Ford meint es gut

Test Ford Focus Traveller: Die Welt soll glücklich sein!

Motor
19.12.2011 10:36
Ford will mit dem aktuellen Focus die Welt glücklich machen, so haben aller Herren Länder Einfluss auf den Kompaktwagen genommen. Im Zuge dessen ist man bei Ford stolz wie Oskar, derart exzessiv Maß genommen zu haben, dass 97,5 Prozent aller Menschen sich wohlfühlen und bequem drin sitzen können sollen. Im Test soll die Kombi-Version, die hierzulande Traveller heißt, zeigen, ob die Glücklichmacher-Bestrebungen fruchten.
(Bild: kmm)

Zunächst gleitet das Auge widerstandsfrei über die dynamisch gezeichnete Karosserie mit der ansteigenden Fenster- und der abfallenden Lifestyle-Kombi-Dachlinie. Dabei findet es einiges an Sicken und Kanten zur Unterhaltung und wundert sich zart, warum die seitliche Kante ab dem Griff der hinteren Seitentüren nach oben versetzt weiterläuft. An den hintersten seitlichen Fenstern deutet sich ein Hofmeisterknick an (sonst fallen aber keine Verbindungen zu BMW auf).

Im Innenraum bekommt das Auge dann richtig was zu tun, denn die Mittelkonsole ist etwas überdesigned. Die Materialanmutung macht nicht ganz den hochwertigen Eindruck, den mir die gelungene Karosserieoptik versprochen hat. Doch geht es hier ja nicht um den Edeldesignpreis, sondern darum, es dem Fahrer möglichst angenehm zu machen (ohne seine Haare angesichts des Kaufpreises ergrauen zu lassen).

Das gelingt hervorragend beim Armaturenbrett. Das in fröhlichem Weiß und Blau strahlende Display zwischen den zwei Rundinstrumenten und den beiden viertelrunden erfüllt mehr Wünsche, als der Durchschnittsfahrer hat. Der kleine Digischirm kann nämlich nicht nur entweder/oder anzeigen, sondern stellt – auf Knopfdruck in vier Segmente unterteilt – Durchschnittstempo, Momentan- und Durchschnittsverbrauch sowie Reichweite gleichzeitig dar. Der Gipfel der Seligkeit wäre noch ein gleichzeitiger Trip-Anzeiger, aber immerhin ist der Gesamtkilometerstand immer im Blick. Die Zeiger von Tacho und Drehzahlmesser sind hellblau, was angeblich vor allem die Inder in Verzückung ausbrechen lässt.

Für sehr viele Funktionen muss sich der Fahrer nicht strecken, er hat sie im Lenkrad integriert, sogar das Navigationssystem lässt sich damit fast komplett bedienen. Das ist gut gemeint, für mich aber etwas zu viel des Guten. Außerdem würde ich mir für das Navi einen gut erreichbaren Bedien-"Gnubbel" statt einer zentralen OK- und vier Richtungstasten wünschen.

Sitzen für die Langstrecke
Ich bin nicht ganz sicher, ob ich mich zu den 97,5 Prozent bequem sitzenden Fahrern zählen kann. Ja, ich sitze bequem, aber nur, wenn ich weiter vom Lenkrad weg sitze, als man es in jedem Fahrsicherheitstraining lernt. Bei aktiver Sitzposition sind meine Beine - wie in den meisten anderen Autos auch - zu stark angewinkelt.

Platz ist insgesamt genug vorhanden, auch auf der Rückbank, die Sitze bieten Langstreckenkomfort, ebenso die Akustik, es ist schön leise im Ford Focus. Und es gibt jede Menge Ablagemöglichkeiten, inklusive einem sehr großen Handschuhfach und riesigen Türfächern. "Europäer wünschen Stauraum für 1,5-Liter-Wasserflaschen im Auto, während Chinesen eher Teekannen mitführen. Die Getränke-Staufächer in den Seitentüren erfüllen jeweils die Bedürfnisse beider Kundengruppen", doziert Ford. Das mit den Flaschen kann ich bestätigen.

Der Kofferraum ist mit 476 bis 1.516 Litern kleiner als im Vorgänger (Golf Variant zum Vergleich: 505/1.495 Liter), die Ladefläche bei umgeklappter Rückbank ist brettleben. Die Heckklappe will nach oben gewuchtet werden, zum Schließen hat sie angenehm massive Griffe integriert.

Mit mehr Komfort unterwegs
Auch das Fahrwerk will den Insassen ein angenehmes Leben bereiten, im Vergleich zu früher hat der Focus an Fahrkomfort gewonnen. Die Lenkung meint es ebenfalls sehr gut und ist dadurch etwas leichtgängig geraten, dabei aber recht direkt ausgelegt, sodass sie den Fahrer nicht über den Fahr(bahn)zustand im Unklaren lässt. Das Sechsgang-Doppelkupplungsgetriebe namens PowerShift im Testwagen schaltet komfortabel, aber trotzdem sehr zügig und gibt sich alle Mühe, jegliche Verzögerungen zu vermeiden. Beim Anfahren gelingt ihm das schon beinahe zu gut.

Unpraktisch ist die manuelle Schaltmöglichkeit, denn hierfür gibt es keine Paddles am Lenkrad, und auch der Schalthebel an sich wird dafür nicht bewegt. Nein, links seitlich an selbigem ist ein Kippschalter angebracht, mit dem die Gänge gewechselt werden. Das ist nicht nur unhandlich, man drückt ihn beim Gangeinlegen vor dem Losfahren gerne mal versehentlich, gerät dadurch in den Manuell-Modus und wundert sich, warum die Automatik nicht raufschaltet.

Das Doppelkupplungsgetriebe harmoniert bestens mit dem 163 PS starken 2-Liter-Diesel namens TDCi, der Beschleunigungswünschen mit maximal 340 Nm (leider erst ab 2.000/min.) ordentlich Nachdruck verleiht. Er verrichtet sein Werk unaufdringlich und ruhig, der Testverbrauch lag bei 7,0 Liter. Wenn man es drauf anlegt, ist durchaus weniger drin, dabei hilft auch der Eco-Modus: Er unterstützt den Fahrer dabei, sparsam und vorausschauend zu fahren und zeigt mit bis zu fünf grünen Blütenblättern im Display an, wie gut ihm das gelingt. Wenn sich das Triebwerk von seiner sportlichen Seite zeigen soll, geht es in 8,8 Sekunden auf 100 km/h und weiter bis 220 km/h. Hier nimmt die PowerShift-Version dem Handschalter fast eine Sekunde ab!

Beeindruckendes Assistentenfeuerwerk
Bei den Fahrassistenzsystemen zieht Ford alle Register des Glücklichmachens. Einparken kann man dem Focus getrost selbst überlassen (nur Gas geben und Bremsen muss der Fahrer nach Anweisung des Autos selbst), der zweistufige Spurhalteassistent warnt durch Vibration beim Überfahren einer Linie, greift auf Wunsch auch ins Lenkrad und hält das Auto dadurch aktiv in der Spur. Der Tempolimitanzeiger funktioniert so zuverlässig oder unzuverlässig wie bei anderen Herstellern auch, der adaptive Tempomat hält brav den Abstand zum Vordermann, der "Active City Stop" verhindert bis zu einem Tempo von etwa 15 km/h zuverlässig einen Crash, wenn der Fahrer vor einem Hindernis nicht reagiert, weil er etwa abgelenkt ist. Die Frontscheibenheizung sorgt für schnellen Durchblick im Winter.

Für den einzigen Makel im Wellness-Ford sorgt das Ford-SD-Navigationssystem: Die Kartendaten im Testwagen sind so alt, dass noch nicht einmal die Nordautobahn A5 sowie die S1 verzeichnet sind. Beide sind seit knapp zwei Jahren für den Verkehr freigegeben. Dafür kostet das Navi aber auch nur 400 Euro Aufpreis (bei Ausstattung Titanium).

Angetreten zum Glücklichmachen – obwohl das Auto ziemlich unemotional geraten ist, merkt man dem Ford Focus Traveller an, dass sich seine Väter viel überlegt haben. Der Strauß an verfügbaren Assistenzsystemen ist in dieser Klasse beispielgebend, die Optik ist nicht bei jedem Konkurrenten so unlangweilig und Reisekomfort ist in hohem Maße vorhanden. Ford hat den Focus aus der Nische des besonders fahraktiven Kompakten herausgeholt und ihn tauglich gemacht für die Massen in 120 Ländern der Welt. Ein ausgesprochen vernünftiges Auto ist dabei entstanden. Damit wäre es keines für Oscar Wilde gewesen: "Der Mensch ist vielerlei. Aber vernünftig ist er nicht."

Stephan Schätzl

Warum?

  • Unglaubliche Zahl an Assistenzsystemen
  • In Klassenvergleich schöne Optik
  • Komfortables, aber flottes Doppelkupplungsgetriebe
  • Guter Reisekomfort

Warum nicht?

  • Blecherner Türsound
  • Unpraktische Manuell-Funktion der Automatik
  • Etwas überdesignter Innenraum

Oder vielleicht …

  • … Kompaktklasse-Kombis wie VW Golf Variant, Opel Astra Sports Tourer, Skoda Octavia Combi oder Peugeot 308 SW
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(Bild: kmm)



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