Neue Ideen gesucht

Schweres Erbe: Apple ein Jahr nach Steve Jobs’ Tod

Elektronik
04.10.2012 13:29
Er hat die digitale Musikwelt revolutioniert, den Handymarkt umgekrempelt und zuletzt allen Zweiflern bewiesen, dass Tablets doch eine Zukunft haben: Steve Jobs. Vor einem Jahr - am 5. Oktober 2011 - starb der als Visionär gefeierte Apple-Gründer. Seine Nachfolger um Tim Cook versuchen seitdem einen schwierigen Balanceakt zwischen seinem Erbe und neuen Ideen.

"Mit Steve Jobs wäre das nicht passiert!", lautet das Leitmotiv vieler Kommentare zu Apples Debakel mit dem fehlerbehafteten eigenen Kartendienst. Selbst die "New York Times" ließ sich zu der Frage hinreißen, ob der legendäre Firmengründer wohl die falschen Adressen-Markierungen und zerknüllten 3D-Bilder toleriert hätte. Die aktuelle Debatte um den seltenen Apple-Fehltritt belegt, wie groß die Jobs-Nostalgie ein Jahr nach seinem Tod ist - und dass Erinnerung verklärt: Denn auch unter dem "iGod" lief bei Weitem nicht alles rund.

So verpatzte Apple 2008 den Start des Online-Speicherdienstes MobileMe durch massive technische Probleme. Der für seine Wutausbrüche berüchtigte Jobs tobte und tauschte die Führung des MobileMe-Teams aus. Zwei Jahre später folgte das "Antennagate": Vor allem US-Nutzer klagten massenhaft über Empfangsprobleme beim iPhone 4 mit der ungewöhnlichen Design-Lösung, die Antennen in einem Metallring an der Außenkante des Gehäuses unterzubringen.

Damals dauerte es mehrere Wochen, bis Apple auf die wie ein Schneeball anwachsende Kritik reagierte: Jobs lud zu einer Pressekonferenz, in der er das iPhone verteidigte und angebliche Schwächen von Konkurrenzgeräten anprangerte. Die aufgeregten Kunden wurden schließlich mit einer kostenlosen Schutzhülle für das iPhone besänftigt.

Bei den aktuellen Kartenproblemen reagierten die Jobs-Nachfolger viel schneller. Apple gelobte schon nach einem Tag Besserung. Und eine Woche später folgte ein öffentliches "Sorry" des neuen Konzernchefs Tim Cook, gepaart mit der außergewöhnlichen Ermutigung, vorerst ruhig mal auf Konkurrenzdienste etwa von Google oder Nokia umzusteigen.

Größere Offenheit
Diese größere Offenheit ist der auffälligste Unterschied zwischen dem Apple der Jobs-Ära und der Handschrift seines Nachfolgers Cook. Nach abermaligen Vorwürfen der Ausbeutung chinesischer Arbeiter beim Auftragsfertiger Foxconn ließ der Konzern erstmals externe Prüfer in die Betriebe und veröffentlichte eine Liste aller Zulieferer. Der Austritt aus einem Umweltsiegel wurde schnell wieder zurückgenommen. Und die Aktionäre bekommen die langersehnte Dividende, die Jobs ihnen immer verweigert hatte - angesichts des auf rund 120 Milliarden Dollar (93 Milliarden Euro) angewachsenen Geldbergs war die bisherige Knausrigkeit allerdings auch immer schwerer zu erklären.

Bruch mit bisherigen Dogmen
Tim Cook scheint also ganz nach dem letzten Geheiß seines Mentors zu agieren: "Sich bloß nicht die Frage stellen: 'Was würde Steve tun?'" Der Bruch mit scheinbaren bisherigen Dogmen geht bis in technische Details: Das iPhone 5 bekam nach fünf Jahren erstmals einen größeren Bildschirm, für die nächsten Wochen wird mit einem kleineren iPad-Modell gerechnet, während Jobs Geräte mit kleinerem Display einst als "Totgeburt" abgestempelt hatte.

Und doch schwebt der Geist des Gründers immer noch über allem, was Apple heute tut: Die strategischen Weichen - iPhone, iPad, Mac-Design, der Online-Speicher iCloud als Herzstück der Apple-Welt - sind alle noch unter Jobs gestellt worden. Auch das neue iPhone 5 wirkt mehr als eine Weiterentwicklung denn als Vorstoß in unbekanntes Terrain. Die erste große, eigene Innovation oder der erste große Fehler von Cook und seiner Mannschaft müssen erst noch kommen.

Vorstoß ins Fernsehgeschäft als Bewährungsprobe
Als solche ultimative Bewährungsprobe zeichnet sich der Vorstoß ins Fernsehgeschäft ab. Seit Monaten wird über den ersten Apple-Fernseher spekuliert. Aber immer noch scheint das Ausbleiben eines Inhalte-Deals mit den mächtigen US-Kabelbetreibern ein Bremsklotz zu sein. Schon der charismatische Jobs hatte jahrelang vergeblich versucht, ihre Blockade zu brechen - und das Fehlen seines berühmten "realitätsverbiegenden Kraftfelds" sei für Apple jetzt das größte Handicap, urteilte ein Kommentator im "Wall Street Journal". Cook sei ein starker Manager - aber eben kein Steve Jobs. "Wenn Steve Jobs lebte, würde er Tim Cook feuern", erklärte kurzerhand das Magazin "Forbes".

Jobs war der detailversessene Visionär, der Apple mit einer einzigartigen Serie von Innovationen aus der Beinahe-Pleite auf den Industrie-Olymp beförderte. Er überzeugte im Vorfeld des Starts von iTunes persönlich Musiker wie Bono von U2 oder Neil Young, ihre Scheu vor der Digitalisierung der Musik abzulegen und ihre Songs für den Apple-Musikladen zur Verfügung zu stellen. Legendär ist auch die Geschichte, wie er den US-Konzern Corning dazu brachte, binnen weniger Monate die Produktion einer völlig neuen Glassorte für das iPhone auf die Beine zu stellen.

Team statt Lichtgestalt
Der 51-jährige Cook versucht ganz bewusst nicht, Steve Jobs zu imitieren. Die Präsentation des iPhone 5 Anfang September wäre seine Chance gewesen, voll ins Rampenlicht zu treten - das Vorgängermodell hatte Cook noch im Schatten des Übervaters vorgestellt, Jobs starb einen Tag später an den Folgen seines langjährigen Krebsleidens. Doch Cook hielt sich auch jetzt weiter zurück und überließ erneut viel Raum seinen Top-Managern wie Marketing-Mann Phil Schiller. Die Botschaft: Das neue Apple wird von einem Team statt einer einzelnen Lichtgestalt geführt. "Ich vermisse Steve jeden Tag", bekannte Cook im Mai in einem der seltenen Interviews. Aber jetzt bestimmt er die Regeln in Cupertino.

Zugleich könnte das Karten-Debakel die Gewichte in der Apple-Spitze verschieben: Der Dienst fällt als Teil des Betriebssystems iOS in die Verantwortung des ehrgeizigen Scott Forstall, dem Apple-Kenner durchaus auch Chef-Ambitionen nachsagen. Das öffentliche Fehlereingeständnis von Cook macht Forstalls Position nicht gerade stärker. Allerdings habe einst auch der große Steve Jobs erst wenige Wochen vor der iPhone-Vorstellung überhaupt eine Karten-App in Auftrag gegeben, die dann schnell zusammengezimmert worden sei, erzählten frühere Mitarbeiter jetzt der "New York Times".

"Verlorenes Interview" lässt Jobs nach 17 Jahren ausreden
Weitere Anekdoten über den Apple-Gründer hält die am Freitag in den heimischen Kinos startende Dokumentation "Steve Jobs: The Lost Interview" bereit. Gegenstand des Films ist ein Gespräch, das 1995 für eine Dokumentation des öffentlich-rechtlichen US-Senders PBS über die Geschichte des Personal Computers geführt wurde und lange als verschollen galt (siehe Infobox).

Das Originalband verschwand beim Versand, es blieben nur die Fragmente, die seinerzeit für die Sendung "Triumph of the Nerds" verwendet wurden, in der auch andere Größen wie Bill Gates zu Wort kamen. Erst nach über 15 Jahren wurde eine Kopie des kompletten Jobs-Interviews auf VHS-Kassette in einer Garage entdeckt. Die Bildqualität der Aufnahme ist entsprechend mies.

Dennoch bietet dieses Interview die seltene Möglichkeit, viele Geschichten von Steve Jobs persönlich zu hören. Der mit seinen damals 40 Jahren sehr jugendlich wirkende Jobs sprach mit Dokuautor Robert Cringely etwa darüber, wie er seine Liebe zu Computern entdeckte und den späteren Apple-Mitgründer Steve Wozniak kennenlernte. Es geht um die ersten Schritte mit dem Bau einer Blue-Box, die illegal kostenlose Gespräche im amerikanischen Telefonnetz zuließ und auch mit einem Anruf beim Papst im Namen von US-Außenminister Henry Kissinger ausprobiert wurde.

"Gute Künstler kopieren, große Künstler stehlen"
Viele bekannte Zitate, die seit Jahren durch Artikel und Bücher über Jobs geistern, bekommen einen Kontext. Etwa das brüske "Microsoft hat keinen Geschmack", mit dem Jobs den damals zur Weltdominanz strebenden Apple-Rivalen kleiner machte. Oder der von ihm zitierte Picasso-Satz "Gute Künstler kopieren, große Künstler stehlen", der heutzutage angesichts des von Jobs angestoßenen Mobilfunk-Patentkriegs besonders oft wieder aufkommt.

Das volle Interview zeigt, dass Jobs nicht etwa das rücksichtslose Stehlen fremder Ideen meinte, sondern vielmehr, dass man auch in der Computertechnik aus der Geszum Übervater
Robert Cringely hatte Steve Jobs genau zum richtigen Zeitpunkt vor die Kamera bekommen, da er damals noch zu offenen Gesprächen aufgelegt war. 1995 war er noch nicht der Übervater des Silicon Valley, der sich weitgehend von der Öffentlichkeit abschirmte, sondern nur der vertriebene Apple-Gründer, dessen nächste Firma Next dahinsiechte. Niemand konnte da ahnen, dass Jobs keine zwei Jahre später Apple vor dem Ruin rettet, die Next-Software zur Grundlage der Mac-Computer wird, der iPod das Musikgeschäft umkrempelt und schließlich iPhone und iPad das Unternehmen Apple zum wertvollsten der Welt machen.

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