"GAU" bei Gegnern

ÖVP und Grüne zerknirscht über leere Bänke

Österreich
13.09.2008 23:06
Am schärfsten hatten sie die von SPÖ und FPÖ geforderte Halbierung der Mehrwertssteuer auf Lebensmittel kritisiert. Doch beim Sitzungsmarathon im Nationalrat am Freitag geschah der "GAU", wie Alexander Van der Bellen die umstrittene Maßnahme bezeichnete, bei ÖVP und Grünen selbst: Etliche Abgeordnete saßen bei der Abstimmung, als das BZÖ überraschend gegen die SPÖ votierte, nicht auf der Bank und verschenkten einen Sieg für ihre Fraktionen. Eva Glawischnig gab sich am Samstag zerknirscht, ÖVP-Klubobmann Schüssel sprach von einem "poltischen Bazar", "Österreich kann sich warm anziehen". Er empörte sich auch über einen von SPÖ, FPÖ und BZÖ eingebrachten "Fristsetzer", der für künftige EU-Veträge zwingend Volksabstimmungen vorsieht.

Das "ÖVP-Grüne-Drama": Bei der Abstimmung über den Fristsetzungantrag, durch den die umstrittene Anti-Teuerungsmaßnahme jetzt bei der letzten Nationalratssitzung am 24. September zum Gesetz werden kann, stimmte das BZÖ gegen die SPÖ. Rot-Blau alleine hätten eigentlich keine Mehrheit. Doch weil einige Schwarze und Grüne Abgeordnete nicht auf der Bank saßen, waren zu wenige Gegner im Saal. SPÖ und FPÖ hatten mit 83 zu 80 Parlamentariern plötzlich genug Stimmen für eine Annahme des Antrags. Bis zur Abstimmung am 24. September hat SPÖ-Chef Werner Faymann nun theoretisch noch Zeit, die Orangen wieder zu sich ins Boot zu holen und die meistkritisierte Maßnahme seines Fünf-Punkte-Pakets durchzusetzen.

Mehr über den Sitzungmarathon und die Flut an angenommen Anträgen findest du im Bericht in der Infobox!

Die stellvertretende Bundessprecherin der Grünen, Eva Glawischnig, zeigte sich am Samstag über das Fehlen der Abgeordneten ihrer Fraktion zerknirscht. Der Antrag, dessen Inhalt von Parteichef Alexander Van der Bellen als "GAU - größter anzunehmender Unsinn" bezeichnet worden war, fand eine Mehrheit, die zu verhindern gewesen wäre, so Glawischnig. Sie stellte zu dem Abstimmungsergebnis mit unglücklichem Gesicht fest: "So ist es." Es sei völlig überraschend gewesen, dass das BZÖ vor der Abstimmung die Seiten gewechselt habe. Sie selbst habe in ihrer Funktion als Dritte Nationalratspräsidentin den Vorsitz geführt und nicht mitstimmen können - "das wäre eine Stimme mehr gewesen". Weiters hätten die Grünen keinen Klubdirektor, der die Abgeordneten "hereintreibe". Dazu sei gekommen, dass auch Abgeordnete der ÖVP bei der Abstimmung nicht im Saal gewesen seien. So sei die mögliche Ablehnung nicht zustande gekommen. Es hätte die SPÖ aber auch bei einer Ablehnung des Antrages noch andere parlamentarische Möglichkeiten gehabt, das Thema 24. September einzubringen, meinte Glawischnig.

Es gebe eben im Parlament einen "Lernbedarf" mit freien Mehrheiten. Mit diesen könnten sich aber nun auch gute Vorschläge durchsetzen, stellte Glawischnig fest. Als positiv werteten sie und die oberösterreichische Abgeordnete Ruperta Lichtenecker, dass die Abschaffung der Studiengebühren so gut wie beschlossen sei. Erfreulich seien für die Grünen auch Beschlüsse für "Ökopaket" mit Gratis-Benützung von öffentlichen Verkehrsmitteln für junge Menschen, für ein Kesseltauschprogramm, bei dem der Wechsel zur Gänze vom Staat vorfinanziert werde, die eine Hälfte geschenkt und die andere durch die geringeren Heizkosten finanziert werde, sowie für ein einkommensabhängiges Familiengeld.

Grimmiger Schüssel: "Politischer Bazar"
ÖVP-Klubobmann Wolfgang Schüssel hat sich am "Tag danach" weniger über seine fehlenden Abgeordneten, denn über den "politischen Bazar" der anderen Fraktionen empört. Es habe sich fast abgespielt wie im Kasino, "jeder hat seine Jetons eingeworfen"; addiere man man die Kosten der einzelnen Forderungen zusammen, kämen Milliardenbeiträge heraus, so Schüssel, der angeblich nach dem angenommenen MwSt-Senkungs-Antrag einem Wutausbruch nahegewesen sein soll. Dass der Fristsetzungsantrag nur dank dem Fehlen von ÖVP- und Grün-Abgeordneten eine Mehrheit bekommen hatte, ist für Schüssel zwar "unangenehm", aber "nicht entscheidend".

Einmal mehr erregte sich der Ex-Kanzler dafür über das gänzliche Fernbleiben der SPÖ-Regierungsmitglieder zu Beginn der Dringlichen Anfrage an Wirtschaftsminister Martin Bartenstein zum Thema Teuerung (siehe Bericht zum Sitzungsmarathon in der Infobox). Dies sei "denkwürdig in sehr negativem Sinn". Dass SP-Chef Werner Faymann und Sozialminister Erwin Buchinger erst durch Beschluss der Abgeordneten herbeizitiert werden haben müssen - und außerdem eine Reihe Abgeordneter gefehlt habe, habe auch die Bedenken der ÖVP bestätigt, dass man "nicht in weniger als 48 Stunden eine so wichtige Sitzung einberufen kann".

"Faymann bringt vergiftete Wahlzuckerl unters Volk"
Mit der Absegnung der mehr als zwei Dutzend Fristsetzungsanträge sei sichtbar geworden, dass jetzt eine Steuersenkung unmöglich ist. "damit ist jede Form einer seriösen wirksamen Steuerentlastung unrealistisch", so Schüssel. Die Hauptschuld dafür machte er beim scheidenden Koalitionspartner aus: Faymann habe mit "diesem Bazar die Büchse der Pandora geöffnet" und "vergiftete Wahlzuckerln" unters Volk geworfen, so Schüssel. Er finde dieses Verhalten "in hohem Maße verantwortungslos". Gleichzeitig verwies der VP-Klubchef darauf, dass inhaltlich noch nichts beschlossen worden ist: "Die entscheidende Stunde ist dann am 24. September“. Erst dann, bei der letzten Nationalratssitzung vier Tage vor der Nationalratswahl, wird über die Inhalte der Anträge abgestimmt; am Freitag wurde per Fristsetzung ja lediglich deren Behandlung am 24. September ermöglicht.

SPÖ: Cap ortet "künstliche Aufregung"
SPÖ-Klubobmann Josef Cap hält indes die Empörung der ÖVP über die zahlreichen abgesegneten Fristsetzungsanträge sowie dem anfänglichen Fernbleiben aller SPÖ-Regierungsmitglieder bei der Sondersitzung für „künstliche Aufregung“. Offenbar wolle die ÖVP damit „von ihrem Abstimmungsdebakel bei der dringend notwendigen Senkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel ablenken“, meinte der Klubchef am Samstag. Denn die ÖVP sollte wissen, dass bei der Beantwortung einer Dringlichen Anfrage zwar der betroffene Minister anwesend sein muss. „Völlig unüblich“ sei es allerdings, dass die komplette Regierungsbank besetzt ist. Außerdem sei die „Polemik der ÖVP“ auch deshalb „völlig fehl am Platz“, weil sich gezeigt habe, „dass viele ÖVP-Minister durch Abwesenheit glänzten“. Er frage sich, ob „dieser ÖVP-Exodus“ vielleicht auch mit dem Ende der Fernsehübertragung zusammengehangen habe. Vizekanzler Molterer verließ ja nach 17 Uhr die Sitzung - er reiste allerdings zum Treffen der EU-Finanzminister in Nizza. Faktum sei, so Cap, dass sowohl SPÖ-Chef Werner Faymann wie auch Sozialminister Erwin Buchinger bis zum Ende „selbstverständlich auf der Regierungsbank waren“, während die ÖVP-Bänke großteils leergeblieben seien.

Schüssel empört über EU-Volksabstimmungs-Antrag
Empört zeigte sich Schüssel auch über einen gemeinsamen Fristsetzungsantrag von SPÖ, FPÖ und BZÖ betreffend einer Änderung der Bundesverfassung. Laut Schüssel würde dieser Antrag vorsehen, dass wesentliche EU-Verträge zwingend einer Volksabstimmung unterzogen werden müssen. Dies würde aber etwa auch jeden Beitritt eines neuen Landes betreffen, so der Klubobmann. Dies sei "in einem unglaublichen Ausmaß verantwortungslos". Dass sich die SPÖ dafür hergegeben habe, fasse man nicht. Schüssel sprach von einer "rot-blauen Regie, da das sehr präzise durchgezogen hat". "Das werden noch sehr bittere Momente werden, wenn das Wirklichkeit werden sollte, da kann sich Österreich warm anziehen", so Schüssel.

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