Neues Album "Spirit"

Depeche Mode: Die Revolution von innen

Musik
22.03.2017 14:44

Depeche Mode sind noch hungrig. Mit "Spirit" veröffentlichten sie dieser Tage ihr 14. Studioalbum, auf dem sie sich so politverdrossen, düster und angriffig wie noch nie zeigen. Hinter den wabernden Synthies und der dystopischen Grundstimmung steckt aber immer noch die große Hoffnung auf eine Zukunft in Licht und Frieden, wie uns Sänger Dave Gahan im "Krone"-Interview in Berlin verriet.

(Bild: kmm)

Ist es nur die innere Wut älterer Herren, die sich eilenden Schrittes dem Herbst ihres Lebens nähern, oder doch die allumfassende Sorge über die Zukunft unserer Welt? Das schlechte Gewissen über politische Vorkommnisse und Versäumnisse der letzten Jahre, das Kanalisieren von bedeutungsschwangeren Botschaften in einem Mantel gekühlter Elektronik? "Spirit", das unlängst veröffentlichte, 14. Studioalbum der britischen Synthie-Pop-Pioniere Depeche Mode, ist jedenfalls ein Manifest der Düsternis, eine Abrechnung mit der Leichtigkeit des Lebens und ein laut ausgesendetes Warnsignal, sich doch bitte nicht den gängigen Gegebenheiten auszuliefern.

Wütend und hungrig
Das stets aufrechte kreative Spannungsfeld zwischen dem musikalischen Mastermind Martin Gore und dem stets filigraner vorgehenden Frontmann Dave Gahan sorgt auch nach knapp 40 Jahren Karrierejahren für überdurchschnittliche Ergebnisse. Auch wenn ein Gros der unzähligen Depeche Mode-Jünger sich nicht von den goldenen 80er-Jahren lösen möchte oder die Band nach dem 1997er-Geniestreich "Ultra" ad acta gelegt hat, ist "Spirit" ein inhaltlich wie auch klangliches Aufbäumen gegen die akustische Frühpension.

Freilich, die großen Single-Hits fehlen Depeche Mode - ähnlich wie auf dem Vorgänger "Delta Machine" - wieder, doch als Gesamtes betrachtet ist das neue Werk eine kritisch-mahnende Bestandsaufnahme politischer Manierismen und der Lethargie des "kleinen Mannes". "Die Revolution kommt aus dem Inneren eines jeden Individuums", erklärt Frontmann Dave Gahan der "Krone" im Berliner Waldorf Astoria Hotel, "und kollektiv wird das nur funktionieren, wenn wir auf unser eigenes Bewusstsein hören. Es hilft nichts, in Panik zu verfallen und sich in eine Höhle zu verkriechen. Man muss genau dort herauskommen und über die Probleme reden. Wir als Künstler können das in der Musik - andere Menschen in den USA machen es mithilfe von Demonstrationen und Anti-Trump-Kampagnen."

Die Jugend abgelöst
Dass die Band ausgerechnet am amtierenden US-Präsidenten einen Narren gefressen haben, ist nur die halbe Wahrheit, schließlich waren die Songs und Kompositionen auf "Spirit" schon vor dem Wahlergebnis abgeschlossen. "Die politische Desillusionierung spürt man aber auch außerhalb der USA", erklärt Gahan, "nimm doch nur mal die Ereignisse in Syrien als Beispiel. Wir verschließen die meiste Zeit die Augen und stellen uns vor, dass so etwas gar nicht passieren kann." Es mag verwundern, dass es eine derart langlebige Band braucht, um den Revolutionsgedanken im Volk anstacheln zu können. Vor allem die erste Albumhälfte lässt mit Songs wie "Going Backwards", "The Worst Crime" und - Nomen est Omen - "Where's The Revolution" keine Fragen offen. Hier darf sich der Hörer aufreiben, reflektieren und Wut aufbauen. Depeche Mode übernehmen die Rolle, die eigentlich der onlinegesättigten Jugend zufallen müsse - die der Aufwiegler und Quertreiber.

Die Briten geben aber auch einen profunden Einblick in private Sorgen. So dreht sich die (obligatorische) Martin Gore-Ballade "Eternal" um die Zukunftssorgen seiner einjährigen Tochter und Gahan denkt besorgt an seine Nachkommen. "Ich lebe seit 20 Jahren in New York und sehe leibhaftig, wie sich die Stimmung in diesem Land verändert. Ich sorge mich um unser höchstes Gut, die Freiheit. Wir haben nur das Glück, dass New York selbst so ganz anders tickt als das restliche Amerika und meine Kinder sich dessen gewahr sind. Doch wohin steuern wir? Die USA sind ein Land, das von Immigranten aufgebaut und groß gemacht wurde - ich kann einfach nicht verstehen, was jetzt gerade passiert."

Bindung mit Spannung
Ein Geheimnis des beständigen Erfolgs ist die immerwährende Spannung der beiden Frontgockel Gahan und Gore. Vom einstigen Wunsch, einen Großteil der Bandkompositionen übernehmen zu können, ist Gahan längst abgerückt - zu offensichtlich hat Gore des Öfteren deklariert, sich das Heft nicht aus der Hand nehmen zu lassen. "Wenn es um die Musik geht, ist unsere Beziehung besser als je zuvor", wischt der charismatische Frontmann jegliche Gerüchte vom Tisch, "wir erkennen unsere Stärken und versuchen, das Beste aus uns herauszuholen. Natürlich verursacht so ein Arbeitsprozess Spannungen, aber am Ende des Tages finden wir immer einen Kompromiss, der uns beide zufriedenstellt."

Zufrieden sind sie auch mit ihrem Schlagzeuger Christian Eigner. Der Österreicher feiert heuer sein 20-jähriges Bandbestehen und hat sich an den beiden Songs "Cover Me" und "Poison Heart" beteiligt. Dass er und Keyboarder Peter Gordeno sich dennoch nicht in Sicherheit wiegen können, liegt an der Experimentierfreude von Gahan. "Ich mag den Gedanken, mit unterschiedlichen Leuten zu arbeiten - außerhalb und innerhalb der Band. Es ist für jeden Künstler wichtig, derartige Risiken einzugehen, weil du nur so neue Facetten an dir und der Band entdecken kannst. Manchmal funktioniert das gut, manchmal weniger."

Dystopische Veränderung
Dass Depeche Mode überhaupt noch mit dem Stammpersonal arbeiten, liegt hauptsächlich an Bandboss Gore, der entgegengesetzt denkt und lieber nach dem Motto "alte Besen kehren gut" verkehrt. In einem wichtigen Punkt konnte sich der bandinterne "Veränderungsflügel" rund um Gahan aber doch durchsetzen: Nach drei Alben mit Haus- und Hof-Produzent Ben Hillier ließ man auf "Spirit" James Ford (u.a. Arctic Monkeys) an die Regler. "James war ganz oben auf meiner Liste", freut sich Gahan über den Wechsel, "Martin hätte gerne noch ein Album mit Hillier gemacht, aber wir konnten ihn intern vom Gegenteil überzeugen." Passend zum dystopisch angehauchten Überthema verpasste Ford "Spirit" einen maschinellen, mitunter stark an Kraftwerk angelehnten Sound, der die düsteren Texte akustisch ideal verstärkt.

Doch langjährige Fans wissen: Wo Dunkelheit, da auch Hoffnung. "Wir spielen immer mit den Realitäten des Lebens und manchmal reflektieren diese eben Veränderung, Streit und dunkle Phasen. Bei Depeche Mode ist in der Dunkelheit aber auch immer genug Platz für Licht. Vor allem bei einem Konzert", verspricht Gahan, "dort will ich euch auf eine zweistündige Reise durch ein Wellental der Emotionen mitnehmen, um euch am Ende zu einem Platz der Hoffnung zu bringen." Das gelang der Band bei der abgekappten Livestream-Show im altehrwürdigen Berliner Funkhaus überaus famos. Das österreichische Publikum muss vorerst noch auf ein Konzert der Legenden warten. Bis dahin kann in die detailverliebte Klangwelt von "Spirit" eintauchen, und seine ganz persönliche Revolution starten.

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