Das große Interview

Kommt nun der Dritte Weltkrieg, Herr Löw?

Ausland
16.09.2017 16:57

Am Freitag hat der nordkoreanische Diktator Kim Jong Un erneut eine Rakete über Japan abgefeuert. Die Welt ist empört - und scheinbar machtlos. Im Interview mit Conny Bischofberger analysiert Raimund Löw, Historiker und langjähriger ORF-Korrespondent, das brandgefährliche Szenario.

Freitagabend, das "Schwarze Kameel" in der Wiener Bognergasse ist voll besetzt. Raimund Löw steuert zielsicher auf den hintersten Tisch links zu, den hat er für unser Interview reserviert. Dort sitzt man wie in einer Loge, es duftet nach Beinschinken und von weitem hört man die Sektflöten klingen.

Der Mann im grauen Anzug, mit wachen blauen Augen und Händen, die das Weltgeschehen mitbeschreiben, erzählt er von dem Land, das nur ganz wenige Journalisten bereist haben. Von den Menschen in Nordkorea, vom brutalen Regime und seinen persönlichen Eindrücken zwischen nordkoreanischer und amerikanischer Propaganda.

Erst zwölf Stunden vorher hat Diktator Kim Jong Un (33) erneut eine Hwasong-12-Rakete von mehreren Tausend Kilometern Reichweite über Japan hinweggefeuert, obwohl die UNO gerade ihre Sanktionen verschärft hatte. Der UN-Sicherheitsrat verurteilte den Raketentest in einem Statement als "zutiefst provozierend" und forderte Pjöngjang nach einer Dringlichkeitssitzung einstimmig auf, sein "empörendes Vorgehen" sofort einzustellen.

"Krone": Herr Löw, was will Nordkorea der Welt mit seinen Raketentests eigentlich beweisen?
Raimund Löw: Wir sind ein Atomstaat! Erkennt uns endlich an wie die offiziellen Atomstaaten: USA, Russland, Frankreich, Großbritannien, Indien, Pakistan, Israel und China. Nordkorea will sagen: Wir gehören auch zu diesem exklusiven Klub und wenn ihr das nicht glaubt, werden wir es euch beweisen.

Ist Kim Jong Un ein Irrer oder spielt er nur ein sehr gefährliches Spiel?
Es hat ihn nie jemand interviewt, also kann man nur Schlüsse ziehen aus dem, wie er agiert. Das beobachten ja auch viele Geheimdienste. Kim Jong Un ist sicher ein brutaler Herrscher, und wie bei den Shakespeare'schen Königsdramen, die oft blutig ausgehen, lebt man auch in Nordkorea am gefährlichsten direkt neben dem König. Kim Jong Un hat seinen eigenen Onkel umgebracht, den Verteidigungsminister, alle potentiellen Feinde. Sein Halbbruder wurde vergiftet. Aber ich glaube nicht, dass er ein Irrer ist.

Sondern?
Ein Irrer wäre beispielsweise ein Selbstmordattentäter. Aber er bezweckt ja ganz klar etwas mit seinen Provokationen. Er will mit funktionierenden Atombomben ein Kräftegleichgewicht mit den USA sicherstellen. Denn er hat gesehen, wie es Gadafi ergangen ist. Gadafi hat auf Atomwaffen verzichtet, dafür haben die Amerikaner ihm Schutz garantiert, und ein paar Jahre später ist er gestürzt und umgebracht worden. Kim Jong Un sagt sich: Das wird mir nicht passieren.

Für wie gefährlich halten Sie seine Raketentests? Kommt ein Dritter Weltkrieg?
Sie sind wahnsinnig gefährlich, und das alles spielt sich auch in der gefährlichsten Gegend der Welt ab. An der Grenze zwischen Nordkorea und Südkorea stehen irrsinnig viele Waffen und Geschütze. Dort wird dauernd trainiert und geübt, da kann leicht etwas schiefgehen. Es ist nicht so, dass Kampfhandlungen in den nächsten Wochen die wahrscheinlichste Variante sind. Aber wenn es dort wirklich zu einem Krieg kommt, dann wird das ein riesiger, internationaler Krieg. Die Gefahr besteht, dass alle Großmächte, Amerika und  China, Russland und Japan hineingezogen werden.

Kann dieses Szenario noch verhindert werden?
Ich war Korrespondent in Peking, dort habe ich sehr oft gehört: "Bitte, warum tretet ihr Europäer in dieser Frage nicht selbstbewusster auf? Ihr habe zusammengebracht, dass ehemalige Kriegsfeinde wie Deutschland und Frankreich sich versöhnt haben. Eure Erfahrung könnte helfen, diese scharfen Gegensätze zu überwinden."

Was müsste Europa tun?
Europa könnte China unterstützen, das vorgeschlagen hat, Nordkorea solle seine Atomwaffen nicht mehr modernisieren und die USA sollten keine großen Manöver mehr machen: Denn auf seine Atomwaffen verzichten wird Nordkorea niemals. Sogar neutrale Länder wie die Schweiz könnten sich einschalten. Kim Jong Un ist ja in der Schweiz in die Schule gegangen und sollte es zu Verhandlungen kommen, dann könnten diese in der Schweiz stattfinden. Donald Trump hat ja im Wahlkampf einmal gesagt, er werde sich vielleicht einmal mit Kim Jong Un auf einen Hamburger irgendwo in der Welt treffen. Das könnte in der Schweiz sein. Trump und Kim Jong Un könnten sich aber auch in Wien auf ein Wiener Schnitzel treffen - es gibt in Wien die größte nordkoreanische Botschaft in Europa.

Und einen Ex-Bundespräsidenten, der Anfang der 70er Jahre in der nordkoreanischen Gesellschaft saß. Könnte Heinz Fischer vermitteln?
Man muss immer im Gespräch bleiben. Das Gefährlichste ist, dass es zwischen den Amerikanern und den Nordkoreanern keine Gesprächsbasis gibt. Jeder, der diese Gesprächsbasis herstellen kann, würde sich große Verdienste erwerben.

Sie sind mir jetzt ausgewichen.
Ob es auch Heinz Fischer könnte, kann ich nicht beurteilen.

Wie schätzen sie die Rolle von Donald Trump ein?
Amerika war immer berechenbar, Nordkorea unberechenbar. Die Unberechenbarkeit der größten Supermacht ist etwas Neues in dieser Welt, und sie ist sehr gefährlich.

Und was ist das Neue an Kim Jong Uns Provokationen?
Er produziert immer bessere Bomben, die technischen Fortschritte sind so groß, dass auch die amerikanischen Geheimdienste überrascht sind.

Die Angst davor, dass Atombomben irgendwann zum Einsatz kommen, ist groß. Ist sie berechtigt?
Atombomben sind die Waffen der letzten Instanz. Wenn sich ein Staat so bedroht fühlt, dass er keinen anderen Ausweg mehr sieht, dann werden sie auch zum Einsatz kommen, das ist überhaupt keine Frage.

Sie waren im März dieses Jahres in Nordkorea. Wie haben Sie das geschafft?
Durch monatelange Verhandlungen mit der Botschaft. Wenn die Botschaft das befürwortet und das Außenministerium in Pjöngjang einverstanden ist, dann gibt es eine Einladung von Pjöngjang, die sichert, dass man ins Land darf, ein Visum bekommt, dass man dort betreut wird.

Oder vielmehr bewacht, richtig?
Naja, beides. Betreut insofern, als alle Termine von Nordkorea arrangiert werden. Bewacht insofern, als wir ganz vieles nicht filmen durften. Details von Statuen zum Beispiel, U-Bahnen, Schächte, Militäreinrichtungen oder Armeeangehörige, was schwierig war, weil die Hälfte der Personen, die man auf den Straßen sieht, Soldaten sind. Da hab ich den Betreuern gesagt: "Kinder, wir wollen jetzt diesen Platz da filmen. Und da ist es unvermeidlich, dass Armeeangehörige auch zu sehen sind." Das haben sie dann erlaubt.

In der Doku des ORF-"Weltjournals" sah man, wie Sie einen Kranz niedergelegt haben. Freiwillig?
In Nordkorea muss man dem Staat Respekt zollen. Das wird erwartet und gehört zu den Regeln. Die Kranzniederlegung war also eine Formalität.

Wie geht es den Menschen im isoliertesten Land der Welt?
Es gab vor zehn Jahren eine große Hungersnot in Nordkorea, an der Tausende Menschen gestorben sind. Es gibt noch immer Mangelernährung, aber insgesamt hat es sich gebessert, was Statistiken belegen. Auch wirtschaftlich geht es dem Land besser, weil Kim Jong Un doch einige wirtschaftliche Reformen durchgeführt hat. Erstmals gibt es freie Märkte, auf denen Bauern, die in Staatsbetrieben arbeiten, Waren, die sie über den Plan herstellen, verkaufen können. Ich habe viele verhärmte Gesichter gesehen, die Leute sind arm und haben Schreckliches erlebt. Aber sie sind freundlich und interessiert.

Wissen Sie, dass sie in einem totalitären Staat leben?
Das sind Menschen wie Sie und ich. Sie gehen mit ihren Kindern an den Ufer des Flusses, um n Pjöngjang hat man das Gefühl, dass Nordkorea trotz allem ein funktionierender Staat ist. Aber natürlich stehen diese Menschen seit Jahrzehnten unter einer totalen Kontrolle, sind abgeschottet von der Welt.

Welche Nachrichten dringen zu ihnen durch?
Es kommt sehr viel an Information hinein, und zwar über China. China ist für die Menschen das Tor zur Welt. In bestimmten Teilen des Landes kommt man auch ins chinesische Handynetz. Aber die Sicht der Nordkoreaner ist natürlich sehr eingeschränkt.

Wie sehen sie die USA und den Westen?
Es wird ihnen eingetrichtert, dass das die Feinde sind, und zwar seit Jahrzehnten. Es wird ihnen eingetrichtert: Die Amerikaner werden uns morgen angreifen, jeden Augenblick kann es zum Krieg kommen, wir müssen uns wehren, wir müssen uns schützen. Da herrscht Kriegsstimmung seit Jahrzehnten. Aber die Menschen wissen natürlich, dass das Propaganda ist. Wenn man jahrzehntelang von Propaganda beschallt wird und die Szenarien treffen nie ein, dann geht es da rein und am andern Ende wieder raus. Aber das würden sie natürlich niemals zugeben.

Das Gesicht dieser Propaganda ist Nachrichtensprecherin Ri Chun Hee, die Raketentests verkündet. Was empfinden Sie als TV-Journalist, wenn Sie ihren Pathos und Überschwang sehen?
Ri Chun hee ist über 70 und eine Berühmtheit. Ihre affektierte Art wurde richtig hochgezüchtet. Sie ist das Gesicht und die Stimme totalitärer Propaganda.

Die amerikanische Botschafterin bei der UNO, Nikki Haley, hat gemeint, der nordkoreanische Machthaber bettle um Krieg. Geben Sie ihr Recht?
Nein, denn das ist wiederum amerikanische Propaganda. Kim Jong Un will nicht erobern mit seinen Waffen, er will sich selber und sein Regime so stark machen, dass ihm kein anderer Staat etwas antun kann.

Was ist Ihre Vision für Nordkorea?
Ich habe ein gewisses Vertrauen auf die menschliche Vernunft. Ich glaube nicht, dass sich so ein Staat auf Dauer halten kann. Irgendwann wird es eine Reformbewegung geben, das war ja in China auch so. Dort gab es zu Maos Zeit auch ein sehr totalitäres, diktatorisches Regime und trotzdem kam irgendwann die Wende. Es gab eine große Öffnung, und das soll man für kein Land der Welt ausschließen.

Hätten Sie Kim Jong Un gern interviewt?
Natürlich, ich habe das auch beantragt. Der Botschafter hat gelacht und gemeint: Naja, das hat es noch nie gegeben. Und wenn es jemals dazu kommen sollte, wäre CNN eher eine Option als der ORF. "Wieso?", habe ich gesagt, "der ORF ist genauso gut wie CNN, und wir sind ein neutrales Land in Europa".

Was wäre Ihre erste Frage gewesen?
Herr Kim Jong Un, was muss der Rest der Welt tun, damit Sie aufhören, alle zu bedrohen?

Gibt es nach Ihrer 40-jährigen journalistischen Karriere noch etwas, das Sie gerne machen möchten?
Ich bin Wien eigentlich sehr happy. Ich sehe den blauen Himmel, den ich in Peking wegen des Smogs nicht so oft gesehen habe, ich sehe meine Freunde und Familie, ich kann von Wien aus die internationalen politischen Zusammenhänge analysieren - übrigens seit neuestem auch in einem Podcast für die Stadtzeitung "Falter", der heißt netterweise Falter-Radio.

Keine Pläne mehr?
Doch. Ich bin mit dem ORF-Generaldirektor und der Fernsehdirektorin im Gespräch. Es geht um einen Welttalk, das soll eine internationale Talkshow werden.

Darf ich Sie noch etwas ORF-Internes fragen?
Sie dürfen alles fragen.

Es gab zuletzt eine heftige Diskussion darüber, ob ein Naheverhältnis eines Journalisten mit einem Politiker - namentlich Tarek Leitner und Christian Kern - mit der Unabhängigkeit des ORF vereinbar sei. War das eine legitime Diskussion?
Jeder ORF-Journalist kann kritisiert werden, wenn er einseitig berichtet oder nicht objektiv ist. Aber es kommt darauf an, was auf Sendung ist! Was man privat tut, ist aus meiner Sicht eine Angelegenheit, die nur einen selbst etwas angeht. Warum es ein Problem sein soll, wenn jemand vor Jahren mit jemand anderem auf Urlaub war, kann ich nicht nachvollziehen.

Zur Person
Geboren am 18. Dezember 1951 in Wien. Der Historiker und Publizist war ORF-Korrespondent in Moskau, Washington, Brüssel und Peking. Im März dieses Jahres recherchierte er eine Woche lang im isoliertesten Staat der Welt - seine Nordkorea-Doku lief im "Weltjournal". Ausgezeichnet mit dem Axel-Corti-Preis, außenpolitischer Journalist des Jahres 2011. Verheiratet mit der Psychologin Dr. Kerstin Witt-Löw, zwei erwachsene Töchter.

Conny Bischofberger, Kronen Zeitung/krone.at

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