Beweise sind Luft

Jersey: Polizei stellt Mordermittlungen ein

Ausland
12.11.2008 21:19
Spektakuläre Wende bei den Ermittlungen rund um das sogenannte "Heim des Grauens" auf der britischen Kanalinsel Jersey: Nach neuen Erkenntnissen der Polizei sind dort nämlich Kinder weder umgebracht noch in Folterkellern misshandelt worden. Die im Keller gefundenen Knochen und Zähne stammten von Tieren oder seien mehrere hundert Jahre alt, sagte der neue Chefermittler, David Warcup, am Mittwoch in Jersey. Sein Vorgänger dürfte sich bei den Ermittlungen wohl zu stark auf seine Phantasie verlassen haben. Unter anderem wurde eine alte Kokosnuss von den Ermittlern als Schädeldecke (siehe kleines Foto) eingestuft. Die Beweise für angebliche Folterräume haben sich bei näherer Betrachtung in Luft aufgelöst.

Die Polizei werde aber weiterhin den Berichten über Missbrauch und Folter seit den 60er Jahren nachgehen, versicherte Warcup. Gleichzeitig entschuldigte er sich für falsche Informationen seines Vorgängers Lenny Harper, der die mehr als 4,9 Millionen Euro teuren Ermittlungen bis zu seinem Ruhestand im August geleitet hatte. Dessen damaliger Chef, Graham Power, wurde am Mittwoch von seinen Pflichten entbunden.

Nach ersten Knochenfunden im Keller war das ehemalige Kinderheim "Haut de la Garenne" weltweit schnell als Schauplatz brutaler Kindesmisshandlungen in die Schlagzeilen geraten. Dass alles heile Welt ist, bedeuten die neuen Erkenntnisse noch lange nicht. Doch ein Teil der Zeugenberichte wird zu überdenken sein. 

Fußfesseln - oder doch nur ein rostiges Stück Metall?
Bis zu 150 frühere Heimbewohner hatten während der Ermittlungen von regelmäßigen Sex-und Saufgelagen der Heimangestellten, bei denen Mädchen und Buben vergewaltigt, gefoltert, ausgepeitscht oder in kaltes Wasser getaucht worden wären, berichtet. Als dann die Ermittler von fünf oder sechs Kindern sprachen, die im Keller umgebracht und deren Leichen zerstückelt worden sein könnten, nahmen die Behörden das ganze Heim und einen nahe gelegenen Bunker bis auf die Grundmauern unter die Lupe.

Die neuen Erkenntnisse sind für den früheren Chefermittler Harper ein Schlag ins Gesicht: Keine Morde, keine Folterkeller, kein Kind wurde umgebracht, zerstückelt oder verscharrt. Ein angeblicher Schädel entpuppte sich als Kokosnuss-Schale aus viktorianischer Zeit. Die meisten anderen Knochen stammten von Tieren, ein paar Menschenknochen wurden auf eine Zeit datiert, in der es das Kinderheim noch gar nicht gab. Die angeblichen Folterkammern waren einfach Keller oder Hohlräume unter dem Fußboden, und eine Fußfessel war nichts weiter als ein rostiges Stück Metall, an dem nichts Verdächtiges gefunden werden konnte.

Untersuchungen zu Zeugenberichten gehen weiter
Trotz der deutlichen Worte hielt sich der neue Ermittler Warcup mit zu harscher Kritik an seinem Vorgänger Harper zurück: "Ich bin kein Richter, kein Geschworener, kein Scharfrichter - ich möchte niemandem die Schuld zuschieben." Er wolle vielmehr klarstellen, dass es keine Mordermittlungen mehr gebe. Die Untersuchung wegen der Missbrauchsvorwürfe gingen aber weiter. Der frühere Ermittler Harper verteidigte sich dafür, dass er der Öffentlichkeit von seinem Mordverdacht erzählt hatte. "Wenn wir Knochenteile und Zähne in einem Gebäude finden, in dem wir wegen Kindesmissbrauchs ermitteln, was erwarten die Menschen dann? Hätten wir das ignorieren sollen? Keine Polizei im Land hätte das verschwiegen."

Die meisten der ehemaligen Heimbewohner, die die Foltervorwürfe erhoben hatten, haben die Insel vor der nordfranzösischen Küste, auf der heute fast 100.000 Menschen leben, längst verlassen. Mutmaßliche Opfer der Schänder meldeten sich aus Großbritannien und Frankreich, anderen europäischen Ländern und auch aus weit entfernten Ecken der Welt. Bisher sind wegen der Vorwürfe drei Männer angeklagt worden.

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