"Zaytung"

Tippen gegen Erdogan: Die “türkische Tagespresse”

Medien
21.02.2017 09:21

Endlich eine gute Nachricht für alle Raucher, zumindest in der Türkei. In Vorbereitung auf das Referendum im April, bei dem das Volk mit "Ja" oder "Nein" über eine Verfassungsänderung abstimmen wird, wurden Mitte Februar Broschüren des Gesundheitsamts zum Thema Rauchentwöhnung entfernt. Denn die Botschaft, dass wer "Nein" sagt, alles richtig macht, möchte die AKP-Regierung nicht verbreiteten.

Denn der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hofft auf ein "Ja". Neben dem Spott in sozialen Netzwerken über das Tilgen des Wortes "Nein" aus der Öffentlichkeit freut sich vor allem die türkische Satirezeitung "Zaytung", dass Rauchen bis zum Referendum keinerlei Gesundheitsschäden mit sich bringt - das Gesundheitsministerium hat es laut "Zaytung", versprochen.

Hakan Bilginer zündet sich eine Zigarette an. Er sitzt in einem Cafe im Istanbuler Stadtteil Kadiköy, auf der asiatischen Seite der Millionenmetropole, und raucht sehr viel. Auf der Suche nach der besten Geschichte und den lustigsten Motiven muss der Onlinejournalist nur den Fernseher einschalten, oder die Zeitungen aufschlagen.

Denn der Staatspräsident Erdogan ist nahezu allgegenwärtig in all den ihm hörigen Medien, die regierungskritischen Journalisten wurden ohnehin schon meist durch sein persönliches Engagement mundtot gemacht. "Erdogan bietet uns sehr viel zum Lachen", schmunzelt Bilginer, Chefredakteur der Online-Satirezeitung "Zaytung" - quasi eine türkische Variante von Satireseiten wie dem deutschen "Postillon" oder der österreichischen "Tagespresse". "Er ist der ein Weltprovokateur", so Bilginer.

Satiriker freuen sich über schlechte Nachrichten
Als Satirejournalist freue er sich über schlechte Nachrichten. Die seien einfacher zu karikieren als gute. Doch angesichts der politischen Situation sei ihm gelegentlich doch mehr zum Weinen zumute, "aber der Humor ist hilfreicher dabei, um mit diesem Chaos umzugehen."

So gesehen könnte die Zeiten kaum erfreulicher sein: Ein Präsident, der als "Journalistenfresser" verspottet wird. Eine im April geplantes Referendum zur Ausweitung seiner Macht, der Terror durch Dschihadisten des "Islamischen Staates", die Flüchtlingskrise, die bürgerkriegsähnlichen Zustände im Südosten des Landes, und jeden Tag dutzende Festnahmen von Erdogan-Kritikern. Mit ihrem eigenen Stil - scharf, schnell, zynisch - nehmen sie sich all der Themen an.

Rund 600.000 Facebook-Fans und 100.000 Webseitenaufrufe täglich kann das Satiremedium mittlerweile für sich verbuchen. Es gibt Zaytung-Souvenirs, und eine Cafe in Ankara, dass nach Namen des Online-Mediums trägt. Durch Werbung wird die mittlerweile vierköpfige Redaktion finanziert, Hunderte Freie liefern Ideen, Texte und Karikaturen. Es gibt kein Büro. Alle arbeiten von zuhause aus.

Aus der IT- in die Satirebranche
Bilginer arbeitete noch im IT-Bereich, als er vor sieben Jahren die Idee zu dem Online-Medium hatte. Fristeten sie einst noch eine mediale Nischenexistenz, sind sie heute landesweit bekannt. Die jetzige Reichweite hatte sich Bilginer damals nie vorstellen können. Denn angefangen hat alles in einer Kneipe, Marketing war noch Fremdwort, man lebte von Mund-zu-Mund Propaganda, Spaß, und dem Ehrgeiz, einem pressefeindlichen System den Spiegel vorzuhalten. "Es gab eine Lücke, und die haben wir erfolgreich geschlossen", so der 38-Jährige.

Tatsächlich gibt es in der Türkei eine lange Tradition klassischer Satiremagazine - Online war "Zaytung" aber das erste Medium, dass vor allem Erdogan und die AKP-Regierung thematisiert. Bisher habe Ankara noch nicht an die Türen geklopft, aber es kann jeden Moment soweit sein. Erst Mitte Februar wurde das Satire-Magazin "Girgir". Der Verlag selbst meldete, die Entscheidung dazu sei intern gefallen. Doch es gibt Mutmaßungen von Regierungskritikern, dass die AKP Druck bei dem bissigen Medium ausgeübt habe.

Tägliche Drohungen von Erdogan-Fans
Hingegen bekommen Bilginer und seine Kollegen täglich Drohungen von Nationalisten und Regierungsanhängern. "Wenn wir ständig an die Folgen unserer Arbeit denken würden, dann könnten wir nicht arbeiten", schildert Bilginer.

Auch Bilginer ist gelegentlich beunruhigt. Es mehren sich die Nachrichten, die nur mit Galgenhumor zu verarbeiten sind. Täglich werden sie von Nationalisten beschimpft und bedroht "Wir Journalisten in der Türkei haben keinen Schutz. Wir können jederzeit von AKP-Anhängern oder der Regierung angegriffen werden." Doch aufgeben gilt für ihn nicht: "Zynismus und Humor sind unsere Waffen gegen Angst und Unterdrückung."

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