"Krone"-Interview

Deftones: “Wir machen eigentlich nur Büroarbeit”

Musik
25.07.2016 13:26

Dass die US-Alternative-Metal-Veteranen Deftones seit bereits 28 Jahren im Geschäft sind, schreckt sogar langjährige Fans des kalifornischen Kollektivs. Mit dem Album "Gore" bewiesen Frontmann Chino Moreno und Co. unlängst, dass sie nichts von ihrer Kreativität eingebüßt haben. Wir haben uns unlängst mit Drummer Abe Cunningham und Keyboarder Frank Delgado über schräge Töne im Mainstream, Spannungen im Songwriting und das Bürofeeling im Musikgeschäft unterhalten.

(Bild: kmm)

"Krone": Abe, Frank, euer neues Album "Gore" ist einerseits sehr experimentell, andererseits auch durchaus eingängig geraten und hatte kommerziell verdient Erfolg. War das Album für euch auch eine Art Therapieprozess, nachdem ihr unter den Zusehern beim tragischen Anschlag auf den Pariser Musikclub Bataclan wart?
Frank Delgado: Natürlich waren wir von diesem Erlebnis geschockt, aber ich würde nicht sagen, dass wir diese Emotionen in dem Album kanalisiert haben. Eigentlich sind das wir so, wie wir immer arbeiten. Wir sperren uns in einen Raum, jammen zusammen und schauen, wohin die Reise geht. Natürlich verändert sich der Sound immer, wir wollen stets frisch und spannend klingen, aber die Deftones soll und muss man immer herauskennen.

"Krone": Habt ihr nach diesen Erlebnissen jemals daran gedacht, vielleicht mit den Live-Konzerten aufzuhören?
Delgado: Ich nicht und ich glaube auch die anderen Jungs nicht. Die Terroristen wollen ja nur, dass du dich fürchtest und deinen Alltag beschränkst, aber das ist für uns mit Sicherheit kein Thema. Wir lieben unsere Arbeit, genießen es, auf der Bühne mit dem Publikum zu interagieren und es mit unseren Songs zu erfreuen und deshalb werden wir da auch weiterhin keine Abstriche machen.
Abe Cunningham: Wenn man zusammenrechnet, wie viel und oft wir jedes Jahr reisen, dann kann so etwas leider schon einmal passieren. Natürlich hofft man das Beste, aber du kannst eben nicht immer negative Ereignisse ausschließen.

"Krone": "Gore" wolltet ihr eigentlich schon vor einigen Monaten veröffentlichen - warum gab es schlussendlich eine Verzögerung?
Delgado: Wir hatten Probleme mit dem Mixing und dann war plötzlich eine Tour zu absolvieren - es ging sich einfach hinten und vorne nicht mehr aus.
Cunningham: Nach den Aufnahmen und vor den Touren haben wir etwas Urlaub genommen und durch die Probleme hat sich das einfach wieder und wieder nach hinten hinaus verzögert. Wir hatten eine Deadline und uns wirklich bemüht, aber ganz ist es sich am Ende nicht ausgegangen.

"Krone": Das Coverbild mit den fliegenden rosaroten Flamingos ist ein richtiggehender Eyecatcher - hat das Motiv irgendwas mit dem Inhalt des Albums gemein?
Cunningham: Ich bin der Meinung, dass das Coverartwork und der Titel eines Albums absolut keinen Sinn machen müssen. (lacht)
Delgado: Manchmal reicht es, wenn es gut aussieht oder cool klingt. Wir haben die intensiven Farben gesehen und waren sofort begeistert. Dass wir die Flamingos dann mit dem Wort "Gore" gleichsetzten, lässt natürlich viele Fragen aufkommen, die man aber nicht beantworten muss, weil es einfach cool klingt.

"Krone": Braucht man vielleicht auch solche Eyecatcher, um in Zeiten wie diesen überhaupt noch Alben verkaufen zu können?
Delgado: Ich denke nicht. Gerade die jungen Leute kaufen heute einzelne Songs, und das ist für uns nicht immer ganz nachvollziehbar.
Cunningham: Wir sind aus einer Generation, in der Vinyl und CDs einfach das Nonplusultra waren. Es geht auch darum, als Musiker ein Album komponieren zu können, davon wollen wir nicht abrücken.
Delgado: Wenn du eine Band bist, die auch weiterhin unbeirrbar Alben aufnimmt, ist das eine Art Marke, die man sich dadurch aufbaut. Die Musik bei uns spricht ohnehin für sich selbst und die Leute wissen, was sie von den Deftones kriegen.

"Krone": Seht ihr eine Möglichkeit, dass die Leute wieder verstärkt auf den Kauf von CDs und Vinyl setzen? Also mehr als nur den leichten Trend, der derzeit herrscht, aber kommerziell noch nicht viel einbringt?
Delgado: Das wäre natürlich großartig, aber für die meisten Leute ist die Sache heute tatsächlich eine Geldfrage. Wir alle wissen, dass die ganz fetten Zeiten vorbei sind.
Cunningham: Die Vinylverkaufszahlen gehen wirklich nach oben und das ist großartig, aber man muss auch mal akzeptieren, dass die Welt heute anders läuft als damals. Man kann gewisse Dinge auch als Chance begreifen.

"Krone": Würdet ihr in der aktuellen Lage, mit eurem Wissen von heute, von ganz vorne eine junge Band starten?
Delgado: Warum nicht? Es gibt auch außerhalb der normalen Konzert- und Tourerlebnisse heute so viele Möglichkeiten, wie du dir mit einer Band Gehör verschaffen und Aufmerksamkeit lukrieren kannst. Auch da geht es darum, die richtigen Chancen zu ergreifen. Du kannst heute alles zuhause aufnehmen, lädtst es online hoch und irgendein Kind in Japan könnte sofort auf dich abfahren. Das war damals nicht möglich. Der Grundsatz hat sich in der Realität nicht verändert: Wenn du in etwas gut bist und es mit Leidenschaft machst, dann wirst du mit Sicherheit gewisse Erfolge feiern. Ich würde jedenfalls auch jetzt eine Band starten.

"Krone": Die Medien waren voll von Geschichten über euren Songwritingprozess zu "Gore", da es angeblich immense Spannungen zwischen dem Metal-lastigen Gitarristen Stephen Carpenter und eurem eher poppigeren Tönen zugetanen Frontmann Chino Moreno gab. Wie sehr nervt euch diese Klassifizierung von außen?
Delgado: Das ist so ein altes Thema und ich verstehe einfach nicht, warum das so aufgewühlt wird. Das ist doch bei uns wie bei jeder normalen Büroarbeit - man hat unterschiedliche Ansichten und muss sich irgendwo finden.
Cunningham: Die meisten Bands kämpfen um ihre Ideen innerhalb ihres Gefüges. Es gibt kaum eine CD, die nicht aus gewissen Spannungen entsteht, aber klar, für die Presse ist sowas immer eine hervorragende Story. Es ist immer das gleiche, aber was soll's.

"Krone": Man könnte aber auch sagen, dass diese Spannung die Magie eurer Songs ausmacht. Denn ohne die verschiedenen Pole würde das Ergebnis auch ganz anders klingen.
Delgado: Definitiv. Unsere beste Musik entsteht aus solchen Spannungen, das mit großer Sicherheit.

"Krone": Auf dem Song "Phantom Bride" hört man ein schönes Gitarrensolo von Alice In Chains-Gitarrist Jerry Cantrell, einem langjährigen Freund der Deftones.
Delgado: Wir sind mit ihnen einige Male auf Tour gewesen, hatten immer viel Spaß und kennen die Jungs schon seit Ewigkeiten. Wir wurden wirklich gute Freunde und mit ihm auf dem Album schloss sich ein Kreis. Wir wollten eigentlich gar keine Gäste auf "Gore" haben, hatten uns für dieses Solo aber immer jemanden von außen überlegt. Irgendwann kam die Sprache auf Jerry und er war schon am nächsten Tag bei uns im Studio - großartig.

"Krone": Das Album hat sehr viele Wendungen, man ist als Hörer durchaus von euch gefordert. War das ein wichtiger Punkt beim Verfassen der Songs?
Cunningham: Die Dynamik muss passen und es darf nicht langweilig werden, das sind die wichtigsten Punkte für die Deftones. Wenn du alles zusammen nimmst und alles in Ruhe durchhörst, ergibt am Ende alles einen Sinn, auch wenn man konzentriert darauf hinarbeiten muss. Die einzelnen Songs für sich genommen wirken vielleicht tatsächlich etwas verwirrend, aber es geht ja um das Endprodukt.

"Krone": In den USA landete "Gore" sogar auf Platz zwei der Albumcharts. Ist das der Beweis für einen guten Musikgeschmack der Menschen? Dass man auch mit vertrackteren Songs die Massen treffen kann?
Delgado: Das klingt jetzt romantischer, als es in der Realität war, denn den Platz hatten wir genau eine Woche und dann war es wieder vorbei damit. (lacht)
Cunningham: Ich bin glücklich, dass wir immer noch so viele Alben verkaufen, das fühlt sich natürlich gut an. Aber wen interessiert es schon, ob wir den Massengeschmack treffen oder alten und unsere Musik schätzen. Der Rest ist nicht so wichtig und noch viel weniger beeinflussbar.

"Krone": Was ist für euch essenziell beim Songschreiben? Abwechslungsreichtum? Spannung? Veränderung?
Delgado: Wir wollen die Hörer nicht überfordern und allzu kompliziert rüberkommen. Wir haben viele euphorische, poppige, ziemlich eingängige oder auch bombastische Songs, die die Gesamtstimmung auflockern. Es gibt bei uns keinen großen Plan. Jemand hat eine Idee und dann sehen wir, wo sie hinführt. Wir haben noch nie eine bestimmte Richtung forciert oder darauf geachtet, einen bestimmten Weg entlangzuschreiten. Bei uns kannst du immer alles erwarten.

"Krone": Der "Rolling Stone" hat die Deftones einmal als eine Mischung aus Meshuggah und Morrissey bezeichnet. Könnt ihr mit diesem Vergleich leben?
Cunningham: Oh wow. Natürlich können wir das. Ich höre mir auch beide Bands an, bin ein 80er-Jahre-Kid, das Metal, Rock, New Wave und auch Dance-Pop gehört hat. Diese Einflüsse siehst du im Endeffekt auch bei uns verortet, anders würde es gar nicht gehen. Diese Ära war für Musiker ziemlich magisch, weil sie bereits die ersten Vorläufer von Crossover-Bands hervorbrachten und es noch so viel zu experimentieren gab.

"Krone": Die 80er-Einflüsse höre ich vor allem beim Song "Doomed User" raus, der mit einem klassischen Metal-Riff der damaligen Zeit auftrumpft.
Cunningham: Das stimmt total. Als ich das erste Riff hörte, war ich auch hin und weg. Es klang exakt wie eines meiner Lieblingsriffs, nur dass es dieses eben noch nicht gab, sondern wir es erfunden hatten. (lacht)

"Krone": Viele behaupten ja, dass bis Mitte der 90er-Jahre eigentlich alles gesagt wurde, was man im Rock- und Metalbereich so sagen kann…
Delgado: Es ist sicher alles schon mal dagewesen und nach zwölf Noten gibt es auch nicht mehr viel zu spielen, das ist natürlich nicht zu leugnen. Aber es gibt so viele Sachen draußen, die immer noch überraschen können.
Cunningham: Die Leute stehen aber auf die immer ähnlich arrangierten, gleich klingenden Songs. Insofern ist es auch egal, dass sich bei vielen Dingen wirklich nur mehr Nuancen geändert haben. Es ist nicht leicht, mit etwas Revolutionärem um die Ecke zu kommen. Einen einfachen Popsong zu schreiben ist nicht so schwer, aber einen eingängigen Popsong zu schreiben, den es so noch nie gegeben hat, das ist wohl die große Kunst.

"Krone": Habt ihr alle innerhalb der Band eine Vorliebe für Popmusik? Für die eingängigen, bekömmlichen Stücke?
Delgado: Auf jeden Fall. Ich bin mit Michael Jackson und den Jackson 5 aufgewachsen und ich höre immer noch gerne Pop. Es klingt immer so fad nach Klischee, aber wir hören wirklich jede Art von Musik, das ist Fakt. Ich kriege oft die Frage, was der peinlichste Song auf meinem iPod ist, aber ich habe keinen drauf. Es gibt einfach nur unterschiedliche Arten von Musik. Klar, als Kid im Pausenhof bist du cool und hörst nur drei Bands. Aber man entwickelt sich ja, durchlebt verschiedene Emotionen und Lebensphasen und weiß Musik als Gesamtes stärker zu schätzen. Wenn du da mit dem Alter nicht weiterkommst oder dich entwickelst, dann kann mit dir etwas nicht stimmen. (lacht) Du kannst auch von einem Pizzabäcker nicht erwarten, dass er nur Margherita und Salami macht und sonst nichts.

"Krone": Gibt es für euch beim Songwriting wirklich keine Grenzen? Irgendwelche Stile, die ihr aus gewissen Gründen niemals streifen würdet?
Cunningham: Ich hasse doch noch nicht einmal Country-Musik, auch wenn ich die moderne, zeitgemäße Version davon nicht höre. Aber wenn du den Geist eines guten Country-Riffs oder -Rhythmus einfangen kannst und ihn unpeinlich und für deine Band passend in einen Song integrierst, ist auch dagegen nichts einzuwenden.

"Krone": Für viele Künstler sind die eigenen, alten Stücke wie eine Art Bestrafung, weil sie sie oft selbst als Jugendsünden sehen oder einfach nichts mehr damit zu tun haben wollen. Wie geht es euch damit?
Cunningham: Ich habe mir unlängst eine Interview mit dem legendären Tony Bennett angesehen und er wurde gefragt, ob es ihn mittlerweile nicht nerven würde, jeden Abend "I Left My Heart In San Francisco" zu spielen. Er meinte, dass das niemals so wäre, denn dieser Song hat seine Kinder durchs College und ihn selbst durch alle Lebenslagen gebracht. Der Song hat ihm alles gegeben, was seine Karriere ausmacht. "7 Words" haben wir ungefähr eine Trillion mal gespielt, aber er ist ein Teil von uns und begeistert das Publikum immer noch. Es ist schön, dass wir so viel Material haben, aber man muss natürlich respektieren, dass einem gewisse Songs auch einen gewissen Erfolg beschert haben.

"Krone": Ihr seid zeitlich ungefähr gleich mit Bands wie Limp Bizikit oder P.O.D. groß geworden, aber nach all den Nu- und Alternative-Metal-Bands hat dann jahrelang kein Hahn mehr gekräht. Nun ist die Popularität wieder zurückgekehrt - was ist die Ursache dafür?
Cunningham: Vielleicht war der Rock wirklich tot und Gene Simmons hatte Recht. (lacht)
Delgado: Das ist schwer zu analysieren, es gibt immer wieder verschiedene Phasen und schon sehr oft wurden Dinge totgesagt, die gar nicht tot waren. Das Musikgeschäft ist einfach verrückt, weil viele glauben, sie könnten den nächsten Trend vorhersagen. Früher war das durch die Plattenfirmen vielleicht mal möglich, aber durch das Internet diktieren die Kids heute allen anderen, was Sache ist. Eine Konstanz und Sicherheit kriegst du erst dann, wenn du schon so lange im Geschäft bist, dass du die Kids und auch die älteren Generationen unter deinen Fans hast.
Cunningham: Andererseits siehst du die ärgsten Trends, den nächsten heißen Scheiß die ganze Zeit kommen und gehen. Das verpufft wie Sternschnuppen. Wir waren vor acht oder zehn Jahren mit Bands auf Tour, die in den Himmel gelobt wurden - die meisten von denen gibt es heute nicht einmal mehr.
Delgado: Es geht darum, an deine Ideen und deine Richtung zu glauben. Lass dich nicht beirren und hab verdammt noch mal auch sehr viel Spaß. (lacht)

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