zeigt und bereitwillig und ohne Punkt und Komma sein bisheriges Leben nacherzählt.

Auf der Suche nach Gleichgesinnten
Bis es zu seinem Erfolgsdebütalbum "Hoffnungslos hoffnungsvoll" kam, hat Joris aber schon fast alle Facetten des Musikgeschäfts kennengelernt. Für ihn stand skurrilerweise aber nicht der Traum von großen Konzert, sondern von einem kompletten Album im Vordergrund. Bereits als Fünfjähriger bekam er ein Schlagzeug geschenkt, seine musikalischen Ambitionen waren für ein Kind seines Alters in einem 20.000-Seelen-Dorf in Nordrhein-Westfalen ungewöhnlich. "Ich habe nie aufgehört, an diesen Traum zu glauben, war in der elften Klasse sogar ein Jahr in Texas und habe dort den Folk entdeckt. Mich hielten damals alle für verrückt und da wurde mir klar, dass ich ausbrechen musste, um Gleichgesinnte zu finden."

Logisch, dass der nächste Weg in das mondäne Berlin führte, wo Joris erst Studiotechnik und Gesang studierte, nur um wenig später nach Mannheim zu übersiedeln, wo er in einer Art musikalischen Künstlerkommune von so unterschiedlichen Sparten wie Rock, Klassik, Hip Hop oder Jazz inspiriert wurde. Doch warum der Traum für ein ganzes Studioalbum in Zeiten der schwindenden Aufmerksamkeit und der vereinzelten Spotify-Klicks? "Das Rundum-Paket hat mich schon immer interessiert. Ich wusste schon immer, was ich empfinde und wie ich das in die Musik einbringen möchte. Ein Album ist für mich einfach die ideale Form, diese Gedankengänge kompakt und im passenden Rahmen zu veröffentlichen."

Ein Leben voller Gegensätze
"Hoffnungslos hoffnungsvoll" beleuchtet den beidseitigen Zugang zum Leben, die vielen verschiedenen Facetten des Daseins, die untrügliche Zusammengehörigkeit von Freud und Leid. "Ich stand mal abends in meinem Zimmer, habe Zähne geputzt und mir dabei gedacht, dass das Leben voller Gegensätze besteht", erklärt Joris das Konzept seines Debüts, "auch ich bin manchmal introvertiert, dann wieder extrovertiert. Und meine Songs heißen ,Schwarz-Weiß', ,Bittersüß' und ,Sommerregen' - die Kontraste setzen sich dann in den Texten fort." Die Verletzlichkeit des Künstlers findet man schon am Albumcover, wo Joris als 3D-Scan dargestellt ist - in einer sehr verletzlichen, zerbrechlichen Art und Weise. "So bin ich und so ist ja auch das Leben der meisten von uns."

Joris geht in den einzelnen Songs extrem persönlich ans Werk und verarbeitet dabei auch weniger erfreuliche Erlebnisse. ",Im Schneckenhaus' dreht sich etwa darum, dass zwei meiner Familienmitglieder verstorben sind und ich im Leben immer an den kleinsten Dingen verzweifle, obwohl es ja so schön ist. Ich habe bei dem Lied auch gelernt, das Leben bewusster zu genießen." Die eigene Fragilität mit dem Publikum zu teilen, bereitet Joris keine Probleme. Schwieriger wird es, wenn ihn andere Meinungen und Erlebnisse erreichen. "Ein kleines Kind lag im Sterben und seine Eltern haben mir mitgeteilt, dass sie in dem Song unheimlich viel Energie gefunden hätten. Durch solche Erlebnisse wird der Song natürlich immer schwerer, aber er muss auch von schweren Schultern getragen werden. Bei einem Konzert muss man so eine Nummer einfach aushalten können."

Positive Grundhaltung
Um das Thema Tod geht es auch in "Bis ans Ende der Welt". "Den Song habe ich für einen meiner besten Freunde geschrieben, der in der siebenten Klasse seinen Vater an Krebs verloren hat. Er hat das so gut verarbeitet, dass er in dieser schwierigen Situation sogar für mich da war. Der Song ist für mich aber auch positiv konnotiert, weil man an einen Mensch nicht nur am Todestag erinnert. Es geht darum, die positiven Facetten dieser Person zu beleuchten". Das ist auch die Quintessenz des Albums, denn neben der Hoffnungslosigkeit steckt immer noch viel Hoffnung in den Geschichten - das Gute gewinnt am Ende, wenn man so will.

Joris' Zugang zu den Songs ist aber dennoch dunkel und melancholisch. "Ich denke, man schreibt über die großen Emotionen wie Liebe und Verlust leichter als über die kleinen. Ich gehe intensiver an diese Themen ran und schreibe oft nachts." Den bislang größten Erfolg erreichte Joris eben mit "Herz über Kopf", ein Song über den ewigen Kampf zwischen Emotion und Logik. "Was das Emotionale angeht, bin ich ein Herzmensch und bereue dann oft am nächsten Morgen meine Entscheidungen", schmunzelt Joris, "es gibt aber auch genug Themenkomplexe, wo Herz und Kopf dieselbe Sprache sprechen müssen."

Stolz auf die Nächstenliebe
Damit spricht der 25-Jährige auf die Flüchtlingsthematik an, zu der er klare Ansichten hat. "Ich bin unglaublich stolz darauf zu sehen, wie die Menschen auf den Bahnhöfen in München oder Wien helfen und zueinanderstehen. Wir sind eine Kultur der Nächstenliebe und die wird hier auch wirklich gelebt. Wenn irgendwelche Idioten Brandsätze in Heime werfen oder Schlepperbanden 71 Menschen im LKW ersticken lassen, ist es umso wichtiger, auch die positiven Seiten dieses Themas hervorzustreichen."

Als Künstler sieht sich Joris in der dringenden Position, zu diesem Thema Stellung zu beziehen. "Die Thematik ist ganz klar in Schwarz und Weiß getrennt. Ich will niemandem sagen, was er zu tun hat, das steht mir nicht zu, aber die Politik kann mit Dialogen sehr viel bewirken und wenn wir alle zusammen integrierend arbeiten, können wir wesentlich mehr zur Völkerverständigung beitragen. Auch hier gilt die Maxime: Herz über Kopf. Man sollte sich niemals auf die eigenen Vorteile stürzen, sondern sein Herz für die Nächstenliebe entscheiden lassen." Nach dem musikalischen Erfolg sucht Joris nun also auch den menschlichen - mit viel Empathie und einer gehörigen Portion Hoffnung.

Joris ist am 6. Oktober übrigens live im Wiener Chaya Fuera zu sehen. Tickets erhalten Sie unter 01/960 96 999 oder im "Krone"-Ticketshop.

Loading...
00:00 / 00:00
play_arrow
close
expand_more
Loading...
replay_10
skip_previous
play_arrow
skip_next
forward_10
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
explore
Neue "Stories" entdecken
Beta
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.



Kostenlose Spiele