Versuche mit Ratten

Schweizer Studie: Bauchgefühl beeinflusst Angst

Wissenschaft
23.05.2014 10:47
Bedrohliche Situationen spüren wir oft im Bauch. Dass das sprichwörtliche Bauchgefühl nicht nur unsere Gefühle, sondern ganz konkret auch unser Gehirn und Verhalten beeinflusst, konnten Schweizer Forscher an Ratten zeigen. Wurde deren Signalleitung zwischen Bauch und Gehirn getrennt, verloren die Nager ihre angeborenen Ängste. Gleichzeitig schafften sie es schwerer, erlernte Ängste wieder loszuwerden.

Das Bauchgefühl ist also auch wichtig für das Umlernen, berichten Wissenschaftler der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich im Fachmagazin "Journal of Neuroscience". Diese Erkenntnis könnte auch Menschen mit posttraumatischem Stress helfen.

Vagusnerv spielt wichtige Rolle
Nicht nur das Gehirn kontrolliert Vorgänge in der Bauchhöhle, sondern der Bauch sendet auch Signale zurück ans Gehirn. Im Zentrum des Zwiegesprächs zwischen Gehirn und Bauchraum steht der Vagusnerv, der Signale in beiden Richtungen, vom Gehirn an die inneren Organe (über sogenannte efferente Nervenstränge) und umgekehrt vom Bauch ans Gehirn (über afferente Stränge), übermittelt.

Indem es die afferenten Nervenstränge bei Ratten kappte, machte ein Team um Urs Meyer von ETH Zürich die Zweiwegkommunikation zur Einbahnstraße, um der Rolle des Bauchgefühls auf den Grund zu gehen. Das Gehirn konnte bei den Versuchstieren weiter Prozesse im Bauchraum steuern, erhielt aber keine Nachrichten mehr von dort.

Furchtloser ohne Bauchgefühl
In Verhaltensstudien zeigte sich dann, dass Ratten mit durchtrennem Vagusnerv weniger Scheu vor offenen Flächen und hellem Licht zeigten als Kontrolltiere mit intaktem Vagusnerv. "Das angeborene Angstverhalten scheint deutlich durch Signale vom Bauch ans Gehirn beeinflusst zu werden", sagt Meyer.

Gänzlich furchtlos machte der Verlust des Bauchgefühls die Ratten allerdings nicht: Bei erlerntem Angstverhalten sah die Situation nämlich anders aus. In einem Konditionierungsexperiment lernten die Ratten, einen neutralen akustischen Reiz – einen Ton – mit einer unangenehmen Erfahrung zu verbinden. Dabei schien der Bauch-Gehirn-Signalweg keine Rolle zu spielen, und die Versuchstiere lernten ebenso wie die Kontrolltiere, den Ton mit negativen Folgen zu assoziieren. Wurde später von einem negativen auf einen neutralen Reiz umgestellt, brauchten die Ratten ohne "Bauchgefühl" deutlich länger, den Ton mit der neuen, nun neutralen Situation zu assoziieren.

Das passe auch zu den Ergebnissen einer von anderen Forschern kürzlich veröffentlichten Studie, wonach die Stimulation des Vagusnervs das Umlernen fördere, sagt Meyer. Diese Erkenntnisse sind auch für die Psychiatrie von Interesse. Beim Post-Traumatischen Stresssyndrom (PTSD) werden ebenfalls neutrale Reize mit durch Extremerfahrungen ausgelöster Angst verknüpft. Die Stimulation des Vagusnervs könnte Patienten mit PTSD dabei helfen, die auslösenden Reize wieder mit etwas Neutralem zu assoziieren. Ärzte wenden die Vagusnervstimulation bereits bei Epilepsie und in Einzelfällen bei Depressionen an.

Bauch beeinflusst Signalstoffe im Gehirn
"Weniger angeborene Scheu, aber längeres Festhalten an erlernter Angst – das klingt vielleicht widersprüchlich", räumt Meyer ein, doch angeborene und erlernte Angst seien zwei unterschiedliche Verhaltensdomänen, bei denen verschiedene Signalsysteme im Gehirn angesprochen werden. Bei genauerer Untersuchung der Rattenhirne fanden die Forscher etwa auch heraus, dass der Verlust der Signale vom Bauchraum die Produktion von bestimmten Signalstoffen im Gehirn, sogenannten Neurotransmittern, veränderte.

"Wir konnten zum ersten Mal zeigen, dass das gezielte Unterbrechen des Signalwegs vom Bauch ins Gehirn komplexe Verhaltensmuster verändert. Bisher wurden diese immer allein dem Gehirn zugeschrieben", sagt Meyer. Die Studie zeige nun klar, dass der Bauch beim Angstverhalten ebenfalls mitrede. Was der Bauch sage, also was genau signalisiert werde, sei allerdings noch nicht klar. Die Forschenden hoffen jedoch, in zukünftigen Studien die Rolle des Vagusnervs und der Zwiesprache zwischen Gehirn und Körper weiter aufzuklären.

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