Streitthema

Umweltverband fordert Grenzwerte für Handystrahlung

Elektronik
06.12.2012 14:15
Sein Fall hat international für Aufsehen gesorgt: Im Oktober befand das Höchstgericht in Rom, dass das tägliche Telefonieren mit dem Handy schuld am Tumor des 40-jährigen Italieners Innocente Marcolini sei. Der Ex-Manager hatte zwölf Jahre lang durchschnittlich sechs Stunden pro Tag am Handy verbracht, ehe er arbeitsunfähig wurde – den Richtern nach eine eindeutige Folge des vielen Telefonierens. Am Donnerstag machte Marcolini auf Einladung des Umweltdachverbandes als "Paradepatient" in Wien auf die Gefahren durch Handystrahlung aufmerksam.

Experten nahmen den Fall zum Anlass, Grenzwerte für Österreich und mehr Konsumenteninformationen zu fordern. "Laut einer Ende November vom global größten Mobilfunkausrüster veröffentlichten Studie wird sich bis Ende 2018 die Zahl der genutzten Smartphones auf 3,3 Milliarden verdreifachen und die Mobilfunkanschlüsse werden auf insgesamt 9,4 Milliarden steigen. In Österreich gibt es praktisch keine Grenzwerte, keine Informationen für diesen Bereich. Wenn man bedenkt, dass für jeden Kühlschrank Informationen und Warnhinweise auf dem Gerät sein müssen, ist für Handys nichts vorgesehen", sagte Umweltdachverband-Präsident Gerhard Heilingbrunner.

Er forderte die Einführung gesetzlicher Grenzwerte für elektromagnetische Felder, einen frühzeitigen Gesundheitsschutz sowie verpflichtende Warnhinweise für die Mobilfunkbetreiber. Rückendeckung erhielt Heilingbrunner dabei unter anderem von Eva Marsalek von der "Plattform Mobilfunk-Initiativen". Auch sie forderte, dass künftig bei jedem Handy der SAR-Wert, also die Belastung durch Strahlung am Kopf des Benutzers, angegeben wird: "Wir sollen den Mobilfunk keineswegs abschaffen. Die Dosis macht die Wirkung. Die Politik ist gefordert."

Jahrelang täglich sechs Stunden telefoniert
Zur Unterstützung hatten die Mobilfunk-Skeptiker als "Paradepatienten" den ehemaligen italienischen Manager Innocente Marcolini eingeladen. Der Betroffene: "Ich war beruflich gezwungen, mit dem Schnurlostelefon oder dem Handy länger als zehn Jahre täglich fünf bis sechs Stunden zu telefonieren." 2002 erkrankte Marcolini laut eigenen Aussagen an einem gutartigen Neurinom (Nervenfasertumor) an der linken Gesichtshälfte. Eine Lähmung des Gesichtsnervs war die Folge, nach einer Operation ist auch das linke Auge schwer betroffen.

Nachdem in erster Instanz eine Invaliditätspension abgelehnt worden war, gaben ihm die zweite und die dritte Instanz in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren recht (siehe Infobox). Das Urteil ist rechtskräftig. Marcolini: "Ich will dringend darüber informieren, was einem widerfahren kann, wenn man Handys so intensiv nutzt, wie ich es getan habe." Die Meinungen darüber, ob Handystrahlung schädlich ist oder nicht, gehen allerdings nach wie vor auseinander. Die Weltgesundheitsorganisation WHO bezeichnet einen Zusammenhang zwischen Mobilfunkgebrauch und solchen Erkrankungen als "möglich" – was allerdings noch nicht bedeutet, dass dieser Zusammenhang auch tatsächlich gegeben ist.

Milliardenfacher "Feldversuch"
Der Wiener Umwelthygieniker Michael Kundi: "Es ist nicht so, dass das (exzessiver Handygebrauch, Anm.) garantiert ungefährlich ist. Prävention vor einer massenhaften Erkrankung ist angesagt." Die bisher durchgeführten epidemiologischen Studien hätten eher Hinweise auf ein Risiko ergeben. Allerdings handelt es sich laut Kundi "um Erkrankungen mit sehr langer Latenzzeit". Deshalb könnte man eventuell die Auswirkungen des weltweit milliardenfachen "Feldversuchs" erst später bemerken. Das hänge mit der exponentiellen Entwicklung der Zahl der Mobilfunk-Konsumenten zusammen.

Forum Mobilkommunikation bestreitet Vorwürfe vehement
Der Interessensverband der österreichischen Mobilfunkanbieter, das Forum Mobilkommunikation, bezweifelte in einer Aussendung am Donnerstag vehement die Argumente der Kritiker. Zur Urteilsfindung in dem italienischen Prozess um Innocente Marcolini seien Studien des schwedischen Wissenschaftlers Lennart Hardell herangezogen worden. Diese seien aber nicht plausibel, es gebe heftige Kritik von Experten wegen "schwerwiegender wissenschaftlicher Verfehlungen".

Kein Anstieg bei Kopftumor-Raten
Millionenfacher Handygebrauch in Österreich habe sich jedenfalls bisher nicht auf die Kopftumor-Rate niedergeschlagen. "Denn wären die Ergebnisse seiner (Hardells, Anm.) Studien nur annähernd im Bereich des Wahrscheinlichen, müsste man heute in der Bevölkerung eine um zumindest 30 Prozent höhere Kopftumor-Inzidenzrate (Häufigkeit des Neuauftretens innerhalb eines Jahres pro 100.000 Einwohner, Anm.) finden als noch vor rund 20 Jahren."

Ein Blick in die Daten der Statistik Austria besage aber das Gegenteil: In der Zeit seit Beginn des flächendeckenden GSM-Mobilfunks von 1995 bis 2009 (aktuellere Daten sind von der Statistik Austria noch nicht verfügbar) habe sich die Inzidenzrate von Kopftumoren von 9,9 auf 8,7 Fälle pro 100.000 Einwohner reduziert, auch die Gehirn-Krebsinzidenz sei mit 5,4 Fällen im Jahr 1996 und 4,9 Fällen im Jahr 2009 rückläufig. Der Vorwurf, man ignoriere Gefahren und bagatellisiere, gehe ins Leere und sei falsch.

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