Liebe Natascha

Ludwig Koch schreibt an Tochter Natascha

Österreich
22.08.2007 17:22
Ludwig Koch sieht seine Tochter Natascha Kampusch derzeit nur noch im Fernsehen. In der „Krone“ schreibt er, wie er die Doku miterlebte und die Anschuldigungen gegen ihn. Der Brief des Vaters an Natascha:

Bevor wieder alle Blätter besser wissen, wie ich mich fühlte, während ich die Kampusch-Doku im Fernsehen anschaute, schreibe ich lieber selber, wie das war. Es war schön, es war berührend, es war auch schrecklich, es war beleidigend. All das zusammen.

Ich habe dann noch ein Viertel vom Roten getrunken, mehr nicht, und bin schlafen gegangen. Unterm Strich: glücklich. Trotzdem. Ich bin nicht eingeladen worden zu dieser Doku, nur unwidersprochen als Alkoholiker und mediengieriger Affe bloßgestellt worden. Ich, der Trottel also, der acht Jahre lang in Zeitungsredaktionen und Fernsehstudios lästig war. Manchmal habe ich diese Leute richtig angebettelt, wieder etwas zu schreiben oder zu senden. IRGENDETWAS, wenn nur nicht die Hoffnung verstummt.

Es gibt kein einziges (Zeitungs-)Foto von mir, auf dem ich nicht aussehe wie ein Trottel, der einer Hoffnung nachrennt. Fotogen, nein, leider nicht.

Feurstein hätte ich gern "abgewatscht"
Wie ich mich gefühlt habe vor dem Fernseher also. Na ja, dem Feurstein hätte ich recht gern, symbolisch gemeint, eine in die Goschn gehaut. Früher ist der um mich herumgeschnurrt wie der große Menschenversteher ("Ich tue alles für diese Schicksalsfamilie"), und dann schenkt ihm dein Schicksal und deine Rettung diese Geschichte, die Top-Story seines Lebens, und ich bin es ihm nicht einmal mehr wert, mich auch nur mit einem Satz wehren zu dürfen gegen das Image eines versoffenen Medien-Kasperls. Ganz lieb. Liebe in Zeiten des Fernsehens ist halt kompliziert.

Nur nicht wie die Lugners werden, hast du im Fernsehen gesagt. Eine Ohrfeige wäre mir lieber gewesen. Die Lugners - was für eine Gesellschaft! WIR können nicht verlugnern, dafür hätten wir nicht die passenden Society-Stammtische und schon gar nicht das Geld. Ich jedenfalls, ich arbeite immer noch in dieser Bäckerei. Ich passe nicht in eine Society, die an einem Abend ausgibt, was ich in einem Monat verdiene. Von mir aus kannst du auch denken, dass ich von den Unsummen, die mir die Medienmenschen hineinschieben, ein mondänes Doppelleben finanziere. Nein, das weiß ich, dass du das nicht denkst.

Meine Worte waren nicht immer klug
Meine Wortspenden waren nicht immer die schlauesten. Das stimmt. Und ich vergesse auch immer wieder, dass einem manche Journalisten das Wort im Mund umdrehen. Manche nicht. Das Schönste, das ich in letzter Zeit über mich gehört oder gelesen habe, steht im Buch deiner Mutter. Ausgerechnet. Unfreiwillig, aber trotzdem schön. Wie ich, DER KOCH, der Trottel also, dich, mein eigenes Kind, nach der Rettung nicht erkannt haben soll. Der Vater, der sein eigenes Kind nach einer Narbe fragt und diese Narbe sehen will. So kann man das lesen, wenn man will. JA! Ich hätte an diesem 23. August gar nicht mehr aufhören wollen zu fragen und zu schreien: IST ES WIRKLICH WAHR? NATASCHA???????? Und nach der Narbe hätte ich noch gern gefragt: Sind das deine Augen? Deine Haare? Dein Mund? DU? Mein einziges Kind?

Wir waren einmal stolze Eltern
Einen Fotografen soll ich damals eingeschleppt haben! Als ob ich dafür noch einen Gedanken übrig gehabt hätte! Was glaubst du, wie egal mir alles rundherum war. Die paar Silberlinge, die ich im Jahr seit deiner Befreiung als gieriger Medienspecht eingenommen habe, die machen bei weitem nicht die Summe aus, die ich in den acht Jahren für taugliche und untaugliche Bemühungen ausgegeben habe, um DICH zu finden. Wovon ich das zahle, hat mich keiner gefragt. Mir hat auch noch nie jemand tausend Euro in den Ausschnitt gesteckt, damit ich ein Foto dann DOCH gestatte. Und noch was, Natascha, wenigstens ein Nebensatz: Ich bin meiner Frau Georgie dankbar, dass sie so zu mir steht und mich liebt, wie ich bin. Sie hat es übrigens nicht verdient, von zynischen Unterstellungen, mit wem ich mich sonst noch tröste, beleidigt zu werden.

DER Koch und DIE Sirny, die einmal deine stolzen Eltern Ludwig und Brigitta waren. Ein Liebespaar: Künstlicher Befruchtung verdankst du dein Leben jedenfalls nicht. Sind wir jetzt halt per SIE und per ANWALT und per ZEITUNG. Jedenfalls habe ich deine Mutter einmal sehr gern gehabt. Wie gegensätzlich wir sind - man sieht es am allerbesten in DIR.

"Trottel" würd auch Mundl nicht wollen
Eh klar, dass ich nicht DANKE dafür sage, dass deine Mutter im Buch schreibt, was für ein kaputter Trottel ich bin. Das würde nicht einmal der Mundl so hinnehmen, und der hat eine dicke Haut.

Ja, es stimmt, mein Anwalt prüft die juristische Schmerzgrenze, die dem Trottel Koch in dem Buch zugemutet wird. Mich empört aber auch, wie fallweise mit deiner Mutter in den Medien umgegangen wird: der arrogante Zynismus darüber, dass sie sich bei dir als Putzfrau beworben haben soll. Selbst wenn es wahr wäre: Ich hätte davor mehr Achtung als vor den meisten anderen Methoden von Menschen, mit DIR Geld zu verdienen. Hausmeister, Chauffeur, Bäcker, Bedienerin - das ist unser Milieu. Du bist in die Rennbahnweg-Siedlung geboren worden und nicht in den Glamour.

GLÜCKLICH ist ein zu dünnes Wort
Natascha, ich lasse mich nicht widerspruchslos zum versoffenen Trottel und Taugenichts abstempeln. Aber ich nehme all das Getöse und den Rummel auch nicht SOOO wichtig. Das Wichtigste ist: Natascha, ich wache immer noch auf mit dem Gedanken und schlafe ein mit dem Gedanken, dass DU da bist. Ich wische mir die Nacht aus den Augen, brauche eine Zeit, bis ich merke, dass es kein Traum ist und bin... GLÜCKLICH ist ein zu dünnes Wort für dieses Gefühl.

Dein Vater, DER KOCH

Aufgezeichnet von Marga Swoboda, Bild: Klemens Groh

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