Transparenzbericht

So umwerben Lobbyisten den EU-Digitalkommissar

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24.06.2015 12:24
Günther Oettinger, früherer Energie- und jetziger Digital-Kommissar der Europäischen Union, trifft sich bei seinen Beratungsgesprächen fast nur mit Lobbyisten großer Konzerne. NGOs und Verbraucherschützer haben es deutlich schwerer, einen Termin bei dem unter anderem für die Themen Roaming-Abschaffung und Netzneutralität zuständigen Politiker zu bekommen. Das geht aus einem Bericht von Transparency International hervor.

Die Organisation hat die – auf Anordnung des EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker veröffentlichten - Termine zahlreicher ranghoher EU-Politiker unter die Lupe genommen, statistisch ausgewertet und die Ergebnisse ins Netz gestellt. Digital-Kommissar Oettinger – er liegt bei der Zahl der Treffen mit Lobbyisten in der Statistik auf dem siebten Rang – hat demnach seit seinem Amtsantritt im Herbst 2014 in allererster Linie Vertreter großer Konzerne getroffen, insbesondere von Mobilfunkern wie Orange, Vodafone und der Deutschen Telekom. NGOs, die sich beispielsweise für die Beibehaltung der Netzneutralität aussprechen, trifft der zuständige Kommissar hingegen fast nie.

Grüner Abgeordneter: "Man weiß nicht, was er arbeitet"
Nicht nur die Statistik stellt dem Digital-Kommissar ein recht konzernfreundliches Zeugnis aus, sondern auch EU-Abgeordnete. Der Grüne Michel Reimon erklärt im Gespräch mit der Zeitschrift "Spiegel", dass Oettinger als zuständiger Kommissar bei Verhandlungen zum Thema Netzneutralität, also der Gleichbehandlung aller Datenübertragungen im Netz, kein einziges Mal anwesend gewesen sein soll. "Man weiß seit einem Jahr nicht, was er arbeitet. Und ob er überhaupt arbeitet", so Reimon. Wenn sich Oettinger zu Wort melde, dann meist mit sehr konzernfreundlichen Vorschlägen.

Bürgerrechtler: "Mit denen geht er Abendessen"
Im gleichen Artikel beklagt der Internet-Bürgerrechtler Joe McNamee, der sich unter anderem für die Beibehaltung der Netzneutralität einsetzt, dass Oettinger sich nicht von Bürgerrechtlern wie der vom deutschen Chaos Computer Club unterstützten Organisation EDRi beraten lasse, sondern fast nur von Vertretern großer Telekommunikationskonzerne. "Mit denen geht er Abendessen", beklagt der Netzaktivist. Die Daten geben ihm Recht: Oettinger soll seit seinem Amtsantritt nur zwei Mal NGO-Vertreter wie McNamee getroffen haben, aber 44 Mal von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden bezahlte Lobbyisten.

Oettinger bremst bei Roaming-Aus & Netzneutralität
Dass der Digital-Kommissar da etwa bei der Roaming-Abschaffung, die seine Vorgängerin Viviane Reding eigentlich bereits Ende 2015 umsetzen wollte, nun auf die Bremse steigt, werten manche Beobachter als direkte Folge von Oettingers Konzernfreundlichkeit. Auch seine ablehnende Haltung gegenüber der Netzneutralität halten Kritiker wie Reimon für ein Zugeständnis an die großen Telekommunikationsunternehmen. Freilich: Nicht Oettinger allein tritt bei der Roaming-Abschaffung auf die Bremse und hält wenig von der Netzneutralität, auch die im EU-Rat organisierten Regierungen der einzelnen EU-Staaten zeigten sich bei diesen Themen zuletzt sehr konzernfreundlich.

Konzerne bezahlen Millionen für Lobbying in Brüssel
Ein Grund für das Missverhältnis zwischen Treffen mit Konzernlobbyisten und Bürgerrechtlern beim Digital-Kommissar könnten die ungleich größeren finanziellen Mittel der Konzerne sein. Im Bericht von Transparency International zeigt sich, dass Weltkonzerne stattliche Summen in das Lobbying in Brüssel stecken. Der größte Player ist Microsoft mit einem Lobbying-Budget von 4,5 Millionen Euro, Google folgt hinter Energie- und Finanzkonzernen auf Rang sechs mit 3,5 Millionen Euro. Und auch der chinesische Telekommunikations-Gigant Huawei schafft es mit einem Lobbying-Budget von drei Millionen Euro noch in die Top-10. Da können Bürgerrechtler und NGOs nicht mithalten.

Die Leidtragenden sind Europas Bürger
Für die Bürger der EU ist diese Art der Meinungsbildung ihrer Volksvertreter nicht unbedingt positiv. Von der aufgeschobenen Roaming-Abschaffung profitieren vor allem Mobilfunker wie die in vielen EU-Ländern aktive Deutsche Telekom. Sie kann beispielsweise – wenn es mit dem Termin Mitte 2017 klappt – noch zwei Jahre lang Gebühren von österreichischen T-Mobile-Kunden einheben, die in Deutschland das Netz des T-Mobile-Mutterkonzerns nutzen. Und das, obwohl die Monatsrechnung dieser Kunden längst auf Konten in Deutschland abgebucht wird, man bei finanziellen Belangen hingegen also recht flexibel mit Staatsgrenzen umgeht.

Und auch bei der Netzneutralität profitieren vor allem die Konzerne von der Haltung des Digital-Kommissars. Fällt die Gleichbehandlung aller Daten im Netz weg, eröffnet sich für die Telekom-Firmen eine neue Verdienstquelle. Statt einfach nur einen Internetanschluss mit einer gewissen Übertragungsgeschwindigkeit anzubieten, könnten sie gegen Aufpreis die bevorzugte Behandlung von Diensten wie YouTube, Netflix oder Spotify anbieten. Ungebremst könnte diese Dienste dann nur mehr erleben, wer dafür bezahlt. Die Alternative wäre, dass die Anbieter der Dienste die Netzbetreiber bezahlen – umsetzbar nur für entsprechend finanzkräftige Konzerne, nicht für kleine Start-ups.

US-Behörde hat Netzneutralität beibehalten
Das Ende der Netzneutralität wird in der EU freilich unter einem anderen Deckmantel diskutiert: Kommissar Oettinger zufolge gehe es um die bevorzugte Behandlung von Daten, die in Zusammenhang mit kritischen Bereichen der Wirtschaft, etwa der Medizin oder selbstfahrenden Autos, stehen und deshalb schnellstmöglich ans Ziel geleitet werden müssen. In den USA, wo selbstfahrende Autos bereits intensiv getestet werden, haben diese neuen Entwicklungen die Kommunikationsbehörde FCC im Frühjahr nicht davon abgehalten, die Netzneutralität beizubehalten. Einen Kampf der Lobbyisten gab es zuvor auch dort.

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