Doktor ohne Matura

Wiener Spitzen-Physiker Walter Thirring ist tot

Wissenschaft
19.08.2014 15:15
Der Wiener Physiker Walter Thirring, einer der führenden Forscher auf dem Gebiet der mathematischen Physik, ist in der Nacht auf Dienstag im Alter von 87 Jahren in einem Wiener Krankenhaus verstorben. Thirring, geboren am 29. April 1927, gehörte - obwohl er nie maturiert hatte - zu den theoretischen Physikern von Weltformat. Er lernte bei Erwin Schrödinger, diskutierte mit Albert Einstein und bewies gemeinsam mit dem US-Physiker Elliott Lieb, dass Materie stabil ist.

Für seine Arbeiten auf dem Gebiet der Feldtheorie erntete Walter Thirring internationale Anerkennung. Seine Karriere als Physiker war dabei nicht absehbar, immerhin war ihm die Musik zunächst viel näher als das Fach seines Vaters. Erst nachdem der Bruder, der für die Fortführung der Karriere des Vaters vorgesehen war, im Zweiten Weltkrieg gefallen war, verlangte Thirring dann doch ein Physikbuch.

Per Sondererlass: Doktorwürde ohne Matura
Nach Kriegsende überzeugte er den Dekan der Uni Innsbruck von seinen Physikkenntnissen und durfte ohne Maturazeugnis inskribieren. Das Studium hat er in der minimalen Zeit von drei Jahren abgeschlossen und mittels Sondererlass erlangte er die Doktorwürde auch ohne Hochschulreife. Verspätet bekam er 2009 von seinem Gymnasium, der Neulandschule in Wien-Grinzing, ein Maturazeugnis "honoris causa".

Nach der Promotion ging Thirring ins Ausland, wo er mit den bedeutendsten Physikern seiner Zeit zusammenarbeitete: Er war bei Erwin Schrödinger am Dublin Institute for Advanced Studies, arbeitete bei Werner Heisenberg am Max-Planck-Institut in Göttingen und bei Wolfgang Pauli an der ETH-Zürich. In Princeton lernte er noch Albert Einstein kennen.

Durchbruch mit "Lieb-Thirring-Ungleichungen"
"Eine Mischung aus Patriotismus und Widerspruchsgeist" führte, trotz aller in der Heimat zu erwartenden Widrigkeiten und finanziellen Engpässe, 1959 zu seiner Rückkehr nach Wien. Hier gelang ihm mit dem US-Physiker Elliott Lieb 1975 sein wohl bekanntester mathematischer Beweis: Mittels den "Lieb-Thirring-Ungleichungen" konnten sie zeigen, dass Materie stabil ist und Elektronen und Atomkerne nicht aufgrund der anziehenden elektrischen Kräfte in sich zusammenfallen.

Thirring leitete von 1968 bis 1971 die Abteilung für theoretische Physik am CERN (Europäische Organisation für Kernforschung), nach seiner Rückkehr in Wien 1993 war er maßgeblich an der Gründung des Internationalen Erwin Schrödinger Instituts für Mathematische Physik beteiligt.

Liebe zur Musik nie verloren
Das Musizieren hat er trotz der Verpflichtungen, die er mit der theoretischen Physik eingegangen ist, nicht aufgegeben: Er komponierte und spielte Orgel. Thirring konnte seine wahre Liebe nicht verbergen, wenn er in der Autobiografie schrieb: "Jedenfalls beweist die Musik, dass es Dinge gibt, die nicht allein durch die physikalischen Gegebenheiten erklärbar sind."

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