Erste Testfahrt

krone.at auf Tuchfühlung mit dem Google-Handy

Elektronik
05.11.2008 16:25
Mit dem HTC G1 hat vor fast zwei Wochen in den USA das erste Handy mit dem Google-Betriebssystem "Android" das Licht der Welt erblickt. Hierzulande wird es noch bis Anfang 2009 dauern, ehe der erste ernst zu nehmende Konkurrent von Apples iPhone erhältlich sein wird. Doch es gibt bereits "gPhones" in Österreich, krone.at hatte die Gelegenheit zu einer einstündigen Testfahrt mit einem voll funktionsfähigen G1. Fazit: iPhone, halt dich fest - da "browst" etwas mit Vollgas heran!

2004 gab's von Google mit der Bildverwaltungssoftware Picasa erstmals etwas zum Installieren; erstmals etwas, das nicht im Browser stattfand - und trotzdem blieb der Name Google mehrheitlich mit der Suchmaschine verbunden. Seit ein paar Wochen ist der Google-Browser "Chrome" erhältlich, aber immer noch denkt man beim Firmennamen in erster Linie die Suchmaschine.

Mit "Android", dem Betriebssystem für Handys, mit dem das HTC G1 (früher HTC Dream) als erstes Smartphone ausgestattet ist, könnte Google nun eine relevante Veränderung bzw. Erweiterung seines Tätigkeitsfeldes gelingen, die von der breiten Masse registriert wird und die Wahrnehmung des Internetgiganten in der Öffentlichkeit verändern kann. Denn das G1 mit der ganz und gar auf das mobile Internet ausgerichteten Plattform hat tatsächlich das Zeug, dem Klassenprimus iPhone auf die Pelle zu rücken. Die Beschaffenheit der Hardware ist da beinahe nebensächlich, denn auch der Hype um das Apple-Handy fußt zum Großteil auf dem neuen digitalen Lebensgefühl, das "mobile computing" mit sich bringt.

Aus diesem Grund, sollte man eigentlich gar nicht vom "Google-Handy" sprechen. Denn es wird nicht nur ein "gPhone" geben, sondern mehrere, vielleicht sogar Dutzende. Was zählt, ist also die Software. Und bei unserer einstündigen Testfahrt im T-Mobile-Center in Wien - der Provider hat das G1 ab Anfang 2009 mit Exklusivrecht im Programm - gab es viele positive Überraschungen...

Der Android-Desktop - ein Google-Account ist für den Betrieb des Handys erforderlich - ist rein optisch eine Mischung aus dem Linux OS für Netbooks und dem Symbian OS für Handys, hat aber starke Anleihen vom iPhone. Und im Unterschied zu Symbian läuft das Ding flüssig, iPhone-flüssig - oder wie es US-Tester sagten: "Wie ein Sidekick auf Steroiden!" Man hat einen Homescreen mit virtueller Analog-Uhr vor sich, auf dem sich die 20 wichtigsten Programmicons platzieren lassen. Einen Blick auf alle installierten Applikationen - Programme können über UMTS, Edge und WLAN direkt aufs Handy gelanden werden - bekommt man in einem Extra-Menü, aus dem sich die Icons per Drag-and-Drop auf den Desktop ziehen lassen. Eine Statusleiste oben gibt Auskunft über Empfangsqualität, Akkustand, Downloads, im Hintergrund laufende Programme und Telefonie-Dinge wie erhaltene Nachrichten, letzte und unbeantwortete Anrufe.

Standardmäßig kommt Android ganz "nackig" mit ein paar Google-Applikationen für Internetsuche, E-Mail-Client, einer recht brauchbaren Light-Version von Chrome, Kalender, Instant-Messenger für sämtliche Plattformen (außer Skype), Google Maps mit StreetView, YouTube, einem halbwegs gut integrierten Musikplayer, der alle Formate spielt, und dem "Android Market". Letztere ist die wichtigste Applikation, von dort holt man sich nämlich die Programmchen. Erhältlich sind am "Market" bereits eine Fülle an sinnvollen Programmen, weit sinnvoller als jene 550 mehrheitlich kostenpflichtigen, die beim Start des iPhone-AppStores verfügbar waren. Und: Von den derzeit rund 170 Programmen ist kein einziges kostenpflichtig! Unter anderem gibt es eine Applikation, mit der sich Barcodes mit der eingebauten Digicam "scannen" und Preisvergleiche im Internet anstellen lassen können. Im Schnelltest mit einer brandneuen Musik-CD erkannte das Programm das Produkt und lieferte Webergebnisse mit Angeboten - das Ganze ist also eine Art ultraschneller "Instant-Geizhals". Weiters gibt es eine Applikation für Amazons MP3-Store, der bald auch in Europa starten soll, ein Programm, mit dem sich virtuell der Kleiderschrank durchforsten lässt, ein virtuelles Kochbuch mit Step-by-Step-Anleitungen und etliche Must-Haves, die auch auf dem iPhone Renner sind: Internet-Auktionen, Social-Networking (derzeit MySpace, Facebook ziert sich noch), Instant-Wetterbericht, Multimedia-Player, Wikipedia, Navigationshilfen. Und: Auch Skype ist am Google-Handy verfügbar. Beim iPhone verbitten sich's die Provider, auf krone.at-Nachfrage hieß es von T-Mobile, dass man hier im Umdenken sei und - zumindest im Falle des Google-Handys - gegen VoIP-Programme wie Skype nichts einzuwenden hat. Die Programme sind übrigens weitaus stärker in die Plattform integriert als beim Apple-Handy und können auch untereinander kommunizieren.

Die Einigartigkeit von Android ist seine weitgehende Quelloffenheit. Google hat zwar wie Apple beim iPhone einen "Killswitch" eingebaut, mit dem sich unerwünschte Programme entfernen lassen. Anders als bei Apple wird's dabei aber wohl nicht um eine Yahoo-Suche gehen, sondern eher um Hackertools und Malware. Ein weiterer Unterschied zum Apple-Handy: Bei einem "gPhone" lassen sich Teile der vorinstallierten Software ausradieren. Sollte jemand einen besseren E-Mail-Client oder einen Browser schreiben - hier hat Mozilla etwas angekündigt, auch Opera wäre ein Kandidat -, lässt sich die native Applikation mit ein paar Klicks ersetzen oder zumindest eine zweite für denselben Tätigkeitsbereich hinzufügen. Warum das so ist? Weil's Google schlichtweg sch...egal ist, welche Programme auf Android-Handys laufen - solange die Vernetzung mit Google nicht unterbrochen wird und der Internetgigant bei der in den nächsten Jahren zu erwartenden Progression des Internettraffics von Desktops weg zu Handhelds weiterhin kräftig mitverdient. Android ist übrigens keine ganzheitliche Google-Erfindung. Das System wurde unter der Leitung von Andy Rubin entwickelt, einer der Schöpfer des Instantmessaging-Handys "Sidekick", das bei uns zwar floppte, in den USA aber bei Teenagern (inkl. Paris Hilton) zum Renner wurde. Rubin marschierte vor zwei Jahren bei Google-Gründer Sergey Brin ins Büro und demonstrierte ihm die erste Version des Systems. Obwohl auf dem Testgerät nach einer Stunde der Akku ausging, sagte Brin nicht nur Unterstützung zu, sondern kaufte Rubins Firma Android Inc. mit 50 Millionen Dollar quasi gleich aus der Portokasse.

Nun wieder zurück zum ersten Google-Handy: Das G1 ist erklärter iPhone-Herausforder - und dabei so ziemlich der erste, der nicht wie eine schlecht abgemalte Version des Apple-Handys wirkt. Die Oberseite hat ungefähr dieselben Maße wie beim iPhone, das G1 ist allerdings mindestens doppelt so dick. Klappt man den Oberteil zur Seite, findet man eine vollwertige QWERTZ-Tastatur. Obwohl aus Kunststoff gefertigt, wirkt die Verarbeitung des taiwanesischen Produktes solide. Der Klappmechanismus fühlt sich nicht so an, als könnte man ihn schnell umbringen. Das ist wichtig, denn man muss oft klappen.

Bei den Bedienmöglichkeiten findet man eine Mischung aus iPhone, Sidekick und Blackberry. Das berührungsempfindliche Display lässt sich - ohne Übertreibung - genauso bedienen wie ein iPhone. Allerdings kann man nur einen Finger benützen, Gestensteuerung auf Handydisplays hat ja bekanntlich Apple patentiert. An der Unterseite, zwischen den Knöpfen für Abheben, Auflegen, Instant-Suche, Menü und "Zurück", befindet sich zudem ein omnidirektionaler Trackball, wie man ihn von neueren Blackberrys kennt. Er leuchtet zwar nicht, fühlt sich sonst aber genauso an, wie bei einer "Blaubeere". Ja und zusätzlich zu diesen Steuerungsmöglichkeiten gibt es dann auch noch die QWERTZ-Tastatur. Die allerdings nur in physischer Form, an einer virtuellen wird immerhin bereits geschrieben.

Das Display leuchtet ausreichend hell und arbeitet bei der Darstellung von Farben und Kontrasten sehr zufriedenstellend. Die eingebaute 3-Megapixel-Kamera funktioniert ganz ordentlich, verzerrt allerdings recht stark und nimmt Bilder ein wenig blaustichig auf. Es gibt Autofokus, keinen Blitz, dafür aber einen Auslöseknopf an der Seite, den das iPhone nicht hat. Videoaufzeichnung hätte Android Code-seitig theoretisch drauf, zumindest im Auslieferungszustand und am "Android Market" findet sich keine Software, mit der sich der sich das am G1 bewerkstelligen ließe. Auch Bluetooth-Stereokoppelung wäre mit Android möglich, das G1 unterstützt aber auch das nicht. Ansonsten reizt das taiwanesische Handy mit seiner Hardware die Möglichkeiten des Betriebssystems voll aus: SMS, MMS, GPS, WI-FI, Accelerometer - um nur die wichtigsten zu nennen. Bei der Audiowiedergab264, 3GP und MPEG4, bei WMV- und MPEG-Dateien hat man (derzeit?) keine Chance. Wie das iPhone unterstützt auch Android (derzeit?) kein Flash mangels Plugin und Lizenz von Adobe. Eine Synchronisation mit Microsoft Exchange Servern ist nativ nicht möglich - Softwareseitig kann das geändert werden, sofern es mit einer Lizensierung von Microsoft klappt. Entwickler haben aber auch da bereits eine Lösung angekündigt, die dies umschiffen können soll. Ohne Exchange-Unterstützung ist ein Google-Handy für den Unternehmensmarkt uninteressant. Aber dort ist Google ohnehin nicht wirklich zuhause...

Hardwareseitig ergibt sich noch der eine oder andere Nachteil dadurch, dass das G1 mit nur 256 Megabyte internem Speicher recht spärlich bestückt ist. Per microSD-Card können aber bis zu 16 Gigabyte externer Speicher zugeführt werden. Ob sich darauf auch Applikationen ablegen lassen, ist nicht bekannt bzw. konnten wir bei unserem einstündigen Testlauf mit dem amerikanischen G1 nicht genau festmachen. Was in Zeiten von Musikhandys nervt, ist der fehlende Klinkenausgang für den Kopfhörer. Ein mitgeliefertes Headset kann nur über den Mini-USB-Ausgang, der auch zum Laden des Handys dient, angeschlossen werden. Die Anbindung von herkömmlichen Kopfhörern ist immerhin über einen Adapter möglich.

Bei der Akkulaufzeit hebt das G1 die Latte leider nicht. Fleißige Internetbenützer mit Multimedia-Fetisch werden sich täglich an die Steckdose hängen müssen. Bei moderater Benützung werden sich zwei bis maximal drei Tage ausgehen, bevor man laden muss. Apropos Internet: Die Light-Version von Chrome beschert schnellen Surfgenuss, der mit dem iPhone 1:1 mithalten kann. Bei unserem Test hatte das G1 zwar mit Framesets ein paar Problemchen, "unlesbar" war aber nichts.

Fazit: Dem Google-Handy schlägt zwar nicht derselbe Hype wie dem iPhone entgegen. Knapp ein Jahr nachdem das Apple-Handy die Mobilfunkwelt auf den Kopf stellte, ist es aber die erste ernst zu nehmende Alternative, die über weite Strecken - vor allem, was mobile Computing betrifft - mit dem iPhone mithalten kann. Die Ästhetik steht ja angeblich bei vielen Handyfonierern hintan, und so sollte es weniger stören, dass HTC beim Design eher funktional geblieben ist. Das erste Modell sieht jedenfalls vielversprechend aus und bringt mit seiner offenen Struktur schon selbst eingefleischte iPhone-Nutzer zum Überlegen. Beispiel: Skype am Handy ist verlockend und früher oder später wird es eine Tethering-Applikation geben, mit der man das G1 dann als Brücke zum Internet für ein Notebook verwenden können wird. Datenkarte adé! Beim iPhone ist beides noch immer weit davon entfernt, in den hermetisch abgeriegelten AppStore vorzudringen. 

Noch spannender wird's beim Preis werden: 179 Dollar kostet das in den USA seit 23. Oktober erhältliche G1 samt einer 25 Dollar günstigen Telefonier- und Daten-Flatrate bei T-Mobile USA. Entsperrt kommt es auf 399 Dollar. Auch hierzulande kann man erwarten, dass Anfang des nächsten Jahres preismäßig unters iPhone hineingefahren wird. Eine Daten- und Telefonieflatrate hat T-Mobile gegenüber krone.at in Aussicht gestellt, da das G1 kein Oberklasse-Gerät ist, darf man vorsichtig erwarten, dass es ein günstigeres Paket als beim iPhone geben wird. Der mit "Anfang 2009" noch recht vage umschriebene Österreich-Start ist im Fall des G1 kein Ärgernis, sondern eher eine sinnvolle Bewährungsfrist. Bis dahin sollten etwaige verborgene Fehlkonstruktionen im G1 entdeckt sein und Killerapplikationen am "Android Market", wenn möglich, vorhanden. Kurz: Man wird bis dahin wissen, ob Googles Handy-Coup wirklich ein Coup ist. Fürs Erste spricht nichts dagegen...

Von Christoph Andert

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