Google-Datenbrille

Glass im Test: Die “Krone” mit der Brille in Wien

Elektronik
28.12.2013 17:00
Es wird sie in Zukunft öfter geben. Menschen, die kopfschüttelnd durch die Straßen laufen, dabei laut mit sich selbst sprechen und immer wieder hektisch mit den Händen zum Gesicht fahren. Sie wirken zwar so, aber diese Personen sind kein Fall für den psychosozialen Notdienst und auch nicht für die Entzugsklinik – sie sind einfach nur hochmodern und tragen Googles Datenbrille Glass. Die "Krone" marschierte einen Tag lang mit der neuen Erfindung durch Wien. Über Selbstgespräche, Kopfschütteln und Hightech.

Wer die Google-Brille trägt, der verwandelt sich unfreiwillig in eine Art Psychotiker: Er kann Dinge sehen, die niemand anderer sieht, er kann mit jemandem sprechen, der nicht da ist, und sich von etwas leiten lassen, das physisch gar nicht existiert. Heilung ausgeschlossen, eher wird daraus eine Pandemie. Denn die Brille, eine Art Mini-Computer, so glaubt es zumindest Google, wird von unseren Nasen gar nicht mehr wegzudenken sein.

Erstes Problem schon beim Aufsetzen
Also machten wir den großen "Krone"-Test – ein Tag mit der Google-Brille! Und das erste Problem beginnt schon beim Aufsetzen. Automatisch will ich den Mini-Bildschirm auf dem Gestell vor das Auge platzieren, doch der zierliche Apparat schwebt eher so in Brauenhöhe. Einfach anlegen und (im wahrsten Wortsinne) durch die Welt irren ist auch nicht drinnen. Zuerst eine Einweisung. Obwohl DIE Brille, wird sie vom Instruktor ständig mit ER angesprochen – eine Identitätskrise also auch noch. ER also versteht nur Englisch, amerikanisches Englisch, was sich bei Österreichern immer ein bisschen schwarzeneggerisch anhört.

Wo lebt der Blobfisch und wie hoch ist der Stephansdom?
"Okay, Glass!", so spricht man zur Brille. Und dann kann man eine Reihe von Befehlen folgen lassen: "Mach ein Foto", etwa. "Zeige den Weg zur Kärntner Straße." Außerdem steht dem Träger das komplette Wissen der Menschheit, sprich das Internet, unabhängig vom Standort zur Verfügung. Praktisch für all jene, die bei einem romantischen Stadtspaziergang schon immer wissen wollten, in welcher Tiefe der Blobfisch lebt oder auf welcher Seite beim Schwein der Blinddarm sitzt.

Aber Informationen können freilich auch nützlich sein: Wie hoch ist der Stephansdom, wie viele Menschen leben in Graz? Die Brille weiß Bescheid und flüstert das Ergebnis engelsgleich ins Ohr. Bevor die Brillenfrau aber überhaupt zum Leben erwacht, muss ich nicken, fest nicken, so, als würde ich zuerst zum Himmel starren, dann Richtung Hölle. Das klappt nicht immer, also wird ein zweites Mal genickt. Dann "Okay, Glass!" zum Aktivieren. Kopfschütteln, Selbstgespräche. Macht nicht jeder gerne in der Öffentlichkeit.

Erster Schritt in eine "handfreie" Welt
Aber trotzdem wird die Brille das Leben revolutionieren. Sie ist der erste Schritt in eine Welt, in der wir, ohne unsere Hände benutzen zu müssen, alles erfahren können. Chirurgen werden sie tragen, Köche und Sportler. "Im Normalbetrieb hält der Akku derzeit einen Tag", erklärt Wolfgang Fasching-Kapfenberger von Google. "Bei durchgehendem Filmen ist er allerdings nach 20 Minuten leer. Das Aufladen dauert zwei Stunden."

In Österreich gibt es die Brille noch gar nicht zu kaufen, selbst in Amerika kommt sie erst 2014 auf den Markt. Wann auch wir offiziell damit umherlaufen dürfen, steht in den Sternen – das Problem ist die Sprachbarriere. Die "Glass" sollte die Befehle des Brazers in Vorarlberg genauso verstehen wie die des Wieners. Dazu kommen natürlich Franzosen, Belgier, Deutsche, Italiener usw. Es droht eine babylonische Sprachverwirrung.

Der Test hat auch gezeigt: Die Reaktionen der Mitmenschen sind sehr unterschiedlich. Der anfänglichen Verwirrung über einen offensichtlich Labilen, der mit sich selbst kommuniziert, weicht das Interesse an dem Ding in seinem Gesicht. Trotzdem bleiben viele Gesprächspartner wohl verdutzt zurück. Werde ich jetzt gefilmt, macht der heimlich ein Foto von mir? Mit der Google-Brille ins Freibad – nicht zu empfehlen.

Viele Vorteile und viele Nachteile
Übrig bleibt eine futuristische "Star Trek"-Brille, die viele Vor- und viele Nachteile hat. Akku schnell leer, zu teuer, nicht jeder Befehl wird verstanden, das ständige Nicken, das man sonst nur von Leguanen kennt, die schiefe Optik in der Öffentlichkeit.

Dafür ständiges Aufrufen aller Informationen, ein Navi, das den Weg direkt vor einem mitten in die Welt weist und nicht nur auf einem verzerrten Bildschirm anzeigt, ständig können Nachrichten eingeblendet und abgerufen oder Mails gelesen werden. Die Brille verwandelt sich zu einem winzigen Büro, das man immer im Auge behält.

Bleibt auch der Coolness-Faktor. Um den Ton der Brille zu übertragen, benutzt die Glass-Brille Knochenleitung anstelle herkömmlicher Lautsprecher, Klänge und Töne werden direkt in den Schädelknochen übertragen. Das klingt abends an der Bar beim Flirten natürlich sehr spannend. Wer für ein Erinnerungsfoto dann aber zuerst nicken und schließlich mit sich selber sprechen muss, der hat's vermutlich auch gleich wieder vergeigt.

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