"Krone"-Interview

Code Orange: "Unser Anspruch ist Perfektion"

Musik
13.07.2017 16:35

Nach einem eher durchwachsenen Auftritt beim diesjährigen Nova Rock, flogen die Trümmer auf der Bühne. Die US-amerikanische Hardcore-Band Code Orange besitzt nicht nur die kompromisslose Attitüde, möglichst perfekt sein zu wollen, sondern legt Kopf, Herz und Seele in ihr Lebensprojekt. Nach dem Auftritt stand uns ein immer noch elektrisierter Bandchef Jami Morgan, seines Zeichens Schlagzeuger und Sänger, für ein ausführliches und vor allem ehrliches Gespräch über Familie, Passion und Kompromisslosigkeit zur Verfügung. Hier ist Musik mehr als der bloße Ausdruck von Tönen und das Streben nach Erfolg...

(Bild: kmm)

"Krone": Jami, bei euer energetischen, aber nicht wirklich fehlerlosen Show am Nova Rock hat man sofort gesehen, dass ihr für die Musik lebt und brennt. Wann hat sich das für euch so intensiv herauskristallisiert?
Jami Morgan: Diese Band ist mein gesamtes Leben. Wenn irgendwas nicht funktioniert, dann bin ich angepisst. Mehr gibt es dazu gar nicht zu sagen.

Was bedeutet dir Code Orange als Band und Lebensinhalt. Wie würdest du das in Worte fassen?
Es ist alles, was ich bin und sein will. Ich spiele mit meinen engsten Freunden, die ich mein Leben lang kenne und alles, was ich der Welt zu sagen habe, tue ich mit dieser Band. Ich habe außerhalb dieser Band keine Projekte, hier geht es um alles.

Ihr tourt seit Jahresbeginn quasi ohne Pause quer durch die Welt. Ist es nicht schwierig, sich in diesem Ausmaß immer so nahe zu sein?
Das ist manchmal wirklich fürchterlich, aber dieses Leben haben wir uns so ausgesucht. Andere Bands können das nicht verstehen, denn deren erste Tour war meist in einem luxuriösen Van. Unsere erste Tour war in einem Auto und heute fahren wir mit einem Van. Es gibt keine vernünftigen Schlafplätze, die Tage dauern oft 20 Stunden, wir wachen um 4 Uhr morgens auf und schlafen ab Mitternacht. Das versteht sonst niemand und ich bin sehr dankbar für dieses Leben, auch wenn es derzeit extrem hart ist. Es ist auch enttäuschend, wenn man so viel Arbeit in die Sache steckt und dann in Interviews oft gefragt wird, ob man das erste Mal in Europa spielt. Mann, wir waren schon fünf Mal hier zuvor. Wir haben in verdammten Kellern, kleinen, leeren Clubs und dann auf Festivals gespielt. Ist ein bisschen Mindestrecherche zu viel verlangt? Aber gut, so ist das Leben.

Wenn ihr auf diesem Wege ehrlich tourt, würdet ihr eine große Tour in einem komfortablen Nightliner ablehnen?
Es wäre verdammt genial in einem Nightliner zu touren, weil es schon physisch viel angenehmer wäre. Viele Leute in den USA sind sehr überrascht darüber, dass wir immer noch in klapprigen Bussen durch die Gegend fahren, obwohl wir so viel Energie und Zeit in diese Band stecken. Es ist verdammt hart und ich hoffe, dass wir auch einmal mit einem Nightliner belohnt werden. Selbst in den Vans sind wir mit anderen Bands wie Bane gefahren. Wenn sich da zwölf Leute reinpressen, hast du nicht einmal den Hauch von musikalischem Glamour.

Glaubst du, dass der Erfolg für Code Orange zu langsam kommt?
Darum geht es nicht, wir führen ein hartes Leben. Für mich sind wir die beste Band. Wir arbeiten uns für diese Band zu Tode und ernten viel Lob, das ist für mich Erfolg genug.

Aber es nervt euch offenbar doch zurecht, dass die Leute nicht einmal registrieren, wie oft ihr schon durch ihr jeweiliges Land getourt seid.
So schlimm ist es dann auch wieder nicht, aber ich bin überrascht darüber. Ich mag die Menschen, die über uns stolpern und uns mögen. Es ist nicht der Fehler der Fans, dass sie nicht mitkriegen, dass wir hier waren. Es geht mir eher um uns selbst, dass ich manchmal verzweifle, wenn es so langsam nach oben geht. Es ist nicht leicht, aber alle Mühen wert.

Wie wichtig ist die Freundschaft unter euch, wenn es zum Songwritingprozess bei Code Orange kommt?
Extrem wichtig, aber manchmal auch sehr schwierig, weil wir uns so nahe stehen. Die anderen sind meine besten Freunde und meine Familie, ich würde für sie sterben. Sie waren schon als Kinder in meinem Elternhaus, ich kenne die Leute, seit ich zwölf bin. Ich lebe ja sogar mit zwei der Jungs zusammen. Unseren Bassisten Joe habe ich die letzten zehn Jahre sicher nie länger als drei oder vier Tage am Stück nicht gesehen.

Macht diese unglaubliche Nähe zwischen euch das Songwriting und Zusammenspiel nicht noch schwieriger?
Eigentlich macht es alles leichter, weil jeder von uns wirklich alles sagen kann - wie es in einer Familie sein sollte. Wenn wir lange auf Tour sind, dann lernen wir auch, uns mal zu hassen, aber das geht ohnehin wieder weg. Es gibt aber keine andere Lösung, mehr Privatsphäre ist nicht möglich.

Könnte die Band ohne einen von euch gar nicht mehr existieren?
Das wäre nicht möglich. Wir werfen wirklich alles in diese Band. Jeder sagt das, aber nur bei uns weiß ich, dass es auch ehrlich ist. Viele andere Bands reden nur so daher und dann bricht alles auseinander und sie machen als halbe Band weiter. Ich respektiere diese anderen Bands auch, aber es ist nicht ehrlich. Bands, die wie wir aus der Hardcore-Welt kommen, wissen wirklich, was das bedeutet. Wir alle arbeiten sehr hart für diesen Stand, ich will mich aber nicht beschweren.

Ist es für dich schwierig, Leuten außerhalb eures inneren Kerns zu vertrauen?
Du vertraust ohnehin keinem anderen. Ich hatte zu viele falsche Freunde, die uns falsche Ratschläge gaben und die Band in eine falsche Richtung lenken wollten. Ich vertraue niemandem mehr.

Von euren früheren Alben zum aktuellen Werk "Forever" gab es eine große Veränderung im Sound. Ihr setzt mitunter auf elektronische Klänge und wurdet noch viel eigenständiger als zuvor. War das ein natürlicher Schritt nach vorne?
Ich sehe das gar nicht so eng. Für mich ist es bei einem Album immer so, dass ich eine Vision vom nächsten habe, weil wir die Richtung immer leicht ändern. Es gibt dann einen unterentwickelten, nur leicht angedachten Klangbrocken, den wir später genauer ausfeilen. Meistens wird dann alles anders als wir planen. Wir proben wie die Wahnsinnigen, denn nur so kannst du dich entwickeln und besser werden. Jedes Album ist zu 100 Prozent unser bestes, weil wir nie, auch nur einen Prozent weniger dafür geben.

Wer hat denn das letzte Wort, wenn es am Ende um die Entscheidungsfindung geht?
Wenn es so weit kommt, bin ich das. Das würden dir auch die anderen sagen. Sie vertrauen mir und meiner Meinung und das ist wichtig für uns alle. Sie alle bringen großartigen Input, aber ich habe die Band gegründet und die lyrischen Inhalte basieren auf meinen Gedanken. Ich brauche aber auch alle anderen, weil sie mich und die Band komplett machen.

Vermisst du in der Hardcore-Welt heute Attitüde und Authentizität bei anderen Bands?
Der Hardcore ist auch nicht mehr das, was er früher einmal war. Es gibt tonnenweise gute Bands, aber ich persönlich finde, dass viel zu viele Bands auf ihr Image schauen oder zu stark auf andere hören. Die meisten, die wichtig mitreden, haben doch keine Ahnung von dem Ganzen, aber trotzdem dringen sie oft in das Innere von Bands ein. Was auch immer die Musikwelt in der Zukunft bringen mag, wir werden unsere Attitüde niemals aufgeben. Wir sind verdammt hungrig, sind Vampire und wollen das Blut sehen. Ich brauche das Blut, die nächste Show und den nächsten Song. Das ist unverändert.

Ihr seid mitunter auch in die Medien geraten, weil ihr diverse Metalcore-Bands und ihren Hang zur Imagepflege harsch kritisiert habt. Ich finde es sehr erfrischend, dass es noch Musiker gibt, die sich kein Blatt vor den Mund nehmen.
Ich kritisierte nur, dass sich viele Bands nicht um die Musik scheren, sondern vielmehr um ihr Aussehen. Das ist lächerlich und dazu stehe ich. In der Musik kann ich nichts bewerten, das ist Geschmackssache. Du wirst mich nie dabei ertappen, dass ich eine Band für ihre Musik kritisiere, denn das stünde mir auf keinen Fall zu. Vielleicht schreiben auch wir viele beschissene Songs, die so einigen auf die Nerven gehen? Mag sein, ist auch okay so. Aber einen Streit zu provozieren, ist so eine Boulevardsache. Wenn man mich nach meiner Meinung fragt, dann sage ich die ehrlich. Es gibt keinen Grund, damit hinter dem Berg zu halten. Wenn du offen bist, werden dich viele Leute hassen, aber wenn du das akzeptieren kannst, dann bist du wirklich frei. Ich habe kein Problem damit.

Ist es schwierig, im heutigen Musikbusinessst inszeniert wirken, um sich immer im Gespräch zu halten?
Wir sind echt und was wir machen ist zu 100 Prozent echt. Wir wissen genau, was wir tun und was wir wollen. Wir haben scheiß Songs und schlechte Alben geschrieben, spielten tonnenweise furchtbare Shows. Aber wir arbeiten immer hart wie die Tiere, um besser zu werden und die Fehler zu minimieren. Beim Nova Rock hatten wir viel Drama auf der Bühne, weil einiges danebenging. Ich bin dann so angepisst, dass mich meine Bandkollegen dafür hassen. Ich bin eine Zeit lang nicht ansprechbar, deshalb musstest du auch 20 Minuten länger auf unser Gespräch warten. Aber ich kann nicht aus meiner Haut heraus, mir ist das völlig egal was die anderen in diesem Moment denken. Es ist mir auch völlig egal, wenn sich Leute von außen einschleimen und Shows von uns gut finden, die schlecht waren. Das kann ich unterscheiden - bin ich nicht zufrieden, war die Show einfach nicht gut. Wie viele 10/10-Punkte-Shows spielst du im Leben? Wenige, aber sie sollten der Anspruch sein. Wir ziehen einfach unser Ding durch, das gefällt nicht jedem, ist mir aber auch egal.

Bei euren Shows ist aber so viel Aggressivität und Wut zu spüren, dass das auch die gesamte Atmosphäre stark verdunkelt. Müsst ihr vor Shows schlecht drauf sein, um auch alles reproduzieren zu können?
Ich brauche nur den ersten Loop verwenden und bin schon angepisst. Es geht darum, die schlechte Stimmung unter Kontrolle zu haben. Sobald du die Kontrolle über dich verlierst, entstehen Fehler. Du musst fühlen, was du gerade machst, die Musik muss durch jedes Körperteil fließen, dann funktioniert es. Niemand von uns ist falsch oder aufgesetzt. Wir hauen bei jeder Show alles rein und es geht auch gar nicht darum, wütend zu sein, aber wir sind eben eine aggressive Band und da setzt man auch mal ein finsteres Gesicht auf.

Dass euch viele Menschen nicht mögen, ist aber auch ein Zeichen von Qualität. Wer braucht schon mediokre Konsensbands im Hardcore?
Exakt. Wir wollen nicht von jedem gemocht werden. Das Internet ist schuld daran, dass jeder seinen Senf dazugeben kann. Es ist mir einfach völlig scheißegal, was irgendwann jemand über uns verzapft, weil ich es ohnehin nicht ändern kann. Ich tue, was ich tun muss - völlig egal, ob das jemandem in den Kram passt oder nicht.

Wenn ihr die ganze Zeit mit professionellen Bands wie Gojira oder System Of A Down auf Tour seid - lernt ihr auch viel davon?
Zu 100 Prozent. Wir studieren die Stärken der anderen Bands immer, aber wir wollen nicht so sein wie sie. Das ist auch der Grund, warum wir mit Gojira oder den Deftones so gut klarkommen, weil wir sie nicht kopieren. Diese Bands haben das schnell verstanden, egal ob sie unsere Musik mögen oder nicht. Sie respektieren, dass wir eigenständig sind und auf eigenen Füßen stehen. Ich habe tonnenweise Dinge von Gojira oder anderen Bands gelernt, aber ich kann das auch so umsetzen, dass die Glaubwürdigkeit von Code Orange niemals darunter leidet. Wir wollen nicht nachahmen, sondern kreieren.

Was war für dich die wichtigste Hardcore-Band, die dich selbst und Code Orange maßgeblich prägte?
Ich weiß nicht, ob wir innerhalb der Band dieselben Ansichten teilen, aber sehr inspirierend waren für mich von Anfang an Converge, Disembodied oder Buried Alive. Wir haben uns auch von anderen Einflüssen inspirieren lassen. Wir übernehmen eher Ansichten für unsere Kultur und nicht zwingend für die Musik direkt. Wir versuchen unsere eigene Legende zu erschaffen. Die Leute können uns gerne mit anderen Bands vergleichen, aber das ist falsch. Es gibt natürlich Bereiche, die ähnlich sind, aber wir klingen trotzdem eigenständig. Auch Converge oder Neurosis sind da ähnlich wie wir. Wir sind eine Mischung aus vielen Einflüssen. Wir haben von Terror, Bane, Madball oder Anti-Flag viel gelernt, als wir mit ihnen auf Tour waren. Das sind alles Mentoren für uns, aber heute sind wir die Mentoren und haben uns freigestrampelt.

Euer letztes Album wurde von Converge-Musiker Kurt Ballou produziert. Ist er jemand, mit dem ihr eure Ideologie teilt? Der euch auch im Geiste nahe steht?
Nicht wirklich. Wir sind sogar extrem unterschiedlich, aber er ist ein großartiger Typ mit einer tollen Perspektive. Die fehlte uns anfangs und wir brauchten ihn für unsere Entwicklung. Heute ziehen wir auch noch andere Leute hinzu und alle wissen - Code Orange ist meine Band. Kurt und die anderen wollen auch keine Bands, die sich den Weg erklären lassen. Ich brauche ihre Hilfe und freue mich darüber, aber ich entscheide, in welche Richtung Code Orange gehen und wie wir klingen. Sie wissen das und deshalb können wir so perfekt zusammenarbeiten. Ich brauche niemanden, der meinen Sound verändern oder eigene Ideen einbringen will - das ist uninteressant. Ich freue mich über Hilfe, aber diese Hilfe hat kein Mitspracherecht.

Was ist die Essenz eines Code Orange-Songs?
Das kommt immer drauf an, welche Emotionen ich transportieren will. Will ich richtige Frustration weitergeben, dann muss auch die Stimmung dementsprechend sein. Ich muss die Farbe des Songs und der Musik sehen, ich muss etwas fühlen, dass zu 100 Prozent echt ist. Die Essenz muss nicht immer dieselbe sein, das kann sich oft unterscheiden.

Fällt es dir im steigenden Alter manchmal schwer, dich mit deinen eigenen, alten Songs identifizieren zu können?
Absolut. Als wir angefangen haben, waren wir Teenager. Heute sind wir zwischen 21 und 24, beim nächsten Album bin ich 25 oder 26. Jeder der behauptet, seine alten Alben wären schlecht, ist ein Idiot. Es gibt immer einen Grund, warum du die Musik zum jeweiligen Zeitpunkt gemacht hast, du kannst dich vielleicht nur nicht mehr in dieses Selbst von dir hineinversetzen. Wir berufen uns noch immer auf gewisse Dinge des Debütalbums, auch wenn damals alles etwas wirrer und unstrukturierter war. Im Endeffekt entstehen auch neue Songs durch eine Mischung aus unseren unterschiedlichen Karrierephasen. Ich wüsste gar nicht, wie das anders gehen sollte. Ich habe die Band gestartet, als ich 14 war. Natürlich höre ich heute andere Dinge als früher, aber die Liebe zu Punk, Hardcore und Metal geht ohnehin nie verloren.

In welche Richtung werden Code Orange künftig gehen?
Wir wollen immer besser werden und noch intensivere Konzerte spielen. Alles was wir treffen, werden wir härter treffen. Alles was tiefgründig ist, wird noch tiefgründiger werden. Die Momente, die dir heute wie eine kleine Hölle vorkommen, werden zu einem ausufernden Fegefeuer. Wir werden noch extremer und mit unseren eigenen Gedanken und der eigenen Psyche kämpfen, um uns noch stärker zu pushen. All das sollte in einem tighten Rahmen stattfinden. Keine 50-Minuten-Alben, keine 90-minütigen Shows. Kurz und knapp ist die Devise, es muss krachen. Wenn ich das alles nicht mehr bringen kann, dann ist es sofort vorbei.

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