Ohne Vorwarnung

Ungarns größte Oppositionszeitung eingestellt

Medien
10.10.2016 09:35

Ohne Vorwarnung an die Redaktion ist die größte ungarische Oppositionszeitung vorerst eingestellt worden. Die Samstagsausgabe der "Nepszabadsag" wurde noch gedruckt, danach wurde auch ihr Internetauftritt ausgesetzt. Die Opposition sah dadurch ihre Befürchtungen hinsichtlich einer Gleichschaltung der Medien bestätigt. Tausende Demonstranten protestierten am Samstagabend vor dem Parlament.

Die Entscheidung, das Erscheinen von "Nepszabadsag" einzustellen, sei aus wirtschaftlichen Gründen getroffen worden und gelte bis zur "Formulierung und Realisierung eines neuen Konzepts", teilte der in österreichischem Besitz stehende Eigentümer Mediaworks laut der Nachrichtenagentur MTI am Samstag mit. "Nepszabadsag" war bisher Ungarns bestverkaufte großformatige Zeitung, dennoch schrieben ihre Print- und ihre Onlineausgabe Verluste.

Die oppositionellen Sozialisten erklärten, die Einstellung der Zeitung sei ein "schwarzer Tag für die Presse". Die Zeitung hatte immer wieder kritisch über den im Jahr 2010 an die Macht gelangten Ministerpräsidenten Viktor Orban berichtet. Bei der Protestkundgebung erklangen Sprechchöre: "Orban raus!"

Regierung will kritische Medien ruhigstellen
Kritiker werfen dem einwanderungsfeindlichen und rechtsnationalen Ministerpräsidenten vor, die Medien im Land zu Verlautbarungsorganen seiner Regierung machen zu wollen. Zahlreiche privatwirtschaftliche Medien wurden demnach von regierungsfreundlichen Oligarchen aufgekauft. Ein Regierungssprecher bezeichnete die Einstellung der linksliberalen Zeitung als "autonome Entscheidung eines Medieneigentümers". Der Vizevorsitzende der Regierungspartei Fidesz, Szilard Nemeth, meinte allerdings im Nachrichtensender Hir TV: "Es war hoch an der Zeit, dass diese Zeitung zusperrt."

Am Samstag wurde spekuliert, dass auch "Nepszabadsag" an einen Orban-Unterstützer verkauft wird. Die oppositionelle Partei der Demokratischen Koalition erklärte, womöglich gehe der Pressetitel an Orbans "engen Geschäftspartner" Lorinc Meszaros. Der österreichische Konzern Mediaworks, der die Zeitung und weitere ungarische Titel gekauft hatte, machte allerdings keine Angaben zu einem möglichen Verkauf.

Laut Mediaworks ist die Auflage von "Nepszabadsag" in den vergangenen zehn Jahren um 74 Prozent gefallen. Dadurch seien Verluste in Höhe von fünf Milliarden Forint (16,4 Millionen Euro) entstanden. Am Samstagabend unterbreitete der Konzern der Redaktion ein Angebot, auf dessen Grundlage am Sonntag verhandelt werden solle. Mediaworks forderte dabei einen Geschäftsplan, der ein langfristig rentables Erscheinen der Zeitung sicherstelle.

Journalisten Zugang zu Arbeitsplätzen verwehrt
Die Belegschaft von "Nepszabadsag" kritisierte, dass die Entscheidung, das Erscheinen vorerst einzustellen, hinter ihrem Rücken gefallen sei. "Das Land erfuhr davon, bevor wir es wussten (...) unser erster Gedanke war, dass es ein Putsch ist", schrieb die Belegschaft auf der Facebook-Seite der Zeitung. Die Redakteure wollten am Sonntagnachmittag ihre Arbeitsplätze wieder einnehmen.

Ein Mitarbeiter der Zeitung, der nicht namentlich genannt werden wollte, sagte, Journalisten, die Artikel für die Montagsausgabe vorbereitet hätten, sei plötzlich der Zugang zu ihren Arbeitsplätzen verwehrt worden. In Briefen seien sie von ihrer Beurlaubung informiert worden.

Der Mitarbeiter kritisierte, die Entscheidung sei "ein schwerer Schlag für den investigativen Journalismus und die Pressefreiheit". "Nepszabadsag" sei das größte Organ für Qualitätsjournalismus in Ungarn, das sich für die Verteidigung von "grundlegenden Freiheiten, Demokratie, Redefreiheit und Toleranz" eingesetzt habe. Die Zeitung blickt auf eine 60-jährige Geschichte zurück, ins Deutsche übersetzt heißt sie "Das freie Volk".

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz bezeichnete die Schließung der Zeitung als "Besorgnis erregenden Präzedenzfall". Der sozialdemokratische Fraktionsvorsitzende im Europaparlament, Gianni Pittella, erklärte, die Pressefreiheit in Ungarn sei "in Gefahr". In "nicht demokratischen Systemen" sei es "gängige Praxis", missliebige Zeitungen zu schließen, fügte der italienische Politiker hinzu.

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