Aktenweitergabe

ÖVP fordert Entscheidung für Schiedsstelle

Österreich
19.04.2008 12:25
Anlässlich des Wirbels um die Veröffentlichung von Unterlagen mit teils brisantem Inhalt im Fall Natascha Kampusch fordert die ÖVP eine rasche Entscheidung in Sachen Aktenübermittlung im Innenministerium-Untersuchungsausschuss - und zwar eine Entscheidung für die von der ÖVP vorgeschlagene Schiedsstelle. "Ich fordere Nationalratspräsidentin Barbara Prammer ultimativ auf, diese Schiedsstelle einzusetzen", sagte ÖVP-Generalsekretär Hannes Missethon.

Einen konkreten Ablauftermin für das Ultimatum nannte er nicht, der "Logik" des Ausschusses folgend sei aber der kommende Dienstag - wenn er das nächste Mal tagt - naheliegend. Welche Schritte die ÖVP zu unternehmen gedenkt, wenn der Forderung nicht nachgekommen wird, führte Missethon vorerst nicht aus.

Innenminister Günther Platter (ÖVP) weigert sich aus Datenschutzgründen, die Akten ohne weitere Prüfung ans Parlament zu schicken. Aktuell liegt sein Vorhaben auf dem Tisch, den früheren Rechnungshof-Präsidenten Franz Fiedler und den Leiter der Finanzprokuratur, Wolfgang Peschorn, mit der Untersuchung jener Akten, die dem U-Ausschuss zur Verfügung gestellt werden, zu beauftragen. Bei den übrigen Fraktionen war dies bisher auf wenig Gegenliebe gestoßen, Nationalratspräsidentin Prammer (SPÖ) hatte eine Schiedsstelle zuletzt aber als "denkbar" bezeichnet.

Forderung nach "Dichtheit im System"
Missethon verlangt "Dichtheit im System" Parlament, die Nationalratspräsidentin und der Ausschussvorsitzende Peter Fichtenbauer (FPÖ) seien dafür verantwortlich. "Wir haben immer dafür plädiert, Daten sehr selektiv weiterzugeben. Das ist mit der Vorgangsweise, die das Parlament gewählt wurde, offensichtlich nicht sichergestellt worden", bekräftigt er die Linie der ÖVP, die sich nach dem Auftauchen von Teilen des Kampusch-Aktes in Medien in ihrer Haltung bestätigt sieht. "Die Hemmschwelle, Daten weiterzugeben, ist bei manchen Personen niedrig." Prammer hatte zuvor versichert, im Parlament habe man "alles getan, um die Sicherheit zu gewährleisten".

Natascha Kampusch: "Bin entsetzt"
"Ich bin entsetzt, dass diese vertraulichen Akten in die Öffentlichkeit gelangen konnten. Ich möchte bedingungslose Aufklärung darüber, wer diese Indiskretion zu verantworten hat." So reagierte Natascha Kampusch am Freitag in einer Stellungnahme auf den Bericht in der Wiener Gratiszeitung "Heute", die Unterlagen aus dem Akt zum Fall des Entführungsopfers veröffentlicht und dabei über sehr persönliche Details aus der Zeit von Kampuschs Gefangenschaft berichtet hatte. Kampuschs Anwalt Gerald Ganzger hat wenig überraschend "medienrechtliche Anträge" gegen "Heute" angekündigt.

Darüber hinaus wollen Kampusch und ihr Anwalt eine Sachverhaltsdarstellung wegen des Verdachts des Bruchs der Amtsverschwiegenheit gegen unbekannte Täter einbringen. Die aktuelle Berichterstattung markiere einen "Tiefpunkt des österreichischen Journalismus", so Kampusch. Die persönlichen Belange von Frau Kampusch würden niemanden etwas angehen, sofern kein Interesse der Ermittlungsbehörden daran bestehe. Und das Gericht sei bereits 2006 zur Erkenntnis gelangt, die Untersuchung bezüglich Komplizen einzustellen.

"Es gibt keinen Hinweis auf Mittäter. Priklopil war auch laut Psychogramm der Ermittlungsbehörden ein Einzeltäter. Frau Kampusch hat keine Kenntnis von Mittätern", hieß es in der Stellungnahme weiter. Es sei erschütternd, dass hier offensichtlich vertrauliche Akten bzw. Akteninhalte Medienvertretern zugespielt worden seien. Es liege der Verdacht nahe, dass hier auch ein Fall von Bruch der Amtsverschwiegenheit vorliege.

Heftige Kritik an U-Ausschuss: "Das ist Irrsinn"
Heftige Kritik richtete Ganzger in diesem Zusammenhang gegen den parlamentarischen Untersuchungsausschuss: "Faktum ist, dass die Akteninhalte bisher nur einem sehr kleinen Personenkreis in Polizei und Justiz bekannt waren." Das habe sich mit dem Übermitteln an den U-Ausschuss geändert. "Man muss sich das vorstellen: Der Untersuchungsausschuss, der Brüche der Amtsverschwiegenheit zu untersuchen hat, beginnt - zumindest zeitlich - mit einem Bruch der Amtsverschwiegenheit", sagte Ganzger. "Das ist Irrsinn." Er würde dem Ausschussvorsitzenden Fichtenbauer "dringend" empfehlen, gegen solche Vorkommnisse vorzugehen.

Zahlreiche persönliche Details aufgetaucht
Ausgenommen wurde zwar das Einvernahmeprotokoll von Kampusch, nicht aber die am Freitag von der Tageszeitung "Heute" zitierte Aktennotiz. "Heute" hat aus den Protokollen eines Arztes und einer Polizistin vom ersten Tag nach Kampuschs Flucht zitiert und dabei über sehr persönliche Details aus der Zeit von ihre Gefangenschaft berichtet - spekuliert wurde über Missbrauchsvideos und eine mögliche Schwangerschaft Kampuschs.

"Heute": "Haben aufgedeckt, was nicht ermittelt wurde"
"Heute"-Chefredakteur Richard Schmitt hat ebenfalls am Freitag zu den Vorwürfen Stellung bezogen: "Wir sehen es als unsere Pflicht, wenn wir Unterlagen von strafrechtlicher Bedeutung zugespielt bekommen, diese auch zu veröffentlichen. Strafrecht geht für mich klar vor Medienrecht und Persönlichkeitsschutz", sagte Schmitt.

"Ich sehe es prinzipiell als journalistische Aufgabe, wenn man Infos bekommt, die die Öffentlichkeit nicht kennt, diese aufzuzeigen. Wir haben aufgedeckt, was nicht ermittelt worden ist", so Schmitt. "Hätte man einem Worm vorgeworfen, dass er Lucona aufgedeckt hat?", fragte er. "Und da waren auch Personen beteiligt." Natascha Kampusch sei Opfer und werde immer Opfer bleiben, "was mir auch sehr leid tut", betonte Schmitt.

Kampusch selbst für "öffentliches Interesse" verantwortlich
"Uns war bewusst, dass das eine hochsensible Angelegenheit ist. Wir haben es uns auch nicht leicht gemacht und haben eine Woche lang überlegt. Bei niemand anderem wären wir wahrscheinlich derart sensibel vorgegangen. Andererseits muss man sich auch vor Augen halten, dass Kampusch drei bis vier Interviewserien gemacht hat und bald eine eigene Talkshow haben wird. Wer sich absichtlich in die Öffentlichkeit stellt, muss sich auch bewusst sein, dass es ein großes öffentliches Interesse gibt", so der "Heute"-Chefredakteur.

Undichter Stelle drohen drei Jahre Haft
Wegen der Aktenweitergabe ermittelt nun die Staatsanwaltschaft wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses. Wie der Sprecher der Staatsanwaltschaft Wien, Gerhard Jarosch, am Freitag sagte, sei aber noch nicht abschätzbar, wie groß der Kreis der möglichen Verdächtigen ist. Sollte die undichte Stelle gefunden werden, drohen jedenfalls bis zu drei Jahre Haft. Vorsitzender Fichtenbauer schließt aber aus, dass es eine undichte Stelle im Ausschuss gebe (siehe Infobox). Die ÖVP sieht hingegen ihre Bedenken gegen den Ausschuss bestätigt.

Wieviele Personen Zugriff auf die Kampusch-Akten hatten, sei laut Jarosch schwer einzugrenzen. Der Originalakt des Wiener Straflandesgerichtes (Aktenzahl 222 UR 59/03-K) wurde jedenfalls am 28. März an den parlamentarischen Untersuchungsausschuss weitergegeben, sagte Sprecherin Alexandra Mathes.

Zutritt zum Aktendepot im Lokal V haben nicht nur die 17 Mitglieder des Untersuchungsausschusses, sondern auch die Ersatzmitglieder, die mit dem U-Ausschuss befassten Mitarbeiter der Parlamentsklubs sowie die Mitarbeiter der Parlamentsdirektion. Wie viele Personen das insgesamt sind, war im Parlament vorerst nicht in Erfahrung zu bringen. Ausschuss-Vorsitzender Fichtenbauer betonte jedoch, dass die Arbeit im Aktendepot streng überwacht werde und dass kopierte Akten mittels Wasserzeichen gesichert werden.

Da in den Storypostings vermehrt teils massive Verstöße gegen die Netiquette stattfanden bzw. der krone.at-Redaktion von Usern gemeldet wurden und keine sinnvolle Diskussion mehr möglich war, sahen wir uns gezwungen, die Kommentar-Funktion bis auf Weiteres zu deaktivieren.

Loading...
00:00 / 00:00
play_arrow
close
expand_more
Loading...
replay_10
skip_previous
play_arrow
skip_next
forward_10
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
explore
Neue "Stories" entdecken
Beta
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.



Kostenlose Spiele