"Krone"-Interview

Biffy Clyro: “Wir drei gegen den Rest der Welt”

Musik
05.07.2016 12:38

Mit dem Doppelalbum "Opposites" stießen die schottischen Rocker Biffy Clyro vor drei Jahren auf den Genre-Olymp und etablierten sich als eine der spannendsten und innovativsten Bands in diesem Musiksektor. Nach einer längeren Pause zum Batterienaufladen sind Simon Neal und die Zwillingsbrüder James und Ben Johnston mit dem Album "Ellipsis" wieder zurück und drehen ihren Sound ein weiteres Mal um 180 Grad. Im Interview mit den sympathischen Zwillingen erzählten diese Bereitwillig über das "Wir gegen alle"-Gefühl, die Liebe zur schottischen Landschaft und weshalb man den Rock kritisieren kann, ohne so stumpf wie Gene Simmons zu klingen.

(Bild: kmm)

"Krone": James, Ben - euer neues Album "Ellipsis" dürfte durchaus wieder ein großer Erfolg werden, klingt soundmäßig aber doch stark anders als das erfolgreiche Doppelalbum "Opposites", mit dem euch vor drei Jahren der große Wurf gelang. Wäre es nicht einfacher gewesen, euch zu wiederholen um den Erfolg duplizieren zu können?
James Johnston: Es ist wie immer im Leben - wenn du den einfachsten Weg gehst, wird es doch schnell mal langweilig. Du findest nichts Neues und musst dich dann nie anstrengen, das ist nicht spannend. "Opposites" war sehr orchestral geraten und wirklich opulent. Ich bin immer noch sehr stolz darauf, aber nachdem wir zwei Jahre lange damit getourt sind war es Zeit, einen anderen Weg einzuschlagen und uns als Band neu zu erfinden. Um aufgeregt zu bleiben, was wir zum Glück sind, mussten wir uns einfach bewegen und den nächsten Schritt wagen. Wir haben einen frischen Zugang und es fühlt sich für uns wirklich wie ein Neustart an. Es ist so, als ob wir wieder Teenager wären.

"Krone": Gibt es ein bestimmtes Konzept, das dem Albumtitel zugrunde liegt?
James Johnston: Nicht wirklich.
Ben Johnston: In der Mathematik gibt es in der Ellipse drei Brennpunkte und das spiegelt im Prinzip auch das Cover-Artwork wieder, wo wir drei wie nackte Bälle zu sehen sind. (lacht)
James Johnston: Es geht einfach um uns drei, um das Team, das hinter der Band steht. Bis das Album fertig war, sind wir drei durch viele Spannungsfelder gegangen, wir haben auch alle zusammen in einem Haus gewohnt. Wir wollten einfach das Gefühl von früher wieder aufleben lassen, als wir mit 16 zusammen in der Garage jammten. Wir drei gegen den Rest der Welt. Wir hatten damals das Gefühl, dass wir der Welt wirklich zu sagen haben und zusammen verdammt stark sind.

"Krone": Die erste Single "Wolves Of Winter" ist ja so etwas wie ein Gang-Song, wo es um euren Kampf gegen alle möglichen widrigen Bedingungen von außen geht.
James Johnston: Wir haben zu dieser Zeit viele Naturdokus gesehen und wurden davon inspiriert, dass es in der Tierwelt oft darum geht, dass jemand kommt, um dich zu holen. Dieses Gefühl hatten wir oft auch bei Biffy Clyro. Viele Leute in der Musikindustrie wollen dich verarschen oder tun so, als ob sie deine Freunde wären, legen dich dabei aber übers Kreuz. Wir drei stehen aber zusammen und wenn so eine Situation bedeutet, wir müssen zu Wölfen werden um unsere Beute zu reißen, dann wird das eben so passieren. (lacht)

"Krone": Referenzen zur Tierwelt gibt es auch bei den Songs "Animal Style" und "Howl". War das Album bewusst so animalisch geplant?
Ben Johnston: Ich glaube, dass Simon beim Songwriting den animalischen Instinkt rausgelassen hat. Es ging ihm darum, zu kämpfen, auf sich selbst zu schauen und sich in dieser Welt durchzusetzen. Das ist ein natürlicher Teil in der Psyche eines jeden Menschen und wir sind einfach etwas tiefer darin eingetaucht. Ich bin mir nicht sicher, ob Simon immer genau weiß, was er da eigentlich geschrieben hat, bis er damit fertig ist, sich zurücklehnt und noch einmal alles durchlaufen lässt. Ich glaube nicht, dass er wirklich ein animalisches Album geplant hat, aber in Interviews kommt das öfters zur Sprache. (lacht) So wirklich tief kann niemand in den animalischen Instinkt eines anderen eintauchen.

"Krone": Ihr habt vorher über diese Art Fötus-Position auf dem Coverartwork gesprochen - repräsentiert das eine Art Neubeginn oder Wiedergeburt?
Ben Johnston: Genau das ist es. Die Leute sollen denken, dass es eine Band ist, die ihr erstes Album aufgenommen hat, denn genau dieses Gefühl hatten wir, als wir in Los Angeles daran schraubten. Das Drumherum war einfach herkömmlich. Wir haben versucht, unser Wissen über Aufnahmetechniken hintanzustellen und einfach zwanglos Musik zu machen.

"Krone": Ihr drei seid so dick befreundet, dass ihr ja sogar ein körperübergreifendes Tattoo habt…
James Johnston: Das starte bei Simons Fuß, geht über Bens Rücken und endet bei meiner Schulter. Es repräsentiert unsere gemeinsame Reise, unser Leben. Die ganzen Hochs und Tiefs, die wir zusammen erleben. Wir haben viel Glück, dass wir dafür den richtigen Tätowierer ausgesucht haben, der unsere Vision großartig umsetzte. Wir sind sehr stolz darauf und froh, dass wir so gut zusammenstehen. Das ist doch eine Marke für das ganze Leben.

"Krone": Ihr spielt seit mittlerweile 21 Jahren zusammen in der Band - ihr beide seid sogar Zwillingsbrüder. Ist das nicht manchmal schwieriger, wenn man sich schon von klein auf so nahestand?
James Johnston: Das ist jetzt vielleicht eine langweilige Antwort, aber wir sind in der Band seit wir 16 bin und mit Simon zusammen seit jeher drei Brüder. Wenn nicht zwischendurch jemand fragen würde, würden wir uns da nicht einmal Gedanken darüber machen. Wir leben einfach unser Leben, das ist ganz normal. Ich verstehe schon, dass es für manche verwirrend ist, wenn Typen, die dieselbe Mutter haben und im selben Sarg landen werden auch noch zusammen in einer Band spielen. Für uns wäre es verrückt, ohne einen von uns zu touren.
Ben Johnston: Ohne James oder Simon zu touren, klingt ziemlich beschissen. Ich glaube, das wäre nicht einmal möglich für mich. (lacht) Du kannst dich woanders ja auch gar nicht so verhalten wie bei Leuten, die du quasi von Geburt an kennst, die ganze Dynamik wäre eine völlig andere.

"Krone": Mit "Opposites" seid ihr wirklich wie die Bösen über die Welt getourt, wie wichtig war es für euch, das letzte Jahr fast komplett abseits der Bühnen zu verbringen?
Ben Johnston: Das war sogar essenziell. Wir lieben das Touren, aber wir waren schon so fertig, dass der Akku fast kaputt war. (lacht) Was wir nicht bedacht haben ist, wie schnell wir das Livespielen vermissen würden. Wir haben uns relativ schnell ziemlich wertlos gefunden und keiner wusste anfangs, was er so tun sollte. Die Pause war aber wichtig, da wir nicht nur fast vergessen haben, wer wir selbst überhaupt sind, sondern auch wie groß die Band mittlerweile schon war. Die Erwartungen von außen waren so riesig, umso wichtiger war es für uns, "Ellipsis" auch so zu machen, wie wir es wollten.

"Krone": Wolltet ihr euch wirklich komplett von der Musikwelt abnabeln, euch für eine Zeit total zurückziehen?
James Johnston: Es war nicht leicht. Wir wussten, dass Warner Music eine gewisse Erwartungshaltung an uns stellten und wir einem gewissen Druck unterliegen, mit dem wir auch leben können. Für uns ist es aber wichtig in Schottland zu leben und in einer kleinen Stadt zu proben, von der kaum jemand jemals gehört hat. Das hat wenig mit Glasgow und noch viel weniger mit London zu tun. Es ist ein kleiner Bauernhof wo die Kühe auf der Weide herumstehen. Es gibt dort keinen Einfluss von irgendjemanden und das war nötig, um uns wieder wie 16 zu fühlen und diese Art von Neustart wagen zu können. Die Plattenfirma unterstützt uns gut und wir haben sehr loyale Fans, die uns auch die Zeit und das Vertrauen entgegenbringen, einfach an unseren Songs zu arbeiten. Dieses Glück haben nicht alle.

"Krone": Fühlt ihr euch eigentlich wohl im Rampenlicht? Die Popularität eurer Band stieg in den letzten Jahren rasant und ihr sagt ja selbst, dass ihr euch eher als zurückgezogene Dorfbewohner betrachtet.
James Johnston: Die Band ist natürlich berühmter geworden, wir haben auch sehr viel gespielt, aber sind sicher keine Typen, die danach suchen. Natürlich sind wir auf der Bühne offensiv und präsent, aber das ist auch ein Teil der Show. Niemand will eine schüchterne Band sehen, da sollte es schon knallen.
Ben Johnston: Wir versuchen aber auf jeden Fall, das Society-Rampenlicht zu vermeiden, das ist für uns überhaupt nicht von Interesse. Wir halten uns ja nicht einmal in London auf, insofern sehe ich da auch keine große Gefahr. (lacht)

"Krone": Obwohl ihr das Landleben so schön findet, habt ihr "Ellipsis" mit Rich Coestey in Los Angeles produzieren lassen. War dieser radikale Gegensatz nötig? L.A. ist doch so etwas wie eine Künstlerblase, die wenig mit der Realität gemein hat.
James Johnston: Obwohl es so viele gescheiterte Beispiele gibt, hat der amerikanische Traum für viele Künstler immer noch etwas Magisches an sich. Der große Goldrausch und der Ursprungsgedanke des Landes der unbegrenzten Möglichkeiten ist realistisch gesehen aber schon lange vorbei. Musik und Texte waren schon vor unserer Reise fertig geschrieben, es ist auf dem Produkt also kein Einfluss dieser Stadt zu hören. Wir wollten das aber einfach machen, diese positive Einstellung mitnehmen. In Schottland laufen Mütter herum, die ihren Kindern fast schon verbieten, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, dort ist das Wasserglas immer halb leer. Wir wollten Yin und Yang durch L.A. im Gleichgewicht halten. Du weißt gar nicht wie oft wir zuhause gehört haben, dass wir keine verdammte Chance hätten, nach L.A. zu gehen. (lacht) Das ist Teil der schottischen Mentalität. Sie haben die richtige Einstellung in L.A., tolle Studios und mit Rich auch einen großartigen Produzenten. Und natürlich das Wetter, das ist nicht vergleichbar. (lacht)

"Krone": Eure Inspirationsquellen für "Ellipsis" waren extrem vielfältig. Einerseits Hip-Hop-Outfits wie ASAP Rocky, andererseits die experimentelle Black-Metal-Band Deafheaven. Woher kommt das Interesse für so viele verschiedene Welten?
Ben Johnston: Da ging es auch mehr um die Aufnahmetechniken und die Art, wie diese Künstler ihre Musik zusammenstellen. Das bedeutet nicht, dass wir jetzt plötzlich wie ASAP Rocky oder Deafheaven klingen. Wir versuchen immer so viel wie möglich zu hören und gewisse Sounds bleiben dann in deinem Kopf hängen und die willst du vielleicht einfließen lassen. Die modernen Hip-Hop-Alben haben heutzutage viel mehr Feuer als jene der Rockbands. Kanye West macht sehr kontroverse Alben, die unangenehme Dinge ansprechen, während sich die meisten Rockbands eher im sicheren Segment bewegen. Ich kann mich gerade an kein jüngeres Rockalbum erinnern, das mich so richtig mitgerissen hat. Kanye zum Beispiel beherrscht das.
James Johnston: Wenn du ein Kanye- oder ASAP-Rocky-Album aufdrehst, glaubst du, dass deine Anlage kaputt ist, weil ihr Sound einfach so neu und experimentell ist.
Ben Johnston: Ich glaube auch, dass Rockbands heute nicht mehr so offen für moderne Technologien und Erweiterungen sind, sie verlassen sich zu oft auf das Altbekannte und wenig Innovative. Wir wollten bewusst gegen diesen Trend arbeiten und den Sound spannend und neu halten. Rapmusik ist da mittlerweile einfach um Meilen voraus.

"Krone": KISS-Legende Gene Simmons hat schon des Öfteren gesagt, dass die Rockmusik heute tot sei. Beweist ihr im das Gegenteil?
James Johnston: Warum redet der so viel Müll? In einem Interview sagt er, der Rock wäre tot, im nächsten glorifiziert er ihn wieder. Gene Simmons ist für mich ein verdammter Idiot. Natürlich hat er eine große Band, aber er redet so viel Scheiße, zum Beispiel unlängst auch über den Todesfall von Prince.
Ben Johnston: Das hat er gemacht? Fuck him!
James Johnston: Rock ist sicher nicht tot. Manchmal ist er eben stärker im Mainstream, dann wieder mal etwas darunter aber für mich ist diese Art von Musik sowieso sehr Underground-basiert. Bands wie Nirvana, Soundgarden oder Pearl Jam haben ihn groß gemacht, eine Metal-Band wie Deafheaven schafft es sogar, trotz ihrer extremen Spielweise für Aufmerksamkeit zu sorgen. Wer sich solche Bands anhört würde auch niemals sagen, dass der Rock tot sei. Der Musik geht es gut, aber es braucht derzeit einfach eine zündende Band oder einen zündenden Gedanken, um ihn wieder an die Spitze zu bringen. Ich hoffe wir können da in unserer kleinen Welt mithelfen, dass es wieder aufwärts geht.

"Krone": Ihr habt immer schon ganze Album-Trilogien geplant. "Ellipsis" ist das siebente Studioalbum, also ein drittes Mal ein Neubeginn. Ist es nicht schwierig, mit diesem Grobkonzept immer so weit in die Zukunft zu sehen?
Ben Johnston: Wir werden wahrscheinlich die nächsten beiden Alben mit Rich Coestey einspielen, aber eigentlich war es das schon mal fürs Erste mit den großen Plänen. Wir denken nicht an den Sound von später, haben keinen Zehn-Jahres-Plan im Kopf.
James Johnston: Wir setzen uns kleine Schritte, waren uns etwa einfach sicher, dass wir Orchester und Streicher gerne vermeiden würden. Wir hören uns zuhause wirklich die unterschiedlichsten Sachen auf Kassette oder Vinyl an und lassen uns davon inspirieren, insofern kann sich die Richtung immer etwas ändern. Simons Stimme definiert gemeinsam mit unseren Riffs die Identität der Band, an der wird es nicht mehr viel zu rütteln geben. Wir probieren einfach alles und haben keine Ängste, uns zu verändern. Das macht für mich eine Band aus. Ich liebe zum Beispiel Weezer, aber ihr bestes Album ist jetzt auch schon mehr als zehn Jahre alt.

"Krone": Das neue Album von Weezer ist aber wirklich sehr gelungen.
Ben Johnston: Ja, das stimmt. Aber erreicht es die Qualität von "Pinkerton"? Ich würde sagen, nicht ganz.
James Johnston: Natürlich lieben wir Weezer noch immer, aber sie wiederholen sich doch oft und das wollen wir nicht.
Ben Johnston: Man sollte immer das Unerwartete von dir erwarten, dann machst du als Band alles richtig.

Nach ihrem grandiosen Auftritt beim Rock in Vienna kommen Biffy Clyro im Herbst für eine Show nach Österreich zurück. Am 21. Oktober werden sie im Wiener Gasometer garantiert viele Songs ihres neuen Albums "Ellipsis" vorstellen, ohne die großen Klassiker zu vergessen. Karten für das Konzert erhalten Sie unter www.musicticket.at.

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