One Eye to Morocco

Ian Gillan im krone.at-Interview

Musik
14.04.2009 20:38
Einer hübschen Frau in einem Krakauer Café haben es die Fans von Ian Gillan zu verdanken, dass er nach 10 Jahren wieder ein Soloalbum aufgenommen hat. "One Eye To Morocco" heißt das zwölf Songs starke, überaus gelungene Werk, das jene Facetten der musikalische Persönlichkeit des Deep-Purple-Frontmanns betont, die zwischen "Smoke On The Water" und "Highway Star" oft nur schwer zur Geltung kommen können. Im Interview erzählt Ian Gillan, wie unter anderem stundenlanges Bügeln im Adamskostüm zur Entstehung von "One Eye To Morocco" beitrug.
(Bild: kmm)

Gillan, geboren 1945 in Großbritannien, hat bereits in den Siebzigern, parallel zum Aufstieg mit Deep Purple, Soloalben herausgebracht. Sie tragen klingende Namen wie "Scarabus" oder "Cherkazoo And Other Stories". Das Thema für "One Eye To Morocco" beflog Gillan in einem Café im polnischen Krakau. Er lauschte gerade den Erzählungen seines Gegenüber, der schilderte, wie Oskar Schindler während des Naziterrors Hunderte polnische Juden vor der Ermordung bewahrte - als plötzlich eine hübsche Frau am Tisch vorbeischwebte. "Ian, du blickst mit einem Auge nach Marokko", stellte Gillans Gegenüber fest.

"Mit einem Auge nach Marokko, mit dem anderen zum Kaukasus", lautet die polnische Redensart. "Ich hatte immer schon ein wandering eye", sagt Gillan im krone.at-Interview. "Ich finde es einfacher, zwei Dinge auf einmal zu verrichten, weil ich währenddessen die Gedanken zerstreuen kann. Wenn ich beim Songschreiben zum Beispiel nur an die Wand starren kann, blockiert mit der Zeit mein Verstand." Im vergangenen Jahr zwang der Tod von Roger Glovers Mutter Deep Purple zu einer Tourpause. Und Gillan spürte, wie der Blick seines wandering eye (in etwa: "verirrtes Auge") immer wieder auf den Dutzenden Songmanuskripten in seiner Hausbibliothek zu ruhen kam. Also entschloss er sich, die Zeit für ein Soloalbum zu nutzen.

Songwriting beim Nacktbügeln
"Ich hatte dann ungefähr 38 Songs ausgewählt, die für 'One Eye To Morocco' infrage kamen. Sie waren alle in den letzten fünf Jahren entstanden, meistens bei Sessions mit meinem Co-Writer Steve Morris. Er kommt oft zu mir auf Besuch, dann schreiben wir Songs, gehen zwischendurch ins Pub, schreiben wieder Songs; nach einer Woche haben wir fünf, sechs Lieder beisammen", erzählt Gillan. Beim Schreiben ohne Partner kommen dem 63-Jährigen die besten Ideen aber meistens - kaum zu glauben! - beim Bügeln: "Meine Mutter hat mir schon als Kind beigebracht, wie ich auch ohne sie stets sauber, gesund und gefüttert bleibe. Das heißt, ich kann kochen, Wäsche waschen und eben auch bügeln." Vor allem letzteres empfinde er als "Therapie", aber leider mit gewissen Risiken verbunden: "Sie sollten wissen, ich bin Nudist. Und es gibt zwei Dinge, die man im Haushalt eigentlich nicht machen sollte, wenn man keine Klamotten trägt: Speck braten und mit einem Dampfbügeleisen hantieren..."

Zwölf Titel haben es nach dem Gillan'schen Selektionsprocedere mit etlichen Kilometern auf dem Bügelbrett schließlich aufs Album geschafft. Nach Purple-typischem Hardrock und Gillans markanter Kreischstimme sucht man vergeblich. Die Beschreibung "Vintage-Gitarrenpop" passt bei vielen Songs am ehesten, dazu eine Portion Rock 'n' Roll, eine Hand voll Blues, etwas Reggae und - Überraschung! - eine Prise elektronischer Sounds. Bei "Deal With It" singt Gillan gar ausschließlich zu Musik aus der Konserve: "Ich finde nichts Böses an Elektronik. Diesen Song hätten wir einfach nicht mit Live-Instrumenten einspielen können. Ich habe auch kein Problem mit digitaler Technik, so lange die Balance zwischen beiden Welten gehalten wird. Ich liebe die neu gemasterten CD-Versionen unserer alten Deep-Purple-Alben! Wir nehmen zwar analog auf, die Bearbeitung fällt aber auf einem digitalen System wesentlich leichter. Klar, ich könnte mich wie ein alter Bock stur auf die Zehen stellen und diese Tools ablehnen. Aber das wäre dumm, wenn man weiß, wie viel Zeit für kreatives Arbeiten man ohne verliert."

"Bei Purple brauche ich immer beide Augen"
Was Gillan an der Soloarbeit ohne seine Deep-Purple-Bandkollegen schätzt? "Bei Purple brauche ich immer beide Augen. Ich muss stets dahinter sein und wissen, was sich gerade im Studio in Sachen Musik tut. Bei Deep Purple arbeite ich auch an fünf Songs gleichzeitig. Da kommt es schon mal vor, dass ich einen Track einsinge, und die anderen kommen später drauf, dass der Text eigentlich zu einem anderen Song gehört. Wenn ich für mich selbst schreibe, brauch ich nur mein wandering eye. Ich beginne irgendwo, ohne Plan und bewege mich dorthin, wo sein Blick hinfällt."

Konzert-Tipp: Ian Gillan gastiert mit Deep Purple am 10. Juli als Headliner beim Lovely Days Festival in Wiesen/Burgenland.

Interview: Christoph Andert

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