"Costa Concordia"

Zeugin: “Verhalten der Passagiere war katastrophal”

Österreich
17.01.2012 11:15
"Wie sich die Passagiere teilweise verhalten haben, war eine Katastrophe. Anweisungen der Mitarbeiter wurden nicht befolgt." So beschreibt Marie Bulgarini (Bild), Crew-Mitglied der "Costa Concordia", ihre Erlebnisse auf dem verunglückten Kreuzfahrtschiff. Die 23-jährige Wienerin arbeitete seit November als "International Hostess" auf dem Schiff. "Die Crew hat sehr gut zusammengeholfen", ist sie überzeugt. "Sobald die Anweisung zur Evakuierung kam, wurden die Passagiere sehr schnell evakuiert."

"Ich war gerade im Büro auf Deck 5, als das Schiff eine scharfe Rechtskurve machte und in Schräglage geriet", erzählt die junge Frau nach ihrer Heimkehr nach Wien. Das komme aber öfters vor, sie habe sich nichts dabei gedacht. "Plötzlich hat das ganze Schiff gewackelt und vibriert, die Kästen gingen auf und alles fiel heraus, das Licht begann zu flackern, und wir hatten einen Stromausfall."

Bulgarini sei sofort hinauf zur Brücke auf Deck 8 gegangen. "Wie alle anderen internationalen Hostessen habe ich dann die erste Durchsage (in der jeweiligen Muttersprache, Anm.) gemacht." Vorerst war nur die Rede von Problemen mit den Generatoren.

"Wir hörten nur von einem Loch"
"Auch wir wussten bis zur Evakuierung nicht, was wirklich passiert war. Dass der Riss 70 Meter lang war, war uns nicht bekannt. Wir hörten nur von einem Loch." Dann machte die Österreicherin noch zwei Durchsagen, um die Passagiere zu beruhigen. "Die vierte Durchsage kam dann direkt vom Kapitän: 'Schiff evakuieren.'"

"Ich ging dann sofort hinunter zum vorgeschriebenen Treffpunkt der Crew auf Deck 3", so Bulgarini weiter. "Die Passagiere waren in Panik. Für sie ist der Treffpunkt für die Evakuierung auf Deck 4. Viele Passagiere wurden zu diesem Zeitpunkt schon mit den Rettungsbooten evakuiert. Nachdem das Schiff bereits schräg lag, haben wir die restlichen Passagiere vom oberen Deck auf Deck 3 geleitet, damit sie direkt von dort die Rettungsboote besteigen konnten."

"Offiziere sprangen ins Wasser, um Passagiere zu retten"
Die Kritik der Passagiere an der Crew kann die 23-Jährige nicht nachvollziehen. "Zumindest jene Crewmitglieder, die ich beobachten konnte, haben sehr gut zusammengeholfen. Ich habe selbst gesehen, wie einige Offiziere ins Wasser gesprungen sind, um Passagiere zu retten. Wir konnten innerhalb kürzester Zeit mehr als 4.000 Menschen evakuieren."

Außerdem seien alle Schiffsmitarbeiter gut ausgebildet. "Alle Crewmitglieder besitzen ein Basic-Safety-Training-Zertifikat. Wir müssen regelmäßig Sicherheitstrainings absolvieren, um uns für solche Katastrophen vorzubereiten." Nachsatz: "Mit einem Training kann man so ein Unglück allerdings nicht vergleichen. Es ist natürlich eine komplett andere Situation."

"Touristen haben sich durch die Menge geboxt"
Das Verhalten vieler Gäste hat Bulgarini als "katastrophal" in Erinnerung. "Viele haben auch während der Evakuierung ihre Handys hochgehalten, gefilmt und fotografiert, sind uns somit teilweise wirklich im Weg gestanden und haben damit die Räumung des Schiffs behindert. Andere haben sich unseren Anweisungen widersetzt. Egal ob Frauen oder Kinder da waren, manche Touristen haben sich rücksichtslos durch die Menge geboxt, um als erste im Boot zu sein."

Um insgesamt vier Boote habe sich die Wienerin gekümmert, bis alle Passagiere von Deck 3 und 4 gerettet gewesen sein. Einmal habe sie selbst als Begleitung in einem Rettungsboot auf die Insel Giglio übergesetzt, sei dann aber zur havarierten "Costa Concordia" zurückgekehrt, um weitere Passagiere, die von der anderen Schiffsseite kamen, einzuweisen.

"Ich war eine der Letzten, die das Deck verlassen haben"
"Die Boote waren knallvoll, teilweise sind die Passagiere auch in der Mitte gestanden. Zum Schluss bin ich selbst schon gut fünf Zentimeter im Wasser gestanden. Die Passagiere konnten direkt vom Deck ins Rettungsboot umsteigen. Das Schiff war bereits so in Schräglage, dass sich alle gegenseitig gehalten haben, um nicht über Bord zu gehen", schildert die Österreicherin. "Ich war eine der Letzten, die das Deck verlassen haben."

Auf der Insel hätten sich auch die Einwohner um die Passagiere gekümmert. "Sie haben Decken und Kleidung gebracht, es war ja sehr kalt", sagt Bulgarini. "Am Pier haben sich dann auch viele Gäste bei den Crew-Mitgliedern bedankt." Samstag früh sei es mit Fähren auf das Festland nach Santo Stefano gegangen. "Wir mussten vorher allerdings noch die Namen der Passagiere notieren." Auch am Festland kümmerten sich Hilfskräfte und Einheimische um die Gestrandeten. "Sie haben die Passagiere mit Decken, Handtüchern, Jacken, Essen und Heißgetränken versorgt." Bis Samstagmittag sei Bulgarini im Dauereinsatz gewesen. "Dann wurden wir in ein Hotel gebracht."

"Haben uns nur um Passagiere gekümmert"
Am Sonntag sei schließlich eine Arbeitskollegin von ihren Eltern abgeholt worden und Bulgarini konnte mit nach Österreich fahren. Erst zu Hause in Wien habe sie zu realisieren begonnen, was passiert war und was sie alles verloren habe. "Ich habe, wie all meine Arbeitskollegen alles zurücklassen müssen, wir haben uns nur um die Rettung der Passagiere gekümmert."

"Kann Vorwürfe gegen Kapitän nicht glauben"
Unterdessen erhärten sich die Vorwürfe gegen den Kapitän der "Costa Concordia", Francesco Schettino (siehe auch Infobox). Bulgarini nimmt ihn jedoch in Schutz: "Dass er als einer der ersten das Schiff verlassen hat, kann ich nicht glauben. Vielleicht ist er wie ich mit einem Rettungsboot auf die Insel übergeschifft, dann aber wieder auf die 'Costa Concordia' zurückgekehrt, um weiter bei der Evakuierung zu helfen. Ich habe ihn in den Morgenstunden am Pier gesehen, wo alle Boote ankamen", beschreibt Bulgarini. "Ich habe den Kapitän als gut organisierten, kompetenten Menschen kennengelernt. Warum wir so nahe an die Insel gefahren sind, weiß ich nicht."

Die 23-Jährige, die in Wien Tourismusmanagement studiert hat und im Zuge dessen bereits im Rahmen eines Auslandssemesters auf Kreuzfahrtschiffen gearbeitet hatte, ist selbst erstaunt, wie ruhig sie während des Unglücks geblieben ist. "Vielleicht war das auch deshalb, weil die Insel sichtbar und so nahe war." Nach den schlimmen Ereignissen möchte sie sich erst einmal bei ihrer Familie erholen. "Ich glaube aber, dass ich zurück aufs Schiff gehe."

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