Ausverkaufte Arena

Freundeskreis frönten der süßen Nostalgie

Musik
22.06.2017 00:39

Mittwochabend wurde Wien Zeuge einer Kultvorstellung. Die Stuttgarter Hip-Hop-Legenden Freundeskreis feierten das 20-Jahre-Jubiläum ihres Albums "Quadratur des Kreises" und damit einhergehend auch die Premiere für einige wenige ausgewählte Konzerte in der österreichischen Bundeshauptstadt. Max Herre, Joy Denalane und Co. zeigten sich dabei frisch und motiviert wie in den Anfangstagen - und füllten zweieinhalb Stunden Nostalgie mit hoher Qualität.

(Bild: kmm)

Als "A-N-N-A" vor fast auf den Tag genau 20 Jahren das erste Mal aus dem Radio tönte und als Maxi-CD-Single beim örtlichen Elektrofachhändler zu erstehen war, rumorte so manches in der Generation der in den 80er-Jahren geborenen. Für die einen war dieser Song gleichbedeutend mit dem ersten Kuss im hinteren Schulhofeck, andere wagten den Schritt in die pubertäre Rebellion und wurden von den Eltern wegen der plötzlich tiefsitzenden Hosen und dem mysteriös-süßlichen Geruch verbotener Sportzigaretten zu wochenlangem Hausarrest verbannt. Wie kaum eine andere Band schaffte es das Stuttgarter Hip-Hop-Kollektiv Freundeskreis in der Post-Grunge-Ära das Lebensgefühl einer ganzen Generation zu erfassen - wenn auch limitiert auf den deutschsprachigen Raum.

Alle heiligen Zeiten
Frontmann Max Herre, Arrangeur Don Philippe und DJ Friction waren das erste greifbare Genre-Kollektiv nach den Fantastischen Vier, das sich schweißströmenden Liveshows hingab, mit der Kolchose ein musikalisch-politisches Bündnis ausrief und die ewig gültige Botschaft des Miteinanders propagierte, ohne sich hinter kindlichen "Hate-Floskeln" zu verstecken. Private Tragödien und mehr oder weniger erfolgreiche Solokarriereversuche zerstörten das lose Kollektiv, dem auch Kapazunder wie Afrob, Brooke Russell oder Gentleman angehörten. Die Implosion war absehbar, der Hype kam für das selbst noch in den späten Kinderschuhen steckende Künstlergespann zu spontan und vehement. Doch alle heiligen Zeiten, wenn große Jubiläen anstehen, rauft sich das wiedervereinte Team zusammen, um der fröhlichen Nostalgie zu huldigen und ganze Heerscharen von niemals erwachsen Gewordenen mit Hymnen aus der Jugend zu begeistern.

Das Open-Air-Gelände der Wiener Arena erwies ich als perfekter Hintergrund für das Debüt eines zeitlich begrenzten Comebacks. Die etwas mehr als 3.000 Karten waren schon Wochen vor der Veranstaltung verkauft, wahrscheinlich hätte man auch die doppelte Menge an den Mann bringen können. Das Wetter auf hochsommerlich, grandiose Stimmung schon vor dem Auftritt und als besonders fanfreundliche Aktion wurde aufgrund des Hitzeschwalls auch gratis Leitungswasser verteilt. Von diesem brauchten die Freundeskreis-Anhänger eine Menge, denn dass diese Band seit dem letzten kurzen Aufmucken zehn lange Jahre nicht mehr auftrat (damals aber nicht in Österreich), bemerkte man zu keiner Sekunde. In dunkelblauer "Uniform" gewandet, legten Max Herre, seine wieder in großer Liebe an ihn gebundene Frau Joy Denalane und Kult-Rapper Afrob keinen Anflug an Nervosität an den Tag. Die Überraschung perfekt machte der im Vorfeld nicht angekündigte Frankfurter Rapper Megaloh, der unlängst im Vorprogramm der Beginner für Jubel sorgte.

Quer durch den Gemüsegarten
Die perfekt eingespielte siebenköpfige Band, darunter je zwei DJs und Drummer, die im peniblen Stakkato den Takt vorgaben, war mehr als nur ein Rückhalt für die an der Front arbeitende Cremé de la Cremé der deutschen Rap-Szene. Bei Kultsongs wie "Quadratur des Kreises" oder "Esperanto" schossen den Anwesenden Freudentränen in die Augen - doch natürlich wurde bei der großen Riege an Gaststars auch auf jeweilige Solosongs gesetzt. So gab es nicht nur das Herre/Megaloh-Feature "Rap ist" zu hören, sondern auch Songs wie "Regenmacher" und "Dr. Cooper" von Megaloh, "1992" von Herre oder einen ganzen Block mit Songs aus Joy Denalanes brandneuem Studioalbum "Gleisdreieck", die aber durch ihre stärker dem Soul und auch Reggae zugewandte Färbung für bunte Abwechslung im Programm sorgten.

Für Wien hatte Zeremonienmeister Herre auch noch zwei Weltpremieren übrig, denn weder "Cross The Tracks", noch das im Zugabenteil versteckte "Nebelschwadenbilder" haben Freundeskreis je zuvor auf einer Bühne exerziert. Für letzteren Song erbat sich der 44-Jährige zudem augenzwinkernd Geduld und Verständnis, da er den Text erst kurz vor dem Auftritt für das Kurzzeitgedächtnis lernte. Dass Denalane zwischendurch Wien als eine der großartigsten Städte Europas lobte, wäre aus gleich zwei Gesichtspunkten gar nicht nötig gewesen. Erstens ist dem Wiener diese Tatsache ohnehin bewusst, zweitens transportierten Freundeskreis bei diesem einmaligen Get Together so viel Energie, Spielfreude und Spaß zum enthusiasmierten Publikum, dass alleine die Musik als ideales Sprachrohr für einen unvergesslichen Abend ausreichte.

Für immer jung
Und so standen sie wieder da, all jene, deren eingangs geschilderte Lebenssituation sich nicht nur über die zweieinhalb Konzertstunden, sondern über zwei ganze Dekaden fundamental verändert hat. Heute sind sie es, die ihren mitgebrachten Kindern Werte und Botschaften der zeitlosen Freundeskreis-Texte erklären, während sie sich über "i bims"- und "vong"-Repliken der Halbwüchsigen ärgern. Sie sind heute besorgte Väter, die die ersten Küsse ihrer Töchter nach außen hin offen, aber innerlich nur äußerst widerwillig hinnehmen. Sie sind es aber auch, die 20 Jahre später noch immer gerne dem mysteriös-süßlichen Geruch frönen, der sie für einen Abend in eine Ära der Freiheit und Ungezwungenheit zurückkatapultiert. Für immer jung sein ist möglich, wenn es die Helden von damals glaubhaft vorexerzieren. Beim Freundeskreis und seinen Fans funktioniert diese Symbiose nach wie vor beispielhaft.

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