Gefangen im Gebirge

Weiblicher Robinson Crusoe in den Alpen: “Die Wand”

Kino
29.09.2012 17:00
In der Verfilmung eines der berühmtesten Romane der deutschsprachigen Literatur, "Die Wand" (Kinostart: 5. Oktober), brilliert Martina Gedeck ("Das Leben der Anderen") als weiblicher Robinson Crusoe vor der pittoresken Kulisse österreichischer Gebirgslandschaften.

Eine Frau. Ein Hund. Wildnis und Wahrnehmung. Und ein unüberwindbares Hindernis, das die namenlos bleibende Protagonistin zu gläsern umstellter Einsamkeit und nacktem Überlebenskampf verdammt. Eine Wand, die das älplerische Idyll, in das sie ein Ausflug geführt hatte, unsichtbar umschließt. Wie ein Falter, der gegen eine Fensterscheibe taumelt, war sie mit der Stirn dagegen geprallt: "Mein Herz hatte sich schon gefürchtet, ehe ich es wusste..."

1963 erschienen, verfasst von der österreichischen Schriftstellerin Marlen Haushofer (1920-1970), zählt die titelgebende Romanvorlage längst zu den ganz großen Würfen des literarischen Schaffens dieser Autorin, deren originelle Utopie über die Unabwendbarkeit eines traumatischen Ereignisses, gepaart mit dem Verschwinden aller Mitmenschen, längst auf einer Stufe mit Hermann Hesses "Steppenwolf" rangiert. "Die Wand" wurde in 19 Sprachen übersetzt und hat auch rund 50 Jahre nach seiner Erstauflage nichts an Aktualität eingebüßt.

Zeitgenössische Leser nähern sich dem verstörenden Szenario über eine zivilisationskritische Rezeption des Stoffes, der lange Zeit als unverfilmbar galt - ein cineastisches Wagnis, das nun Regisseur Julian Roman Pölsler auf sich nahm. Mit Bravour. Marlen Haushofer selbst umschrieb ihr Werk zu Lebzeiten - sie wurde nur fünfzig Jahre alt - wie folgt: "... jene Wand, die ich meine, ist eigentlich ein seelischer Zustand, der nach außenhin plötzlich sichtbar wird, Haben wir nicht überall Wände aufgerichtet? Trägt nicht jeder von uns eine Wand aus Vorurteilen vor sich her?"

Gefangen im eigenen Ich
Eine Wand auch als Metapher für das Gefangensein im eigenen Ich. Und ein wahnsinnig schwieriger Part, der im trüben Urgrund der Psyche fischt, dort, wo uneingestandene Ängste lauern. Wie sich Martina Gedeck, eine der großen Schauspielerinnen Deutschlands, die mit ihrer Rolle im Oscar-Gewinner "Das Leben der Anderen" oder als Ulrike Meinhof in "Der Baader Meinhof Komplex" internationales Augenmerk auf sich zog, dieser darstellerischen Tour de Force, die faktisch eine "One-Woman-Show" ist, ausliefert, wie sie mit der sie umgebenden Natur verwächst, die ihr zugelaufenen Tiere zu ihrer "Familie" macht, zeugt von mimischer Meisterschaft.

Das Paar, das die Frau auf die Jagdhütte mitgenommen hatte, war nach einem abendlichen Dorfbesuch nicht zurückgekehrt. Nur dessen Hund "Luchs". Und auch er war wenig später mit blutender Schnauze vor etwas zurückgewichen. Da hatte sich die Frau schon auf den Weg gemacht, um nach den Beiden zu suchen. Und war plötzlich angestoßen. An ihre Grenzen gestoßen... Denn es gab kein Weiterkommen, kein Entkommen mehr. Jenseits dieser Barriere war die Natur wie immer, imposant und trügerisch. Doch alles Leben war ausgelöscht. Ein verstörendes Stillleben aus erstarrten Menschen und Tieren.

Mit Glaswand gearbeitet
Regisseur Pölsner: "'Die Wand' erzählt vom individuellen Wandlungsprozess einer Frau, die durch ein unerklärliches Phänomen gezwungen wird, mit ihrem gewohnten Leben zu brechen und in einer fremden unwirtlichen Welt zu überleben." Gedreht wurde im Raum Gosau am Dachstein, im oberösterreichischen Salzkammergut, wobei der Wandel der Jahreszeiten den Film nachhaltig prägt. Sommeralmenlicht, das sich mit Wildkräuterdunst vermählt, herbstliches Fichtenbrausen, Winterstarre. Zudem wurde vor den theatralischen Naturkulissen mit einer großen Glaswand gearbeitet, die aufwendig hin und her bewegt - und ständig geputzt werden musste.

Ein besonderer Glücksgriff war "Luchs", ein bayerischer Gebirgsschweißhund, der als Gefährte und Seelenfreund der isolierten Hauptfigur eine zentrale Rolle spielt - und eine natürliche Treue gegenüber der Schauspielerin Martina Gedeck entwickelte. Gedeck: "Der 'Luchs' hat auf mich geachtet und ich auf ihn. Wir beide sind einen Pakt mit den Urkräften der Natur eingegangen. Die 'Wand' steht für mich für eine Krise, eine Depression, eine Krankheit, eine innere Verlorenheit, bietet also auch die Chance für einen Neuanfang."

Marlen Haushofer wurde für ihren Roman "Die Wand" mit dem Arthur-Schnitzler-Preis ausgezeichnet. Niemals hat sie den Spiegel vor ihrem eigenen Blick verhängt. Martina Gedeck transportiert ihre Wahrhaftigkeit.

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