"Gott helfe uns..."

Ungarn: Premier Orban verblüfft mit Demokratie-Sager

Ausland
27.07.2012 15:00
Der rechtskonservative ungarische Premier Viktor Orban sorgt mit einer - von Beobachtern als zumindest befremdlich eingestuften - Aussage für Wirbel. Bei einer Sitzung des Landesverbandes der Arbeitnehmer und Arbeitgeber erklärte der 49-Jährige am Donnerstag: "Wir hoffen, Gott hilft uns dabei, dass wir uns nicht anstelle der Demokratie andere politische Systeme ausdenken müssen, die wir dann im Interesse des wirtschaftlichen Überlebens einzuführen haben." Am Freitag kündigte der Regierungschef dann an, Wählerregistrierung zur Pflicht machen zu wollen.

Die Opposition reagierte am Freitag scharf auf die Wortspende des Ministerpräsidenten. Die Sozialisten formulierten nach Bekanntwerden der Äußerungen ihre Befürchtungen hinsichtlich der Demokratie und dem Rechtsstaat in Ungarn. Der Regierungschef solle erklären, was er unter "anderen politischen Systemen" verstünde, hieß es. Dieser Forderung schlossen sich auch mehrere politische Beobachter in Ungarn an.

Zsolt Molnar, Abgeordneter der Sozialisten, kritisierte, dass Orban mit seiner Regierungspartei und seiner Zwei-Drittel-Mehrheit seit zwei Jahren "die ungarische Republik kontinuierlich abbaut". Dabei würden die demokratischen Institutionen ausschließlich unter Beachtung der Interessen der Regierungspartei, aber ohne Konsultationen mit anderen Parteien, umgebaut werden.

Die neu gegründete Oppositionspartei "4K" sprach von einer "verblüffenden Aussage", die das Demokratieverständnis von Orban offenbare. Laut der Oppositionsgruppe würde nun das System der Regierungspartei Fidesz-MPSZ "endlich nackt vor uns stehen", das "im Interesse der wirtschaftlichen Unterdrückung der Mehrheit der Gesellschaft die Demokratie begrenzen würde und auch die totale Abschaffung des Rechtsstaates nicht für ausgeschlossen hält", wenn es Wirtschaftsinteressen verlangten.

"Ungarn geht einen anderen Weg als Europa"
Erst kürzlich hatte Orban erklärt, Ungarn gehe "einen anderen Weg als Europa", und es habe sich in den vergangenen zwei Jahren gezeigt, dass "dieser Weg für uns begehbar und erfolgreich ist". Er wolle seinen Kurs fortsetzen, es gebe keinen Grund für einen Richtungswechsel. Der Premier plädierte dabei auch für mehr Vielfalt und Kreativität in Europa: Für die gegenwärtige Krise müsste es genau genommen 27 verschiedene Lösungsansätze geben, so Orban.

Ende Mai 2010 hatte der 49-Jährige das Regierungsruder in Ungarn übernommen. Für seine Versprechen, das Land umzubauen und Arbeit, Wohlstand sowie Stabilität zu schaffen, war Orban seitens hoffnungsvoller Bürger bei den Wahlen mit einer – in Europa einzigartigen – Zwei-Drittel-Mehrheit belohnt worden. Über zwei Jahre danach wird Ungarn geprägt von massiven Staatsschulden, hoher Arbeitslosigkeit, schrumpfender Wirtschaft und einer tief gespaltenen Gesellschaft.

Gegner sprechen von "politischem Gangstertum"
Die Sozialisten behaupten, die Regierung stünde für "politisches Gangstertum", würde sich nur um die Reichen kümmern, während Ungarn langsam zu einem Land "mit sechs Millionen Bettlern" würde. Laut den Grünen raste Orban "mit Vollgas in die Sackgasse", würde eine "dilettantische Wirtschaftspolitik" betreiben und die "demokratischen Institutionen zerstören". Die rechtsradikale Jobbik-Partei wiederum bezeichnet die bisherige Regierungsarbeit als die der "großen Worte" und vermisst die versprochene eine Million neuer Arbeitsplätze. Die internationale Kritik schließlich warnt immer wieder vor nationalistischen Tönen aus Budapest.

Premier will Wählerregistrierung zur Pflicht machen
Am Freitag gab Orban dann bekannt, wer in Ungarn an den Parlamentswahlen 2014 teilnehmen wolle, müsse sich zuvor in ein Wählerregister eintragen. Versäumten Wahlberechtigte diese Registrierung, würden sie von der Teilnahme an den Parlamentswahlen 2014 ausgeschlossen. Über die neue Regelung soll im September im Parlament abgestimmt werden. Fraglich sei noch, ob es zur Pflicht wird, dass die registrierten Bürger an den Wahlen teilnehmen müssen.

Die im Ausland lebenden Ungarn wiederum sollen nach Registrierung per Briefwahl abstimmen können, erklärte der Premier. Wer sich nicht registriert, der soll keinerlei Wahlinformationen erhalten und "nicht belästigt werden". Die Registrierung werde laut Orban mehrere Monate andauern und leicht zu realisieren sein. Kein Verständnis werde es für jene geben, die die Registrierung versäumen. Wer an der Wahl als einer der wichtigsten Entscheidungen des Landes teilnehmen will, der könne "nun wirklich die Absicht seiner Teilnahme ankündigen".

Opposition: "Orban fürchtet sich vor dem Volkszorn"
Die Sozialisten warfen daraufhin Orban und seiner Fidesz-MPSZ vor, mit der Pflichtregistrierung die "Demokratie abschaffen zu wollen". Mit der "Taktik" wolle die Regierung den Kreis der Wahlteilnehmer auf ein Mindestmaß beschneiden, "eher auf den Kreis der Fidesz-MPSZ-Sympathisanten". Die oppositionelle Partei forderte umgehend eine breite fachliche Debatte mit Fach- und Zivilorganisationen sowie eine Abstimmung der fünf Parlamentsparteien.

Die Demokratische Koalition von Ex-Premier Ferenc Gyurcsany erklärte: "Orban fürchtet sich vor dem Volkszorn." Der Regierungschef sei sich darüber im Klaren, dass Wahlen stets mit den Stimmen der Wähler gewonnen werden, die keiner Partei verpflichtet und von der gegebenen Regierung enttäuscht sind. Diesen Wählern könne Orban seine 2010 erlangte Zwei-Drittel-Mehrheit verdanken. Orban wisse genau, dass er die Unterstützung dieser Bürger bereits verloren hätte. Aus dem Grunde wolle der Premier diese Wähler "von den Urnen fernhalten".

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