"Krone"-Interview

Billy Talent: “Der Rock’n’Roll darf nicht sterben”

Musik
04.08.2016 10:17

Seit mehr als 20 Jahren sind die kanadischen Pop-Punker Billy Talent eine gefestigte Einheit. Die Nachricht, dass Drummer Aaron Solowoniuk an Multipler Sklerose erkrankte, traf die sympathischen Nordamerikaner anfangs wie ein Keulenschlag, mit Jordan Hastings wurde aber ein guter Freund als temporärer Ersatz gefunden. "Afraid Of Heights" nennt sich das brandneue und hochpolitische Album, auf dem Ben Kowalewicz und Co. wieder ihre Finger tief in die Wunden der Gesellschaft stecken. Wir haben uns mit Kowalewicz und Hastings über das neue Album, Veränderungen in der Band und die politische Gegenwart unterhalten.

(Bild: kmm)

"Krone": Ben, Jordan, euer lang erwartetes neues Studioalbum "Afraid Of Heights" habt ihr gut zwei Monate nach euren ersten großen Festivalshows veröffentlicht. Ist das im Prinzip nicht ein etwas unglückliches Timing?
Ben Kowalewicz: Wir hatten das auch anders geplant, aber durch eine Million verschiedener Umstände hat es dann so nicht geklappt. Wir haben aber unser Bestes gegeben. (lacht)

"Krone": In einem Interview mit einem britischen Musikmedium habt ihr betont, dass sich das Album sehr stark um innere und äußere Kämpfe dreht…
Kowalewicz: Es geht sehr stark um diverse Streitereien und Bemühungen - das Wort Kampf ist fast etwas harsch. Die Themenpalette auf dem Album ist jedenfalls extrem vielfältig. Es geht hauptsächlich um Beziehungen. Persönliche, unter uns in der Band, mit dem Alkohol, mit Religion oder auch über die Flüchtlingskrise, die sich mittlerweile nicht nur über Europa, sondern über die ganze Welt verbreitet.

"Krone": Habt ihr eigentlich selbst Höhenangst, oder ist der Albumtitel rein metaphorisch gemeint?
Jordan Hastings: Nicht wirklich, es ist auf jeden Fall metaphorisch gemeint. Aber eines kann ich dir sagen - wenn du auf dem großen Turm bei uns in Toronto stehst, dann überlegst du dir das noch einmal. Dort ist eine Glasplatte angebracht und du darfst darauf stehen - das macht dich dann doch ziemlich fertig, hat aber jetzt nichts direkt mit dem Album zu tun. (lacht)

"Krone": Für den Titelsong hattet ihr euch etwas ganz Besonderes ausgedacht, nämlich dass die Fans den Text des Songs in kreativer Art und Weise für euch interpretieren sollten. Wie entstand diese Idee und wart ihr mit dem Ergebnis zufrieden?
Kowalewicz: Wir haben die Lyrics gepostet und die Kids dazu animiert, uns ihre Gedanken dazu mitzuteilen. Wir haben über die Jahre hinweg sehr viele unserer Fans getroffen und da waren Künstler, Musiker, Tänzer oder auch Techniker darunter. Wir wollten einfach sehen, wie man einen Text von außen betrachtet, denn bei uns innerhalb der Band gibt es natürlich immer nur die eine Seite. Wir schreiben Musik, nehmen sie auf und spielen dann live - egal, ob die Fans das mögen oder nicht. Das entscheiden sie selbst. Hier hatten wir einen guten Weg gefunden, dass die Leute uns ihre Talente zeigen. Wir bekamen hunderte Einsendungen und die meisten waren einfach grandios. Ich wusste gar nicht, was wir da verwenden sollten, weil sie so gut waren. Ich würde das übrigens auch anderen Bands empfehlen, denn so kannst du mit deinen fans in Kontakt treten und erfährst, wie wundervoll und unterschiedlich sie deine Musik rezipieren und sehen.

"Krone": Viele Bands verlieren mit größerem Erfolg den Zugang zu den Fans und ihre Bodenhaftung - was ist euer Geheimnis, dass dem eben nicht so ist?
Kowalewicz: Es macht doch keinen Sinn, dass du, wenn du berühmter wirst, dich von den Leuten entfernst, die dir alles erst ermöglichen.
Hastings: Ich habe das auch niemals verstanden. Wir müssen uns schon im Klaren darüber sein, welches Glück wir haben, so ein Leben führen zu können. Das darf man nie vergessen.
Kowalewicz: Natürlich hat man schlechte Tage oder mag einmal nicht arbeiten. Man braucht auch Zeit für sich selbst und will dann mit niemandem etwas zu tun haben, da geht es mir auch nicht anders. Ich muss zuhause meine Rechnungen bezahlen, den Tierarzt holen oder meine Mutter anrufen - ich führe dasselbe Leben wie jeder andere und habe auch dieselben Probleme.

"Krone": In eurem Video zur Single "Louder Than The DJ" huldigt ihr den Plattenläden und euren musikalischen Idolen. Gibt es eine Platte oder einen Künstler, auf den ihr euch alle innerhalb der Band einigen könnt?
Kowalewicz: Wir könnten da jetzt eine Liste von 500 Alben machen, wo wir bei jedem die Vor- und Nachteile aufzählen würden, das ist schwierig. Wir hätten für das Video gerne noch viel mehr Albencover gezeigt, als im Song Platz hatten, aber das ging sich am Ende nicht aus und manchmal lag es auch an rechtlichen Gründen. Die Idee war aber cool, anfangs wollten wir das Video mit Konzertpostern fertigen, aber dann haben wir uns überlegt, dass es mit Albencovers noch viel cooler aussehen würde. Das Video wurde wirklich gut.

"Krone": Ist der Inhalt des Songs eine Anleitung an die Menschen, dass sie weiterhin die Shows besuchen und ihre Bands supporten sollten. So eine Art Motivationsaufruf, das Rocken nicht zu vergessen?
Kowalewicz: Der Song bezieht sich auf die Zeit vor ein paar Jahren, als die EDM-Kultur wirklich am Plafond war und der Rock im Radio so gut wie gar nicht mehr vorkam. Und wenn, waren es sehr lahme Songs. Wir wollen damit einfach sagen, dass der Rock'n'Roll ein verdammtes wichtiges Kulturgut ist und buchstäblich unser Leben gerettet hat. Die Essenz dieser Musik muss einfach weitergetragen werden, sie muss sich über die Generationen ausbreiten können, damit die nächsten Kids sich hinters Schlagzeug setzen oder die Gitarre stimmen, um der nächste Kurt Cobain, Jimmy Page oder John Bonham zu werden. Das ist uns wichtig. Wir lieben auch DJs, Dance-Musik und auch Hip-Hop, aber der Rock'n'Roll muss einfach am Leben bleiben, er ist zu wichtig.

"Krone": Gene Simmons ist derjenige, der dem Rock immer einen schleichenden Tod attestiert…
Kowalewicz: (lacht) Ja, er sucht immer nach einer perfekten Headline. Er ist so etwas wie der Donald Trump der Rock-'n'-Roll-Industrie…
Hastings: …und hat im Prinzip sogar die gleiche Frisur. (lacht)

"Krone": "This Is Our War" ist ein Song, der sich direkt auf Donald Trump bezieht. Wie siehst du die Lage aus der Perspektive eines Kanadiers, würde Trump tatsächlich der neue US-Präsident werden?
Kowalewicz: Das wäre wirklich erschreckend. Wir grenzen bekanntlich direkt an die USA und ich befürchte wirklich, dass es da zu Kriegen und zumindest zu sozialen Unruhen kommen könnte. Als Menschen müssen wir einfach liebender, verständnisvoller und offener sein, wir müssen aus uns gegenseitig lieben und uns nicht noch weiter voneinander entfernen. Ein Typ wie Trump fördert so etwas aber und würde das Land in extrem links und extrem rechts spalten und das wird für den ganzen Planeten ziemlich heftig werden. Ich habe noch nie in meinem Leben etwas Verrückteres als diesen Wahlkampf gesehen. Es entsetzt mich, wie dieser Typ solche Erfolge einfahren kann.

"Krone": Als Mitteleuropäer kann mir nur schwer nachvollziehen, warum er mit seiner Art und seinen Ansichten eine derart große Popularität genießt.
Kowalewicz: Ich würde mich gerne einmal für einen Tag in das Hirn eines Trump-Unterstützers einklinken, um herauszufinden, was sie an ihm finden. Er ist einfach ein brachialer Rhetoriker und den Leuten fällt nicht auf, dass er elementare Dinge wie Außenpolitik, das Gesundheitssystem oder die Zukunft der Bildung nicht einmal anstreift. Sein Stil ist: "Oh Mann, sieh doch mal. Die schaut total fett in ihrer Unterwäsche aus", und die Leute grölen ihm das nach. Das war's auch. Wenn du ihn nach einem bestimmten Thema fragst, wirst du keine Antwort kriegen. Ich habe eine Frau getroffen, die sich komplett in Trump-Merchandise wickelte und fragte sie, was sie an ihm besonders mag. Sie konnte mir nicht ein verdammtes Beispiel geben. Sie hat keinen Plan, wofür sie steht, sie will einfach nur auffallen und laut sein - wie ihr Idol. Solche Leute gibt es leider zur Genüge und Trump kriecht mit seinem Anti-Islam-, Anti-Moslem- und Anti-Mexikaner-Kurs in ihre Köpfe. Er ist ja auch gegen Schwule und Frauen - und so jemand soll das größte Land der Welt leiten? Ich liebe das Land und seine Leute und viele meiner besten Freunde leben dort, aber siichen Konzepts auf dem Album auch so etwas wie eine persönliche Reflektion eurer letzten Jahre?
Kowalewicz: In gewisser Weise schon. Ian hat über die letzten Jahre viele der Songs geschrieben und er hatte auch tolle Texte und Refrains dazu - er stand wirklich unter Feuer und war unheimlich kreativ. Wir haben dann einfach Dinge, die uns ängstigen und beschäftigen in die Texte einfließen lassen. Die gegenwärtige Waffenkultur etwa, denn im punkto Waffengewalt schlägt Toronto heuer alle Rekorde, was sehr traurig ist. Dann kam uns Trump in den Sinn, die Flüchtlingskrise, oder auch die massive Umweltbelastung, die in verschiedenen Facetten bereits den ganzen Planeten belastet. Zudem werden die Leute gehirngewaschen und mit Alkohol oder auch Religion infiltriert. Auch das Schicksal unseres Drummers Aaron Solowoniuk, der an Multipler Sklerose leidet, wurde auf dem Album verarbeitet. All das hat sich dann in "Afraid Of Heights" manifestiert. Das Album ist wirklich sehr schwermütig geraten.

"Krone": Wie stark bekommt ihr das nicht zu stoppende Flüchtlingskrisen-Problem eigentlich in Kanada zu spüren?
Kowalewicz: Wir haben bislang etwa 25.000 Flüchtlinge in unserem Land aufgenommen und wollen das noch ausweiten. Mein Freund Steve Kane, der Chef von Warner Music in Kanada, hat eine Familie bei sich aufgenommen und versucht sie so gut wie möglich auszubilden und für das Leben vorzubereiten. Ich weiß, dass das Thema hier in Europa ein sehr sensibles ist, was schon allein aufgrund der geografischen Grundlage nachvollziehbar ist. Ich komme selbst aus einer Migrantenfamilie, denn nach dem Zweiten Weltkrieg wussten meine Eltern und Großeltern nicht mehr, wo sie leben sollten, weil einfach alles zerstört war. Also ging es nach Kanada und ich bin ein direkter Nachfolger einer Flüchtlingsfamilie. Es geht um Mitgefühl, Empathie und die große Liebe. Und manchmal müssen wir unsere Komfortzone für etwas Größeres verlassen können. Stell dir vor, du kommst morgen nach Hause und siehst, dass nicht nur dein Haus und deine Straße, sondern die gesamte Stadt ausradiert ist. Du hast absolut nichts mehr. Was machst du dann? Das Thema ist sehr emotional und bricht mir das Herz.

"Krone": Ihr seid bereits zusammen in die Schule gegangen und, bis auf dich Jordan, bereits seit mehr als 20 Jahren eine solide Band. Hat sich über die Jahre vieles unter euch verändert? War es immer leicht, gemeinsam so aufzuwachsen in einer Band, die immer populärer wurde?
Kowalewicz: Das ist eigentlich gleich wie immer, es ist schwer, das irgendwie besonders festmachen zu können. Jordan ist jetzt da, spielt aber in gefühlt 25 anderen Bands und ist außerdem schon sehr lange ein guter Freund von uns allen.
Hastings: Bei meiner Band Alexisonfire gab es auch Aufs und Abs, das ist doch ganz normal. Es geht einfach darum, dass man viel miteinander redet und sich respektiert. Ich bin ja ein Außenseiter was Billy Talent betrifft, kann aber garantiert sagen, dass sich die Jungs innerhalb der Band wirklich lieben. Hier versteht sich privat jeder perfekt mit dem anderen und ich glaube, dann denkst du gar nie daran, dass der Band etwas passieren könnte.
Kowalewicz: Wie bei jeder Beziehung mit deiner Frau, deinem Freund oder auch deiner Familie gilt immer das gleiche - man muss einfach etwas Einsatz zeigen, kommunizieren, verständnisvoll und geduldig sein. Es gibt Tage, da möchte man sie am liebsten umbringen, an anderen Tagen einfach umarmen. Man muss selbst eine gute Person sein und versuchen, erst gar keine miese Stimmung aufkommen zu lassen. Wir sind mittlerweile auch in unseren 40ern und regen uns kaum mehr über Kleinigkeiten auf. Wir sind einfach reifer, auch wenn wir natürlich immer noch ausrasten können. Das Wichtigste überhaupt ist Zuhören - ich rede ja die ganze Zeit. (lacht) Also habe ich auch lernen müssen, wie man richtig zuhört.

Zuhören können die Fans Billy Talent heuer auch noch dreimal in Österreich. Nach ihrer gefeierten Show am Nova Rock spielen Ben, Ian und Co. am 25. November im Linzer Posthof, am 26. November im Wiener Gasometer und am 27. November im Orpheum in Graz. Alle Tickets und Infos unter www.billytalent.com.

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