Mit Opioiden

Wiener Forscher “löschen” das Schmerzgedächtnis

Wissenschaft
13.01.2012 10:07
Wissenschaftler der Abteilung für Neurophysiologie am Zentrum für Hirnforschung der MedUni Wien haben eine Entdeckung gemacht, die einen Umbruch in der Schmerz-Therapie bedeuten könnte: Eine kurze, hoch dosierte Behandlung mit Opioiden - morphinähnlichen Substanzen - kann eine Form des sogenannten Schmerzgedächtnisses bei bestimmten chronischen Schmerzzuständen "löschen". Über ihre Ergebnisse berichten sie in der aktuellen Ausgabe der US-Wissenschaftszeitschrift "Science".

Das Team um Jürgen Sandkühler und Ruth Drdla-Schutting beschäftigt sich seit Jahren mit der Schmerz-Forschung. Im Sommer 2009 konnten sie zeigen, wie ein schnelles Absetzen von Opioiden die Schmerzempfindung verstärken kann. Jetzt haben sie sozusagen den Spieß umgedreht.

Sandkühler: "Das Problem liegt ja darin, dass bei Patienten mit chronischen Schmerzen ein 'Schmerz-Verstärker' in den Nervenbahnen eingeschaltet wird. Die Verbindungsstellen zwischen den Nervenzellen, die Schmerzinformation weiterleiten, verändern sich dauerhaft, indem sie die Reizübertragung noch verstärken. Es findet eine Langzeitpotenzierung der Verbindungsstellen statt und es bildet sich so ein Schmerzgedächtnis aus. Bisher hat man chronische Schmerzzustände langfristig mit niedrigen bis mittleren Dosen von Opioiden behandelt. Wenn man die Medikamente absetzt, dann sind die Beschwerden aber wieder da."

Morphin und die davon abgeleiteten Opioide sind die wirksamsten Schmerzmittel. Sie binden an die My-Opiatrezeptoren. Das führt zu einer verringerten Freisetzung des Nervenbotenstoffs Glutamat und dämpft so die Erregung der Nervenzellen im Rückenmark. Umgekehrt führt ein starker Schmerzreiz zur Glutamat-Ausschüttung, was wiederum zum massiven Einstrom von Kalzium-Ionen in die Nervenzellen und zur Modifikation von bestimmten Glutamat-Rezeptoren führt.

Schmerzgedächtnis kann wieder gelöscht werden
Die Wiener Wissenschaftler machten nun die überraschende Entdeckung, dass man durch eine kurze, aber hoch dosierte Opioid-Gabe die Langzeitpotenzierung bei den Schmerz-Nervenfasern wieder aufheben kann und so das ausgebildete Schmerzgedächtnis quasi "gelöscht" werden kann.

Nach den Arbeiten im Labor soll das neuartige Konzept jetzt in Kooperation mit Burkhard Gustorff von der Abteilung für Anästhesie und Intensivmedizin am Wiener Wilhelminenspital an Patienten mit chronischen Schmerzen erprobt werden.

Klinische Studie mit Opioiden
Sandkühler: "Dabei erhalten die Patienten eine hoch dosierte Behandlung mit Opioiden über einen Zeitraum von einer Stunde, gegebenenfalls wird man das im Abstand einer weiteren Stunde wiederholen müssen. Die Dosis ist so hoch, dass es schon zu einer vorübergehenden Verlangsamung der Atmung, aber noch zu keinen echten Problemen kommt. Diese Behandlung kann daher jedoch nur ein erfahrener Spezialist, ein Anästhesist, durchführen."

Die Depression des Atemzentrums im Gehirn ist die klassische Nebenwirkung einer massiven Opiat-Überdosierung und auch eine der Ursachen von Todesfällen beim illegalen Konsum von solchen Substanzen, allerdings zumeist in Kombination mit Alkohol oder Beruhigungsmitteln etc. Bei den medizinisch verwendeten Opioiden handle es sich jedoch um gut steuerbare und auch gut verträgliche Medikamente, so die Forscher.

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