Erste "Krocha"-CDs

Jetzt “krocht’s” im Geldbörsel

Musik
03.05.2008 14:49
Mit ihren grellfarbenen Neonkapperln, einem eigenen Slang („Bam Oida!“) und dem markanten Kleidungs- und Frisurenstil haben es die „Krocha“ mittlerweile zu Medienberühmtheit gebracht und ziehen bereits via Sendungen à la "Hi Society" ins Fernsehen ein. Anfangs noch als schräger Jugendkult im Raum Wien und Graz entweder mit Argwohn, Bewunderung oder Belustigung beobachtet, riechen jetzt die ersten Geschäftstreibenden aus der Musikbranche Lunte. Zwei österreichischen Plattenmultis haben am Freitag gleichzeitig nach eigenen Angaben die „allererste Krocha-CD“ auf den Markt gespült. Bekanntlich muss man die sprichtwörtliche Sau ja durchs Dorf treiben, so lange sie Geld bringt – und selbst wenn man damit das Ende der Krocha einläutet.
(Bild: kmm)

„Die ultimative exklusive Kopplung für alle Vokuhila- und Neon-Flashcap-Träger“, heißt es im Begleittext zu „Bam Oida! Vol. 1 Krocha Hits“ (EMI Music) - und der Ausruf ist nicht etwa der letzte Satz eines Holzfällers, als die riesige Fichte auf die falsche Seite fiel, sondern umschreibt laut Krocha-Lexikon (siehe Infobox) einen „Moment der Gefühlserregung“.

„The Sound Of a New Generation“, prangt da schon etwas pathetischer formuliert am Cover von „Krocha Traxx Vol. 1“ (Universal Music). Und offenbar planen die beiden Major-Plattenfirmen, das Jugendphänomen weiter auszuschlachten, schließlich handelt es sich ja bei beiden erst um „Vol. 1“.

Geboten wird auf den 33 bzw. 19 Tracks umfassenden Samplern durchwegs prellende Techno-Musik zum „Schranzen“, eine Wortkombi aus springen und tanzen, die auch einen eigenen Tanzstil umschreibt. Unter den „Soch’n zum Kroch’n“, die etwa beim Sampler der EMI von angeblichen „Insidern der Krocha-Community“ zusammengestellt wurden, findet sich auch so mancher aufgekochte Schmäh, von dem man gedacht hätte, er sei längst zu zäh, um ihn noch einmal servieren zu können. Sachen wie „Eins Zwei Polizei“, „Shut Up! (And Sleep With Me)“ oder „Omen“ haben die Gehörgänge von Eltern mit pubertierenden Teenagern schon vor 15 Jahren geplagt.

Aber gerade diese historischen Dokumente musikalischer Bodenturnerei sollen es der konsumorientierten, politisch gleichgültigen und multimedial höchst versierten Jugendbewegung von Anfang an angetan haben - zumindest will man ihr das weismachen. Teuer war das Kompilieren der Tracks daher mit Sicherheit nicht, dafür könnte das Endprodukt umso profitträchtiger werden, vorausgesetzt Krocha lassen sich CDs andrehen…

Zillertaler Hochzeitsmarsch auf 160 Beats per Minute
Begonnen hat das Krochatum allerdings abseits von Major-Plattenfirmen und Eventplanern, die die Neonkapperlträger (überzeugte Krocha tragen angeblich keine) jetzt etwa zu Clubbings mit überteuerten Getränken in die Lugner-City locken, weg von den Parkplätzen vor Großraumdiskotheken, auf denen die Kids ihre Videos mit akrobatischen Tanzschritten drehen, um sich dann im Internet zu messen. Auf der Videoplattform YouTube finden sich Jump-Style-Videos (so nennt sich einer der Tanzstile, aus dem das Krochn entstand), unter anderem aus Holland, die bereits mehrere Jahre alt sind. Dort sieht alles noch nach Straßenkult und Underground aus. Kein Glitzer, kein Dolce&Gabbana.

Momentan der österreichische Renner auf der Plattform sind Videos einer Gruppe, die sich „Die Vamummtn“ nennt und auf einem der Sampler mit der „Vamummtn Krocha Hymne“ (siehe Video oben) vertreten ist. Die Nummer wirkt aber eher wie eine zynische Mundart-Parodie auf den Herdentrieb, die Solarium- und Bräunungscreme-Sucht und das schrille Gehabe der modisch extravaganten und zudem nur auf teure Designermarken abfahrenden Teenager – und ist dabei überraschend humorvoll.

Ein weiterer Quotenrenner mit ebenfalls fast 300.000 Views ist der etwas professioneller produzierte Videoclip zu „Tanz mit mir“ von einem „X-Treme DJ Team“ (siehe Video). Godfather der Szene ist ein gewisser DJ Stee Wee Bee, mit bürgerlichem Namen Stefan Berndorfer, der mit einem Sample des Zillertaler Hochzeitsmarsches (!) „The Ultimate Krocha Anthem“ (zu kaufen auf der EMI-Compilation) zum Diskotheken-Hit machte.

The Next Krocha?
Dass es nicht beim puren Spaß am Tanzen und mit Handys gedrehten YouTube-Videos bleibt, sondern die Überkommerzialisierung der schrägen Jugendkultur durch die ersten Big Players kommt, war leider irgendwie klar. Kaum auszudenken, was da als Nächstes ausgebrütet werden könnte! Eigenes Krocha-Haargel, Spezialversionen von Adidas-Turnschuhen für Krocha, Krocha-Ketchup in Neonfarbe, Mobilfunk-Musikflatrate für Krocha à la „Krochatasche“, „Fair Krocha“ oder „Weg mit dem Rave“, am besten noch Reality-Shows wie „Big Krocha“, „The Next Krocha“ oder „Floridsdorf sucht den Krochastar“ und zum Jahreswechsel Krocha-Kracher für Silvester?

So weit wird es aber kaum kommen. Nachdem die Krocha weder Hippies, Gruftis noch Veganer sind, ihre Arafat-Tücher mit derselben Überzeugung tragen wie Opa seine Hosenträger (nämlich weil’s gut ausschaut, praktisch ist und sonst nichts) und man mit Neonkapperl einfach nicht alt werden wollen wird, dürfte sich das Phänomen genau so schnell wieder im „Jump-Style“ oder anderen Formen rhythmischer Gymnastik verflüchtigen, ehe auf krocha.at noch die „Miss Krocha 2008“ gekürt wird. Fix Oida!

Von Christoph Andert
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