Schul-Massaker

Gerüchte um neue Amokläufe schüren Angst

Ausland
09.11.2007 14:16
An mehreren finnischen Schulen haben am Freitag Gerüchte über bevorstehende weitere Amokläufe die Runde gemacht und für Angst unter Jugendlichen und Lehrern gesorgt. Die Polizei beurteilte die Angaben über im Internet kursierende Drohungen zwar als "gegenstandslos", bestätigte aber, dass mindestens zwei Schulen im Großraum Helsinki von Drohungen betroffen sind.

Die Unterstufe einer Gesamtschule in Kirkkonummi westlich von Helsinki gab ihren Schüler den Tag frei. Laut Medienberichten wurde eine zweite Schule in Hyrylä in der Gemeinde Tuusula - unweit von Jokela, wo sich der Amoklauf vom Mittwoch ergeignete - nach angeblichen Drohungen von der Polizei durchsucht beziehungsweise sogar umstellt. Die frenetisch um Deeskalation bemühte Behörde gab wiederum an, lediglich eine Beamten-Patrouille zur Beruhigung der Situation entsandt zu haben.

Finnische Ärzteschaft kritisiert Polizei
Indes ist auch Kritik am Umgang mit Informationen durch die Polizei laut geworden. Der leitende Chefarzt an der Töölö-Klinik im 50 Kilometer von der Schule entfernten Helsinki beschuldigt die Polizei, am Tag des Amoklaufs wichtige Informationen wie die Anzahl der Opfer zu lange zurückgehalten und damit die Arbeit der Ärzte erheblich erschwert zu haben. Die Polizei räumte "Mängel in der Kommunikation" ein.

Chefarzt Eero Hirvensalo bemängelte neben den über Stunden hinweg ausstehenden offiziellen Informationen über die Anzahl der Toten und Verletzten auch das Fehlen einer klaren Kompetenzverteilung hinsichtlich der Herausgabe von Informationen zwischen Polizei und Krankenhäusern. Die Polizei habe durch ihr langes Schweigen das Entstehen von teilweise falschen Gerüchten begünstigt, so Hirvensalo.

Einsatzleiter Tero Haapala von der finnischen Kripo räumte am Freitagvormittag ein, die Handhabung von Informationen durch die Polizei sei "teilweise mangelhaft" gewesen. In Zukunft müsse dafür gesorgt werden, dass korrekte Information schneller herausgegeben werden. Gleichzeitig verwies Haapala auf den Vorrang des Interesses der betroffenen Angehörigen.

Fehlende Infos nährten falsche Gerüchte
Im Nachhinein hatte sich herausgestellt, dass die Polizei den Amokschützen bereits um 13.53 Uhr mit einem Kopfschuss auf einer Toilette des Schulgebäudes gefunden hatte und die meisten der Opfer bereits davor. Den ganzen Nachmittag über blieb die Polizei bei ihrer Information, es gebe vorerst nur ein Todesopfer. Bis zum Bekanntwerden des wahren Umfangs der Tragödie in der Öffentlichkeit verstrichen insgesamt vier Stunden. Währenddessen kursierten mehrere Versionen über Anzahl und Identität der Opfer in den Medien.

Täter plante weit größeres Massaker

Jener 18-jährige Finne, der am Mittwoch in seiner Schule acht Menschen tötete, hatte offenbar ein weit größeres Massaker geplant. Pekka-Eric Auvinen habe bei der Bluttat am Mittwoch 500 Patronen bei sich gehabt, teilte die Polizei am Donnerstag mit. Am Tatort seien 69 Patronenhülsen gefunden worden. Außerdem habe er eine brennbare Flüssigkeit bei sich gehabt, die er mehrmals zu entzünden versuchte. Die Ermittler stellten auch einen Abschiedsbrief des Täters sicher, in dem dieser laut Polizeiangaben seinen Selbstmord ankündigte.

In Finnland herrschte am Donnerstag Staatstrauer. Vor der Jokela-Schule in Tuusula legten die Menschen Blumen und Kränze nieder und stellten Kerzen auf. Auvinen erschoss bei seinem Amoklauf am Mittwoch die Direktorin der Schule, die Schulkrankenschwester, eine 25-jährige Erwachsenen-Schülerin und fünf Burschen im Alter zwischen 16 und 18 Jahren. Alle Leichen wiesen mehrere Schusswunden auf, alle Opfer seien zum Zeitpunkt ihrer Einlieferung ins Krankenhaus bereits tot gewesen, so die Polizei.

Verletzte aus dem Krankenhaus entlassen
Die bei dem Blutbad in der Schule verletzten zwölz Menschen wurden unterdessen aus dem Krankenhaus entlassen. Die meisten von ihnen hatten sich Schnittwunden bei dem Versuch zugezogen, dem Kugelhagel durch einen Sprung aus dem Fenster zu entkommen. Auvinen richtete nach der Tat die Waffe gegen sich selbst und erlag am Mittwochabend seinen Verletzungen.

Der Amokläufer kündigte seine Bluttat vor dem Massaker mehrfach im Internet an. Ein Hinweis des Schülers mit "Angriffs-Informationen" erschien Mittwoch früh im Internet-Portal YouTube. Hier heißt es: "Ziel: Jokela-Gymnasium, Schüler und Institut, Gesellschaft, Menschheit, menschliche Rasse... Angriffsweise: Massenmord, politischer Terrorismus." Obwohl er die Schule als Ziel ausgewählt habe, wolle er nicht, dass das Massaker einfach "Schul-Schießerei" genannt werde, forderte Auvinen. Seine Motive seien politisch und seien "viel viel tiefsinniger". Die Nachricht wurde einige Stunden nach der Bluttat von der Website entfernt.

Täter kündigte Massaker auf YouTube an
Bereits am Vortag hatte der Schüler ein Video mit dem Titel "Jokela High School Massacre - 7/11/2007" unter dem deutschsprachigen Pseudonym "Sturmgeist89" auf YouTube veröffentlicht. Darin ist das das Gymnasium zu sehen, und dann ein blutrot eingefärbtes Fotos des Schülers, wie er eine Waffe auf die Kamera richtet.

Offenbar habe Auvinen seine Opfer willkürlich niedergeschossen und versucht, so viele Menschen wie möglich zu töten, sagte ein Polizeisprecher der finnischen Nachrichtenagentur STT: "Es gibt Hinweise darauf, dass es - wenn er schon etwas tat - etwas Großes sein musste." Einem Beamten der Cybercrime-Einheit der finnischen Kripo zufolge ist es wahrscheinlich, dass Auvinen mit dem 14-jährigen Dillon Cossey über Internet in Verbindung war. Cossey wurde im Oktober unter dem Verdacht festgenommen, ein Schulmassaker in Philadelphia im US-Bundesstaat Pennylvania geplant zu haben.

Amokläufer war Außenseiter
Der finnische Amokschütze kam nach Polizeiangaben aus einer "normalen" Familie, er habe mit seinen Eltern und einem Bruder zusammengelebt und sei bisher nicht straffällig geworden. Beide Eltern sind hobbymäßige Musiker, vermutlich komponierte auch der Täter selbst elektronische Musik.

Schulkameraden berichteten, Auvinen habe Antidepressiva eingenommen, er sei in der Schule als Außenseiter angesehen worden und vielfach gemobbt worden. Er sei eine intelligente, komplexe Persönlichkeit gewesen, den Waffen, Kriegsspiele am Computer und revolutionäres Gedankengut aller Art fasziniert hätten. Aus seiner Bewunderung für Hitler und Stalin habe er keinen Hehl gemacht.

Schule bis Ende der Woche geschlossen
In Tuusula versperrten Sicherheitskräfte am Donnerstag den Eingang zu dem Schulgebäude, das von rund 450 Schülern besucht wird. Die Schule soll bis Ende der Woche geschlossen bleiben. Hannu Joensivu, Bürgermeister von Tuusula, sagte, die Stadt werde für immer Narben davontragen. Im ganzen Land wehten die Fahnen auf Halbmast. Die 30.000-Einwohner-Stadt liegt rund 50 Kilometer nördlich der Hauptstadt Helsinki.

Es handelte sich um den bisher folgenschwersten Amoklauf dieser Art in der Geschichte des skandinavischen Landes. Finnland mit seinen rund 5,4 Millionen Einwohner hat traditionell eine sehr niedrige Kriminalitätsrate.

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